Invaliden-Versicherung

Gute Erfahrungen mit Wiedereingliederungen in Luzern

Beispiel einer erfolgreichen IV-Massnahme: Idris Rashid arbeitet nach einem Arbeitsversuch heute als Chauffeur und Lagerist bei ESA Zentralschweiz in Honau/LU. (Bild: zvg/Peter J. Waldis)

10’682 Luzerner und 2’475 Zuger bezogen 2012 eine Rente der Invalidenversicherung. Möglichst viele von ihnen will man in den nächsten Jahren wieder in den Arbeitsprozess integrieren. Zum Beispiel mit so genannten Arbeitsversuchen. In Luzern funktioniert dies laut den IV-Verantwortlichen bereits bestens, in Zug ist es schwieriger.

Bis Ende 2017 will der Bundesrat über 17’000 IV-Rentner wieder in den Arbeitsmarkt eingliedern. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, wurden mit der letzten IV-Revision neue Eingliederungsmöglichkeiten geschaffen. Der Arbeitsversuch ist eine dieser Massnahmen, die seit 2012 möglich sind.

Ein Arbeitgeber kann relativ unbürokratisch einen IV-Bezüger oder eine IV-Bezügerin für maximal sechs Monate im Betrieb einstellen, ohne sich finanziell zu verpflichten. Der Versicherte erhält seine Taggelder oder die Rente in dieser Zeit weiterhin von der IV ausbezahlt und kann Job-Erfahrungen sammeln. Der potentielle Arbeitgeber muss also keinen Lohn bezahlen, und es entsteht kein Arbeitsverhältnis.

Schrittweise Reintegration

Ein Beispiel aus der Praxis: L.O. ist gelernter Bauzeichner. Seit fünf Jahren bezieht er eine volle Invalidenrente wegen einer depressiven Erkrankung. Sein Arzt stimmt einer schrittweisen Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu. Im Anschluss an eine viermonatige Weiterbildung erfolgt ein halbjähriger Arbeitsversuch in einem Architekturbüro.

Wenig IV-Bezüger

Im letzten Jahr hat die IV Luzern 1047 Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt integriert, 23 Prozent mehr als noch 2011. Rund 300 Arbeitsversuche konnten mit Unternehmen aus Luzern vereinbart werden. Laut IV fanden die Hälfte der teilnehmenden Personen, also rund 150, danach eine Stelle.

Die IV-Stelle Zug hat im vergangenen Jahr 616 unterschiedliche Eingliederungsmassnahmen ermöglicht. 91 Personen fanden laut dem Geschäftsbericht 2012 eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt. Die Zahl der Arbeitsversuche wurde für 2012 nicht separat ausgewiesen. Zum laufenden Jahr sagt Heidi Schwander: «In den ersten 6 Monaten dieses Jahres konnten wir zwanzig Arbeitsversuche bei Arbeitgebern in der freien Wirtschaft initiieren. Den Erfolg können wir noch nicht beurteilen, die Eingliederungsprozesse laufen grösstenteils noch.»

Gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen bezogen 2012 im Kanton Luzern 10'682 Personen eine IV-Rente (4,35% der versicherten Bevölkerung), der Kanton Zug zählte 2475 IV-Rentner (3,29%). Die Zentralschweizer Kantone haben generell tiefe IV-Quoten.

Die entscheidende Frage ist, was nachher passiert. Wird L.O. im Architekturbüro angestellt? Oder mit vielen Hoffnungen heimgeschickt – und verfällt dadurch allenfalls in eine noch tiefere Depression? Gerade deshalb steht die am 1. Januar 2012 eingeführte Eingliederungsmassnahme des Arbeitsversuchs immer wieder in der Kritik.

Luzern: «Eingliederung sehr erfolgreich»

Zu Unrecht, findet Donald Locher, Direktor der IV Luzern. «Grundsätzlich ist die Eingliederung ein Erfolg», sagt er. Gesamtschweizerisch habe die Zahl der IV-Rentner abgenommen, seit 2005 um 17’000 Personen. «Im Kanton Luzern konnten wir im Jahr 2012 total 1047 Personen wieder in den Arbeitsprozess integrieren», erklärt Locher. Dieses Ziel sei mit einer ganzen Palette von Massnahmen wie zum Beispiel Umschulungen erreicht worden (siehe Infobox).

Den Arbeitsversuch hebt der IV-Direktor als positives Instrument hervor, das man Arbeitgebern anbieten könne: «Es ist ein sehr gutes Argument, damit ein Arbeitgeber nicht mehr gleich Nein sagen kann, wenn wir wegen einer Beschäftigungsmöglichkeit für einen Versicherten anfragen.»

300 Arbeitsversuche konnte die IV-Stelle Luzern 2012 vermitteln. «Von diesen Personen haben rund die Hälfte anschliessend eine definitive Stelle gefunden», so Locher. Möglich sei dieser Erfolg vor allem durch persönliche Kontakte mit Unternehmen. «Bei Arbeitsversuchen sind Unternehmen mit 10 bis 20 Mitarbeitern wichtige Partner für uns. Weil sie oft keine in Stein gemeisselten Strukturen haben, sind sie flexibler als Grossunternehmen und können IV-Bezüger leichter integrieren. Ausserdem beweisen viele KMU-Chefs noch ein soziales Engagement.»

Doch auch grosse Arbeitgeber stehen nicht abseits. So bieten gemäss dem IV-Chef auch Grossunternehmen wie die Migros, die Post, SBB, Schindler oder Galliker Transport solche Möglichkeiten an.

Zugs IV-Direktor zurückhaltender

Luzern macht also gute Erfahrungen mit der Eingliederungsmassnahme des Arbeitsversuchs. Der Leiter der IV-Stelle Zug, Rolf Lindenmann, hingegen äussert sich skeptischer. «Es ist nicht so, dass uns hunderte von Firmen die Türe einrennen und fragen, ob wir jemand haben für einen solchen Test.» Solche Trainingsarbeitsplätze fänden die IV-Betreuer oft nur durch persönliche Beziehungen zu den Arbeitgebern.

Hat die IV-Stelle einen kooperativen Chef gefunden, gebe es weitere Hürden zu meistern. «Wenn die Mitarbeitenden Bedenken haben und die Person nicht akzeptieren, klappt das Ganze nicht», erklärt Rolf Lindenmann. «Es gibt viel Unsicherheit auf beiden Seiten.»
Viele Leute seien zum Beispiel unsicher, wie man mit einem IV-Bezüger umgehen muss. «Wie behandelt man zum Beispiel einen Depressiven, wenn man nicht zufrieden ist mit seiner Arbeitsleistung? Was darf man sagen und was nicht?», fragt Lindenmann.

Was meint die Wirtschaft?

zentral+ hat zwei Firmeninhaber kontaktiert, die IV-Bezüger 2012 testweise angestellt haben. Wie stehen Sie heute dazu? Haben sie weitere Versuche gemacht und kam es zu einer Festanstellung?

Fall1: Recycling-Firma aus Sursee

Benno Frei ist Inhaber der PlastRecycling in Sursee, die hochwertige Kunststoffe recycelt. Seine Firma beschäftigt sieben Mitarbeiter. Frei hat 2012 den IV-Bezüger Srdjan Nikolic-Stankovic testweise eingestellt. Frei sagt zu zentral+: «Zuerst war ich skeptisch. Um ehrlich zu sein: Ich hätte vorher nie jemanden aus Ex-Jugoslawien eingestellt und hatte Vorurteile.»

Inzwischen hat der KMU-Chef seine Meinung geändert: «Nikolic-Stankovic hat sich eingesetzt, wollte etwas erreichen, war vielseitig einsetzbar und ich habe gemerkt, dass er einiges auf dem Kasten hat.» Heute arbeitet der Ex-Jugoslawe als Vorarbeiter bei PlastRecycling. Aus dem Versuch ist eine Festanstellung geworden. Benno Frei: «Er ist heute besser als mancher Schweizer Kollege.» Und besser als manche Personen, die ihm das RAV geschickt habe.

«Win-Win-Situation»

Für Frei ist das Ganze deshalb eine Win-Win-Situation. Einerseits aus Kostengründen: Für eine kleine Firma sei der Aufwand neue Mitarbeitende zu suchen, eine Stelle auszuschreiben und unzählige Dossiers zu bearbeiten, enorm gross. Dieser Aufwand fällt beim Arbeitsversuch weg. Zudem habe man die Gewähr, dass die Personen einen Betreuer von der IV habe und genau abgeklärt werde, ob sich die Person für den Job auch wirklich eigne. Das Risiko, wenn es einmal doch nicht klappe, trage die Firma ebenfalls nicht. Benno Frei hat auf diese Weise 2012 und 2013 zwei neue Mitarbeiter gewonnen.

Obwohl der Arbeitgeber dem IV-Bezüger während des Versuchs keinen Lohn zahlen muss, entstehen laut dem Firmenchef trotzdem Kosten. «Wir schulen die Leute in zwei bis drei Monaten um, wenn sie beispielsweise aus einer anderen Branche kommen.» Das war beim erwähnten Vorarbeiter der Fall, der vorher in der Metallbaubranche tätig war, wegen körperlichen Beschwerden diese Arbeit nicht mehr machen konnte.

Fall 2: Lager- und Logistikunternehmen

Daniel Betschart ist Leiter der Firma «Lager- und Transportlogistik ESA Zentralschweiz» in Honau-Gisikon. Die Firma verwaltet ein Lager für Garagisten und beschäftigt insgesamt 32 Personen.
Auch Betschart hat positive Erfahrungen mit der Eingliederung von IV-Bezügern gemacht. So wurde ihm 2012 der Iraker Idris Rashid empfohlen.  «Er hat sich als richtiger Chrampfer herausgestellt, war sehr motiviert und kam im Team gut an», sagt Betschart. Nach dem Versuch stellte er aufgrund einer entstandenen neuen Vakanz den Mann als Chauffeur und Lagermitarbeiter an. Der Chef ist sehr zufrieden mit ihm.

Neben dem erwähnten Mitarbeiter hat Betschart eine weitere Person getestet und angestellt, momentan hat die Firma bereits den dritten Versuch gewagt. «Am Anfang braucht die Testperson natürlich eine gute Betreuung, bis es läuft. Aber ich bin sehr positiv überrascht von den vermittelten Personen», erklärt Daniel Betschart.

Beide erwähnten IV-Versicherten sind jetzt nicht mehr von der IV abhängig.

Aufwand für das Unternehmen

Trotz diesen positiven Beispielen: Die Eingliederung ist keine einfache Sache.

Das verhehlt auch der Luzerner IV-Chef Donald Locher nicht. «Der Aufwand ist natürlich beträchtlich für ein Unternehmen, auch wenn es der Person nicht direkt einen Lohn zahlen muss.» Und es gibt auch Misserfolge und Rückschläge. «Versuche werden abgebrochen, weil die Chemie nicht stimmt. Manchmal braucht es auch mehrere Anläufe.»

IV-Chef Rolf Lindenmann aus Zug weist darauf hin, dass die IV gerade kleinen Firmen deshalb verschiedene Formen von Unterstützung anbieten kann. «Gerade in der Anfangsphase ist es wichtig, dass Probleme früh erkannt werden. Deshalb bieten unsere IV-Betreuer den Arbeitgebern wenn nötig regelmässige Coachings mit dem Chef und der Testperson an.»

Festanstellung das Ziel

Das neue Instrument des Arbeitsversuchs, manchmal auch als Job-Coaching bezeichnet, steht aber auch in der Kritik. Zum einen als Möglichkeit für Firmen, Personen quasi gratis zu beschäftigen. Zum anderen wegen der offenen Frage, wie es nach dem Versuch weitergeht. Die Firma hat ja keinerlei Verpflichtung, die Person nach einem erfolgreichen Versuch anzustellen.

«Es ist natürlich nicht der Sinn, dass Firmen dies ausnützen», sagt der Luzerner IV-Chef. Die Idee sei, dass aus dem Test möglichst eine Festanstellung resultiere.

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