Velokurier Luzern-Zug

Die «Rebellen» sind erwachsen

Das Paket muss schnell von A nach B. Der Velokurier im Einsatz. (Bild: zvg)

In 25 Jahren hat sich der Velokurier vom rebellischen Verein zum seriösen Unternehmen entwickelt. Sie sind heute noch die einzigen, die sich über den Stau in der Stadt freuen können.

Ein Blick in die Räume an der Luzerner Güterstrasse macht deutlich: Der Velokurier pflegt heute noch einen ganz eigenen Stil. Die alten Holzpulte sind aus zweiter Hand. In den Gängen wird man freundschaftlich, ganz selbstverständlich mit «Du» angesprochen. Und im Büro von Severin Haupt, Mitglied der Geschäftsleitung, steht ein Gitarrenverstärker, «ein Überbleibsel von der letzten Mitarbeiter-Party», erklärt er.

Haupt steht vor dem Fenster und lächelt vom sechsten Stock hinab auf den Stau in der Werkhofstrasse. Es werden gleich neue Aufträge reinkommen. «Wir sind die einzigen, die sich freuen, wenn da draussen nichts mehr geht». Dann klingelt das Telefon. Kunden melden sich. Sie kommen nicht mehr durch den Stadtverkehr und brauchen jetzt ihre Post, diese befindet sich noch in den Postfächern am Bahnhof.

Die lockere Stimmung täuscht: Das Unternehmen hat sich seit der Gründung vor 25 Jahren vom kleinen rebellischen Verein zum gut organisierten Expressdienst entwickelt. Beim Kundengespräch gilt es ernst, es geht um Produkte und Dienstleistungen. Und das schnell getaktete, über Jahre aufgebaute Logistik-Netzwerk mit Bahn, Auto und Vertragspartnern erlaubt Sendungen in die ganze Schweiz – innert Stunden.

Mit Dreadlocks auf der Strasse

Über den Inhalt der Pakete wird ­– wie in jedem anderen Kurierdienst auch – geschwiegen. Die Fahrer können oft nur vermuten, was sie transportieren. Sicher ist nur: Es muss immer schnell gehen. «Wir bringen regelmässig Kühlboxen vom einen Spital ins andere», sagt Haupt. Als Unternehmen ist der Velokurier Luzern-Zug erwachsen geworden.

Noch im Jahr 1988 war eine solche Entwicklung undenkbar. Denn früher war der Velokurier offenbar mehr eine politische Bewegung als ein Geschäft. Mit «Wollpullover und viel Ehrgeiz», wie es ein langjähriger Mitarbeiter ausdrückt, kümmerte man sich weniger um eine kommerzielle Ausrichtung. Die meisten Fahrer hatten eine feste Überzeugung, sie standen öffentlich für Umweltthemen ein, für Nachhaltigkeit und den Ausbau des Veloverkehrs.

Und das Auftreten waren alles andere als brav. Die orangenen Sportdresses gab es noch nicht. Viele Fahrer preschten mit langen Haaren, Dreadlocks und Jeansjacken durch den Stadtverkehr. Man meldete sich von einer Telefonzelle aus in die Zentrale. So war in den Anfangsjahren eine einheitliche Koordination der Transporte schlicht nicht möglich.

Zudem war der junge Verein damals stets illegal unterwegs: Laut Monopol-Gesetz durfte nur die Schweizerische Post (PTT) einen Kurierdienst anbieten. «Aber das störte uns nicht weiter», sagt ein Pionier der ersten Stunde.

«In der Geschichte des Velokuriers gab es noch nie einen schweren Unfall»

Ein Kampf gegen das alte Image

Dieses Bad-Boy-Image aus alten Tagen haftet dem Velokurier noch immer ein wenig an. Die Fahrer sind aber Tag für Tag bemüht, diesen Ruf endgültig abzuschütteln. Heute spricht man beim Velokurier im professionellen Geschäftsjargon von «Partnern». Autofahrer und Fussgänger werden «Anspruchsgruppen» genannt.

«In der Geschichte des Velokuriers gab es noch nie einen schweren Unfall», betont Severin Haupt. Die Sicherheit gehe immer vor und die Verkehrsregeln gelten ganz klar für alle. Aber: «Im entnervten Berufsverkehr kann es heute doch noch vorkommen, dass unsere Fahrer angeschnauzt werden», sagt er. Sie seien eben schnell unterwegs und werden deshalb von Autofahrern und Fussgängern gerne angefeixt.

Dass es dennoch nie einen Unfall gegeben hat, ist erstaunlich. An Werktagen sind in Luzern immer fünf Fahrer gleichzeitig unterwegs, in Zug sind es jeweils zwei. Sie spulen in einer Schicht zwischen 50 und 80 Kilometer ab. «Die Velokuriere entwickeln quasi einen zusätzlichen Sinn fürs Fahren in der Stadt. Sie sind sich viel Verkehr gewohnt, haben es im Gefühl und können abschätzen, was geht und was nicht», sagt Haupt.

Die Frauen sind stark

Generell braucht es für den Einsatz als Kurier viel körperliche Ausdauer. Die Arbeit im Verkehr ist für die Fahrer wie ein tägliches Training. Deshalb spielt der Sport für fast alle Fahrer eine wichtige Rolle. Ein Höhepunkt für die Fahrer sind jeweils die Meisterschaften in verschiedenen Radsport-Disziplinen. «Man muss beissen können», sagt Haupt. Sportlich seien die Luzerner und Zuger Weltklasse – und die Frauen sind die erfolgreichsten in den Velokurier-Meisterschaften.

Zum Beispiel ist Renate Bucheli aus Luzern die weltbeste Bergzeitfahrerin ihrer Gilde. Erika Bühler aus Zug gewann letztes Jahr den Schweizer Sprint-Wettbewerb über die Kurzdistanz. Und Regula Huber ist mehrmalige Europameisterin in der Disziplin «Trackstand», bei der es darum geht, mit dem Velo möglichst lange am selben Punkt zu balancieren.

Jubiläumsparty angesagt

Nicht nur auf die sportlichen Resultate, auch auf den Geschäftsgang können die Mitarbeiter stolz sein. Das Unternehmen erzielte in letztes Jahr einen Umsatz von 1,5 Millionen Franken. Nun wird zusätzlich die Schweizerische Post – der einst grösste Konkurrent im regionalen Expressdienst – mit einem Grossauftrag dafür sorgen, dass es in Zukunft für den Velokurier Luzern-Zug mehr sein wird. Insgesamt teilen sich heute 40 Mitarbeiter 15 Vollzeitstellen. Momentan sind es 23 Fahrer in Luzern und 14 Fahrer in Zug. Das 25-jährige Bestehen wird am Samstag, 31. August, mit einer grossen Fest gefeiert.

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