Weggis

Gemeinderat wünscht Solidarität statt Neid

Eindrückliche Schutzmassnahmen wurden im Gebiet Horlaui umgesetzt. Nun entscheiden die Weggiser, ob in zwei weiteren Gebieten Schutzmassnahmen getroffen werden.

(Bild: Fabian Duss)

Am 30. November stimmen die Weggiser über Schutzmassnahmen gegen Naturgefahren in zwei Gemeindegebieten ab. Während der Gemeinderat seit Monaten auf eine Informationsflut setzt, verhalten sich die Gegner der Vorlage diskret.

Ein hochalpiner Berggipfel mit Hängegletschern, darüber die Worte «Der Berg lebt». Das Inserat in der Weggiser Wochenzeitung hätte einen Bergsteigerfilm ankündigen können, ­ hätten darunter nicht ein Dutzend Parolen gestanden wie: «Weggiser Bürger ­ macht die Augen auf!», «Der Berg holt sich, was ihm gehört», «Unausgereifte Dammbauten» und «Wir können nicht den ganzen Berg zubetonieren». Das Inserat wurde auch als Flugblatt in alle Briefkästen versandt und wurde unterzeichnet von einem ominösen «Komitee für Naturgefahren».

Das Inserat erschien am selben Tag, an dem der Gemeinderat zum letzten Mal über die Abstimmungsvorlage informierte und für ein Ja warb. Die Öffentlichkeit hatte er bislang beinahe unangefochten dominiert: Mit Beiträgen in der Lokalzeitung, Infoveranstaltungen und Naturgefahrentagen, an denen er die Bevölkerung in die instabilen Felswände und steilen Hänge oberhalb von Weggis chauffierte und zeigte, was den darunterliegenden Häusern droht: Massive Felsstürze und Hangrutsche.

Bau dauert dreieinhalb Jahre

In den Gebieten Laugneri und Linden, unterhalb des steilen Chilewalds, will der Gemeinderat für insgesamt 12,4 Millionen Franken Dämme und Netze errichten und Felssicherungsarbeiten vornehmen, um die darunter liegenden Häuser zu schützen. Dank einer finanziellen Unterstützung von Bund und Kanton muss die Gemeinde lediglich den Kostenanteil von 4,14 Millionen Franken selber tragen. Die Realisierung der Schutzmassnahmen in der Laugneri dauern rund zwei Jahre. 2015 soll mit den Arbeiten begonnen werden. Anschliessend werden die zwei Schutzdämme im Gebiet Linden gebaut. Hier wird mit einer Bauzeit von eineinhalb Jahren gerechnet.

«Ein Nein wäre eine Katastrophe»

Den Menschen, die in der Gefahrenzone wohnen, sitzt das Unwetter von 2005 noch immer in den Knochen. Erdrutsche und Blockschlag zerstörten damals drei Wohnhäuser im Gebiet Laugneri. Danach wurde eilig ein Schutzdamm gebaut, doch dieser schützt nur einen Teil des Quartiers. Dessen Verlängerung versenkte das Stimmvolk 2009 wuchtig. Nun wagt der Gemeinderat einen zweiten Anlauf. «Ich bin optimistischer als 2009», sagt Martin Hofmann, der mit seiner Familie seit zwölf Jahren in der Laugneri wohnt.

«Meine Frau und die Kinder weinten»,
Martin Hofmann, Betroffener 

Eine Gefahrenkarte gab es damals noch nicht. Hofmann mag sich nicht vorstellen, was wäre, wenn die Verlängerung des Laugneri-Damms erneut abgelehnt würde. Unweit seines Hauses donnerten vergangenes Jahr grosse Felsblöcke auf die Kantonsstrasse. «Meine Frau und die Kinder weinten. Ich rief bei der Gemeinde an, um zu fragen, ob eine Evakuation nötig sei», erinnert er sich. Ein erneutes Nein an der Urne bezeichnet er als Katastrophe. Denn der Gemeinderat betont, er habe keinen Plan B.

Wertsteigerung durch Schutzmassnahme

Für Weggis, eine der höchstverschuldeten Gemeinden des Kantons Luzern, sind die 4,14 Millionen Franken, kein Pappenstiel. Um sich nicht noch stärker zu verschulden, erwägt der Gemeinderat eine Steuererhöhung per 2016. Die Naturgefahren-Abstimmung stellt die Solidarität unter den Bürgern auf die Probe. Martin Hofmann fürchtet, dass insbesondere Bürger, die nach 2005 zugezogen sind und die zerstörerischen Folgen des Unwetters nicht mit eigenen Augen gesehen hätten, sich der Dringlichkeit der Schutzmassnahmen nicht bewusst sein könnten.

Abstimmung zur Kostenbeteiligung?

Wird die Naturgefahren-Vorlage angenommen, droht eine Auseinandersetzung um die Kostenbeteiligung der Grundeigentümer in den Gebieten. Der Gemeinderat hat beschlossen, dass die direkten Nutzniesser der Schutzmassnahmen einen Viertel der Baukosten tragen sollen, insgesamt also rund 1 Million Franken. «Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, einen Anteil an die Schutzmassnahmen zu leisten», sagt Ruedi Imgrüth. «Jedoch müssen in der Laugneri rund ein Dutzend Personen insgesamt etwa 800'000 Franken berappen.» Das sei für viele zu heftig. Dass man bei ähnlichen Projekten in der Vergangenheit keinen Beitrag von den Betroffenen verlangte sei ungerecht.

«Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für einen Systemwechsel», insistiert Gemeindeamman Baptist Lottenbach. Gemäss Imgrüth ist es sehr wahrscheinlich, dass die Betroffenen nach einem positiven Abstimmungsresultat eine Gemeindeinitiative lancieren. Unterstützung erhält das Vorhaben bereits von der SVP. Ohne sich für oder gegen die Perimeterbeiträge auszusprechen sagt Parteipräsident Roger Riwar, nicht der Gemeinderat, sondern das Volk solle darüber entscheiden.

Hinzu kommt, dass jene Grundstücke und Gebäude, die heute in der roten Gefahrenzone liegen, nach dem Bau der Schutzdämme aus dieser entlassen würden. Die Anwohner würden also nicht nur Sicherheit gewinnen, sondern auch von der Wertsteigerung ihres Eigentums profitieren. «2009 war eine Neidabstimmung», sagt auch Gemeindeamman Baptist Lottenbach. Er wünsche sich diesmal eine Solidaritätsabstimmung. Er erinnert daran, dass das Geld bei Kanton und Bund abholbereit sei. Es sei zudem unwahrscheinlich, dass Weggis zu einem anderen Zeitpunkt günstiger davonkommen würde.

Das Argument sticht – zumindest bei den Ortsparteien. CVP, FDP und – nach kontroverser Diskussion – auch die SVP befürworten die Vorlage. «Nichts zu tun, ist keine Alternative», sagt SVP-Präsident Roger Riwar. Man müsse diese Aufgabe jetzt anpacken, dazu sei man auch den gefährdeten Anwohnern gegenüber verpflichtet. An der CVP-Versammlung stimmte derweil nur eine Minderheit zu, doch die reichte, weil sich viele Parteimitglieder ihrer Stimme enthielten. «Ich bin vorsichtig zuversichtlich», sagt Gemeindeammann Lottenbach. Er spüre im Dorf aber durchaus Widerstand. Nur sei dieser schwer zu fassen.

Anonymer Aufruf ein Eigentor?

Tatsächlich äusserten sich die Gegner der Vorlage bislang kaum und schon gar nicht organisiert. «Ich kann gut damit leben, dass es eine Gegnerschaft gibt», sagt etwa Ruedi Imgrüth, der in der Laugneri aufgewachsen ist und vor zehn Jahren dort ein Haus baute. Aber dass man nicht wisse, mit wem man diskutieren müsse, sei ein Problem. Bereits 2009 hatte sich ein anonymes Komitee zu Wort gemeldet, dessen Mitglieder den Weggisern bis heute nicht bekannt sind. Für viele ist der anonyme Nein-Appell ein Affront. «Gegenüber den betroffenen Bewohnern der Gefahrenzone ist das sehr unanständig», sagt Gemeindeamman Lottenbach. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, die Schutzmassnahmen seien unausgereift. «Diese Flugblätter dienen einzig der Stimmungsmache», so der Gemeindeammann. Gut möglich, dass er recht behält mit seiner Vermutung, der Aufruf des anonymen Komitees könnte zum Eigentor werden.

 

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