Mein erstes Mal

Warum man beim Jodeln an Tarzan denken soll

Franz Stadelmann übt mit zwei Kursteilnehmerinnen den Singjodel. (Bild: Andrea Schelbert)

In einen Ballon blasen oder an den Ohrläppchen ziehen: Solche Sachen macht man im Jodelkurs von Vreny und Franz Stadelmann. Doch auch magische Äpfel, Tarzan und eine Reise nach Japan werden thematisiert.

Der Jodel ist ein Gesang, der mit der Seele harmoniert. Zu dieser Bilanz komme ich nach einem eintätigen Jodelkurs in Sörenberg – mein erstes Mal sozusagen. Denn wenn eine, die sonst vor allem Techno oder Trip Hop hört, beim Juuzen tatsächlich Gänsehaut bekommt, muss in diesem Gesang mehr als bloss folkloristische Unterhaltung stecken. Jodeln ist ein Ausdruck naturverbundener Freude, Jodeln hinterlässt ein Glücksgefühl. Oder, wie es Franz Stadelmann auf den Punkt bringt: «Der typische Jodler ist ein fröhlicher Mensch.»

Verschiedene Geschwister

Es ist ein herrlicher Morgen, als Vreny und  Franz Stadelmann ihre Kursteilnehmer in Sörenberg empfangen. Franz, der sofort das Du anbietet – «das baut Hemmungen ab» – sucht mit leiser Verzweiflung nach seinem Schlüssel. Er nimmt diverse Unterlagen aus seiner Mappe, wird nervös. Seine Schwester Vreny steht daneben und beobachtet ihn. Es ist eine Szene, die sich wohl schon viele Male ähnlich ereignet hat. Franz, 71, lebhaft, herzlich und chaotisch, und Vreny, 57, ruhig, überlegt und organisiert, sind charakterlich zwei sehr verschiedene Menschen. Später, beim gemeinsamen Mittagessen, wird Vreny erzählen: «Ich war immer die Bescheidenere von uns beiden. Ich stehe bis heute in seinem Schatten, das wird sich wohl nie ändern. Wenn das nicht so wäre, hätte die Zusammenarbeit zwischen uns nicht funktioniert.»

«Jietze», sagt Franz erleichtert, als er seinen Schlüssel endlich gefunden hat. Er öffnet die Tür zum Schulhaus, wo der viertägige Kurs des Biosphärenzentrums Entlebuch statt findet. 11 Personen wollen von Franz und Vreny das Jodeln erlernen, Käser Heinz ist aber noch nicht aufgetaucht. Er sei am Vorabend spät ins Bett gekommen, ist von anderen Kursteilnehmern zu erfahren. Die Hobby-Jodler wurden nach ihrem ersten Kurstag vom Biosphärenzentrum Entlebuch zum Abendessen eingeladen. Anschliessend wurde gejodelt und, wie anzunehmen ist, haben einige auch ihre Stimme geölt.

An den Ohrläppchen ziehen

Zwischen 45 und 70 Jahre alt sind sie und aus den Kantonen Bern, Luzern, Basel, Schwyz und Uri kommen die angehenden Jodler. Doch nicht mit Jodeln sondern mit Turnen startet der zweite Kurstag in Sörenberg. Vreny beginnt mit den Lockerungsübungen, bei denen man sich streckt, beugt und gegenseitig auf den Rücken klopft. «Achtet auf die Atmung», betont die erfahrene Jodlerin mehrmals. Die Kursteilnehmer werden aufgefordert, an den Ohrläppchen zu ziehen und mit den Händen übers Gesicht zu streicheln. «Diese Übungen öffnen den Gaumen», weiss Vreny. Fast 10 Minuten wird geturnt, Stadelmanns führen abwechslungsweise durch die vielen Übungen.

Die Atmung, die beim Jodeln von zentraler Bedeutung ist, wird als nächstes thematisiert. Wir lernen: «Es kommt bei der Tonbildung weniger auf die eingeatmete, zur Verfügung stehende Menge an Luft an. Sondern viel mehr darauf, dass die Lunge möglichst langsam wenig Luft abgibt.» Erfahrene Jodler wissen: Vreny und Franz sprechen von der Tiefen, Bauch- oder Zwerchfellatmung. «Gut geatmet ist halb gesungen», erfahren wir. Und auch die Fang-, Flanken und Rippenatmung wird behandelt. Franz verteilt Ballons, mit denen diese Atemtechnik besser geübt werden kann. «Probiert den Lachkrampf zu verhindern», sagt er, als einige Kursteilnehmer bei den Übungen lachen. Spätestens als aber einer Frau ein mit Luft gefüllter Ballon entwischt, ist es mit dem Ernst vorbei: Wir lachen wie kleine Kinder, die sich über einen gelungenen Streich freuen.

Zauberäpfel?!

Pause. Franz isst einen Apfel, dem er magische Kräfte zuordnet. Er sei vor einem wichtigen Auftritt heiser gewesen und habe den ganzen Tag nur Äpfel gegessen. Wie viele? «Jiuu», meint Franz und verwirft die Hände. Es seien mehr als 10 Stück gewesen «Auf jeden Fall haben sie mir geholfen, ich konnte am Abend  jodeln.»

Seine Schwester Vreny meint dazu: «Ich werde immer wieder gefragt, welche Mittel denn nun gut für die Stimme sind. Es spielt keine Rolle, ob es ein Apfel, Weisswein oder Rotwein ist. Letztlich landet alles im Magen und nicht bei den Stimmbändern.» Der Nutzen solcher Hausmittelchen sei vor allem auf den psychologischen Effekt zurückzuführen: «Wenn einer meint, dass ihm ein Glas Weisswein vor dem Auftritt hilft, soll er es weiterhin trinken.»

Das Abenteuer Japan

Franz aber wird weiterhin zahlreiche Äpfel essen. Denn mit dem Jodeln aufhören, das will er nicht. «Ich habe es zeitlich nicht limitiert, ich singe, solange ich gesund bin und die Energie dafür habe», sagt der 71-Jährige. Vielleicht ist es seine lustige, direkte und umkomplizierte Art, die diesen Jodelkurs zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. Oder die Kunst, Geschichten amüsant und interessant zu erzählen, die der Luzerner beherrscht.

So berichtet er etwa von seiner Reise, die für ihn ein Abenteuer sondergleichen wurde. Dank den Kontakten von Wysel Gyr sei er vor rund 30 Jahren nach Japan gereist, um dort mehrere Jodelkurse an verschiedenen Orten zu leiten. Überall seien Plakate mit einem Foto von ihm aufgehängt gewesen. «Japan ist ja so gross, sodass ich jeweils im Auto geschlafen habe, um wieder rechtzeitig am nächsten Ort zu sein. Das würde heute auch keiner mehr machen», erzählt er lachend. Die Japaner seien vom Jodeln extrem begeistert gewesen, «ich musste aufpassen, dass ich von ihnen nicht zerquetscht worden bin.» Sie hätten ihn beinahe nicht mehr gehen lassen, «ganz verreckt.» Nach diesem Kurs, so berichtet Franz stolz, wurden in Japan 5 Jodlerclubs gegründet, die bis heute bestehen.

Lob vom Star

Und dann packt Franz seine Orgel und es geht endlich zur Sache: Sein selbst komponiertes «Fesslijödeli» werden wir nun lernen. Käser Heinz ist inzwischen auch erschienen, mit leicht geröteten Augen und einem verschmitzten Lächeln. Das Fesslijödeli ist ein Schulungsjodel, über den Franz sagt: «Wer ihn beherrscht, der kann wirklich jodeln.» Wir starten mit dem ersten Teil, dem Singjodel. Die Melodie ist einfach, Franz begleitet auf der Orgel. Schon nach wenigen Minuten sollen wir einzeln jodeln, die meisten Kursteilnehmer zögern. «Es kann nichts passieren, ich helfe euch», ermuntert der Experte. Die erste Kursteilnehmerin wagt es, der Singjodel gelingt ihr hervorragend. Auch die Schreibende probiert es. «Du hast Talent und Musikgehör, mit dir hätte ich es bald geschafft», lobt Franz.

An Tarzan denken

Seine Begeisterung fürs Jodeln ist ansteckend, sein Enthusiasmus beinahe grenzenlos. Wir lernen viele Fachbegriffe kennen, wechseln von Brust- auf Kopfstimme und hören Fakten über die Schwelltontechnik oder die Tongestaltung. Wir erfahren auch, was eine gefährliche Schaltlage ist: «Erst wenn das Forte der Schaltlage mühelos im Schwellton-Forte gelingt, wird die Jodelstimme im Stande sein, alle ihr gestellten Aufgaben befriedigend zu lösen.» Wir üben den Kehlkopfschlagjodel, der beim Jodeln am meisten angewandt wird. «Es gibt kaum einen Jodel ohne Kehlkopfschlag», sagt Franz. Beim Kehlkopfschlagjodel dürfen nur O und U gesungen werden, was einfacher gesagt als getan ist. Immer wieder schleicht sich ein unerwünschtes H dazwischen.

Fachfrau Vreny rät uns, dabei an Tarzan zu denken. Wir lachen, solche witzigen Momente gibt es viele. Franz erklärt uns, dass man beim Jodeln nicht «bäägge» -lärmen- dürfe. «Das machen nur nicht geschulte oder nicht kultivierte Jodler.» Manchmal wird er gar etwas philosophisch. «Jodeln ist eine Intelligenzfrage», behauptet er. Ein «dummer Siech» könne nie wirklich jodeln, weil er es nicht verstehen würde, die vielen so wichtigen Finessen anzuwenden.

Die Königsdisziplin

Erst gegen Ende des Kurstages lernen wir die Kür des Jodelns, die nur wenige Jodler beherrschen, kennen: Der Zungenschlagjodel, laut Franz «das Feinste vom Feinsten.» Dieser Jodel sei eine typische und lüpfige Innerschweizer Eigenart. «Im Kanton Bern etwa ist der Zungenschlagjodel verpönt», erklärt Franz. Stadelmanns beherrschen diese Königsklasse, die Kursteilnehmer haben jedoch Schwierigkeiten. Keiner schafft es an diesem Tag, diesen Jodel zu lernen, was aber niemanden stört. «Ich habe heute sehr viel profitiert», schwärmt die 68-jährige Rosmarie Gander aus Immensee. «Es gibt so viele Jodellieder, die mich berühren», meint ihre Kollegin Marlies Ledemann (55) aus Altdorf. Und auch ich bin vom Jodeln nachhaltig beeindruckt: Ich übe auf dem Heimweg nach Muotathal das Fesslijödeli und wünsche mir, so schön, dynamisch und rein zu jodeln wie es Vreny Stadelmann vorgemacht hat. Allerdings hat die Luzerner Jodel-Expertin am anderen Tag bestimmt kein Halsweh…

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Blanca Imboden
    Blanca Imboden, 23.08.2013, 10:12 Uhr

    Interessant. Gut geschrieben. Habe grad selber eine Jodel-Attacke bekommen.

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