Gemeinnützige Gesellschaft Zug vor Gericht

Eine Lehrerin bricht das Schweigen

Die Primarstufe der Sonderschule Horbach auf dem Zugerberg (Bild: zentral +)

Einer Heilpädagogin der Tagesschule Horbach wird ohne Grund gekündigt, sie geht vor Gericht. Gegen ihre Arbeitgeberin – die Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Zug (GGZ). Diese muss der Lehrerin 15’000 Franken zahlen. Der bisher unbekannte Fall deckt eine Reihe von Missständen an der Sonderschule auf dem Zugerberg auf.

«Die Kündigung vom 15. Juni 2012 löste bei mir einen Schock aus», sagt *Marianne F. «Es brach eine Welt zusammen. Bis Ende des Vorjahres war ich noch Mitglied der Schulleitung, meine Arbeitszeugnisse sind einwandfrei, warum hätte man mir kündigen sollen?», fragt die Heilpädagogin, die während zwanzig Jahren verhaltensauffällige Kinder an der Tagesschule Horbach unterrichtete (siehe Box).

Sehr schnell wurde ihr bewusst, dass sie die Kündigung nicht auf sich sitzen lassen will. Marianne F. erhob Anklage und der Streit mit ihrer Arbeitgeberin, der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug (GGZ), endete vor dem Zuger Kantonsgericht. Sie klagte die GGZ wegen missbräuchlicher Kündigung an – das Arbeitsverhältnis wurde unbegründet und ohne jegliche Vorwarnung aufgelöst. Kommt hinzu, dass Marianne F. ihre Stelle zwei Tage nach einer Aussprache mit der Geschäftsleitung verlor. Eine Aussprache, die vierzehn Mitarbeitende aufgrund verschiedener Missstände im Mai 2012 verlangt hatten.

Für die GGZ wäre es brenzlig geworden

Unserer Redaktion vorliegende Dokumente zeigen, dass Marianne F. nur eine von vielen Lehrpersonen ist, die einen abrupten Abgang erlebten. Langjährige Mitarbeiter wurden zur Kündigung gezwungen, der damalige Internatsleiter wurde abgesetzt. Auslöser für diese hohe Fluktuation war eine Reorganisation.

Für Marianne F. ist klar: «Das geht einfach nicht, wie an dieser Schule mit Lehrpersonen umgesprungen wird» und sie fragt sich, ob die aktuelle Personalsituation rechtens sei: «Wie kann es sein, dass eine Sonderschule, welche heilpädagogische Förderung anbietet, ohne einen schulischen Heilpädagogen im Kanton Zug tätig sein darf?» Laut F. verliessen innerhalb von zwei Jahren sechs Heilpädagogen die Schule. Wie der Ausgang des Gerichtsfalls nun zeigt, erhob die Heilpädagogin zu Recht Anklage. Die GGZ musste der Klägerin nach einer gerichtlichen Einigung im Mai dieses Jahres 15’000 Franken bezahlen. Hätte Marianne F. den Fall noch weitergezogen, wäre es für die GGZ brenzlig geworden – sie hätte den Fall wohl verloren.

Die GGZ und der Horbach

Das Internat/Tagesschule Horbach auf dem Zugerberg gehört der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug (GGZ). Sie ist mit rund 370 Angestellten eine wichtige Arbeitgeberin im Kanton Zug. In der Tagesschule – sie wurde aufgrund ihrer Lage im Wald bis vor einigen Jahren «Waldschule Horbach» genannt – werden seit 1938 verhaltensauffällige Kinder im Primarschulalter unterrichtet.

Einige von ihnen wohnen auch im dazugehörigen Internat. Am Standort Artherstrasse beim alten Kantonsspital werden die Oberstufenschüler der Schule Horbach unterrichtet. Die GGZ will in einen Neubau der Schule investieren und noch dieses Jahr den neuen Standort bekannt geben.

Doch zurück zum Anfang. Die Schul- und Institutsleitung des Internats / Tagesschule Horbach wurde ab Ende 2011 reorganisiert. Damals übernahm Thilo Behrendt die Geschäftsleitung. Im Februar 2012 stellte er Andreas Kaufmann als Standortleiter im Bereich Schule & Internat ein. «Die neuen Leiter kamen bald in Konflikt mit den langjährigen Mitarbeitenden», schildert Marianne F..

Laut Anklageschrift kam es zu Auseinandersetzungen, weil die «zum Teil schulfernen Vorgesetzten rasch Massnahmen und Reorganisationen kommunizierten und durchführten, die sich in der Folge nicht bewährten.» Andreas Kaufmann war früher in einer Bank tätig und hatte vor seinem Stellenantritt als Bereichsleiter ein Wohnheim für Blinde geleitet. «Der schulische Hintergrund fehlte», sagt F.. Zu dieser Zeit sei die Fluktuation an der Schule so hoch gewesen, dass es schwierig gewesen sei, guten Unterricht zu garantieren.

Eskalation: Der Vorwurf der Selbstverwirklichung

Eine Informationsveranstaltung im Mai 2012 brachte die Situation letztlich zum Eskalieren. Den Horbach-Mitarbeitenden wurde von GGZ-Geschäftsleiter Peter Fehr sowie von Schulleiter Thilo Behrendt vorgeworfen, ihre Selbstverwirklichung sei ihnen wichtiger als die Kinder. Gleichzeitig wurden sie informiert, dass zwei langjährige Mitarbeitende die Schule verlassen sollten. Es waren dies der damalige Internatsleiter und eine Heilpädagogin, die vor Behrendt stellvertretende Geschäftsführerin war (sie wollen nicht mit Namen genannt werden). Laut der vorliegenden Anklageschrift wurde der Internatsleiter abgesetzt und für die stellvertretende Geschäftsführerin wurden Bedingungen geschaffen, die für sie nicht mehr tragbar waren.

Weil die anderen Lehrpersonen das nicht akzeptieren wollten, baten sie die GGZ-Führung in einem Brief um eine Aussprache. Vierzehn Mitarbeitende unterschrieben den an GGZ-Präsident Alex Staub und die Vorstandsmitglieder der GGZ adressierten Brief. Auch Marianne F.. Für sie war der Abgang der beiden Mitarbeitenden nicht nachvollziehbar: «Alle Mitarbeitenden des Horbachs wissen, was diese zwei Menschen für unsere Schule geleistet haben. Waren es doch ihre Visionen, eine Oberstufe im Kanton Zug für verhaltensauffällige Schüler zu schaffen.» Es seien klar ihre Verdienste gewesen, dass die Horbach-Schule im Kanton Zug Anerkennung gefunden habe.

Die Lehrerschaft forderte, dass eine Delegation von Mitarbeitenden die Möglichkeit erhält, ihre Anliegen und Ängste der Leitung der GGZ vorzutragen. Frau F. und eine Kollegin aus der Oberstufe wurden schliesslich zum Gespräch mit Staub und GGZ-Geschäftsleiter Peter Fehr eingeladen. Dieses fand am 13. Juni 2012 statt. F. legte die für die Lehrpersonen unbefriedigende Situation offen und sprach auch die Reorganisation sowie ein Problem bezüglich der Pausenaufsicht an. «Es wurde uns zugesichert, die Missstände anzugehen», sagt F.. Doch zwei Tage nach dieser Aussprache war sie ihren Job los.

«Es gab keinen Grund, Frau F. zu kündigen»

Und so kam es zum Prozess. Wie die Anwältin der Klägerin, Susanne Raess, auf Anfrage von zentral+ festhält, handelte es sich eindeutig um eine missbräuchliche Kündigung. «Erstens gab es keinen Grund, Frau F. zu kündigen. Das konnte die GGZ nicht belegen. Und zweitens ist es ganz klar, dass zwischen der Aussprache mit der GGZ-Leitung und der Kündigung ein zeitlicher Zusammenhang besteht», so Raess. Auch das Gericht hat dies laut Raess so gesehen und deshalb einen Vergleich vorgeschlagen. «Es war allen klar, dass es in diesem Fall für die Schule nicht gut aussah», so Raess. Auch die Zahlung von 15’000 Franken an Frau F. belege, dass die GGZ anerkenne, dass Fehler passiert sind.

Die GGZ äussert sich nicht zum Fall. Weder Schulleiter Thilo Behrendt, noch GGZ-Geschäftsleiter Peter Fehr melden sich zu Wort. «Für uns ist die Sache mit dem Ende des Verfahrens abgeschlossenen, darum möchten wir in dieser Personalie keine weitere Stellungnahme abgeben», schreibt Behrendt auf Anfrage.

Der Kanton weiss von nichts

Bei der Bildungsdirektion des Kantons Zug hat man von dem Fall keine Kenntnis, wie Regierungsrat Stephan Schleiss auf Anfrage bestätigt. Der Kanton hat aber eine Leistungsvereinbarung mit der Schule Horbach und das Amt für gemeindliche Schulen führt ein jährliches Controlling durch. Dieses bezieht sich auf die Finanzierung und auf die Qualität der Leistungen. Der stellvertretende Generalsekretär der Direktion für Bildung und Kultur, Lukas Fürrer sagt: «In diesen zwei Bereichen liegen zur Zeit keine Beanstandungen vor. Wo wir im Bild sein müssen, sind wir im Bild.» 

«Wie kann es sein, dass das niemand merkt und niemand etwas dagegen unternimmt?»

Marianne F., Klägerin gegen die GGZ

Er räumt aber ein, «dass gemäss geltenden Vorgaben der Interkantonalen Vereinbarung für soziale Einrichtungen (IVSE) die Schule allgemein verpflichtet ist, besondere Vorkommnisse zu melden.» Weil aber eine Kündigung eine zentrale Aufgabe der Personalführung sei, die in die Zuständigkeit der Schulleitung falle, stelle sie nicht zwingend ein besonderes Vorkommnis dar, so Fürrer. Und weil die Schule eine private Trägerschaft hat, gilt das Obligationenrecht und nicht das Lehrpersonalgesetz des Kantons. «Die Schulleitung ist in ihrer operativen Führung der Trägerschaft, in diesem Fall der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug, Rechenschaft schuldig und nicht dem Kanton», sagt Fürrer.

Was bei Marianne F. zurückbleibt, ist grosse Enttäuschung. «Gerade von der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug hätte ich nicht erwartet, dass sie mit Mitarbeitenden so umgeht.» Andere ehemalige Mitarbeitende der Schule wollten auf Anfrage von zentral+ nicht öffentlich Stellung nehmen. Eine Person, die nicht mit Namen genannt werden möchte, wollte das Ganze nicht wieder aufrollen. Die Sache zu verarbeiten, habe viel zu viel Kraft gekostet.

Eines kann Marianne F. nicht verstehen: «Innerhalb von zwei Jahren verliessen sechs Heilpädagogen und Heilpädagoginnen diese Schule, weil sie mussten oder die Bedingungen nicht mehr haltbar waren. Wie kann es sein, dass das niemand merkt und niemand etwas dagegen unternimmt?»

* Name der Redaktion bekannt. 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Markus Mathis
    Markus Mathis, 03.10.2014, 15:57 Uhr

    Gern wird von bürgerlichen Politikern » the Spirit of Zug» als etwas besonders Segensreiches für den Spirit of Zug beschrieben. Die Spirit of Zug bedeutet, dass der Kanton Zug viele Aufgaben an Private überträgt, so eine schlanke Verwaltung behält und von der Effizienz der im Wettbewerb stehenden privaten Anbietern profitieren kann.

    Im sozialen Bereich wurde dieser Spirit allerdings gewaltig pervertiert. Auch dort arbeitet man gern mit Privaten zusammen, allerdings gibt es in vielen Bereichen mittlerweile einen Monopolisten, die Gemeinnützige Gesellschaft Zug.

    Im sozialen Bereich des Kantons Zug ist die GGZ das, was die Katholische Kirche vor 100 Jahren war.

    Durch ihr Monopol kann sie von der öffentlichen Hand verlangen, was sie will. Statt Effizienz durch Wettbewerb resultiert Ineffizienz durch Marktbeherrschung.

    Problematisch finde ich auch die Kumpanei mit den Behörden. Die GGZ ist u.a. dadurch in ihre Stellung gekommen, dass ihre Repräsentanten wichtige Grössen aus der Zuger Wirtschaft waren, mit den Exekutivpolitikern und Chefbeamten auf Du und Du, die und zum Karriereschluss quasi als Altershobby für die GGZ weibelten. Unter Amigos hilft man sich natürlich und tritt sich auch nicht gegenseitig auf die Zehen, schliesslich sieht man sich vielleicht beim Treffen des Rotary-Clubs wieder oder beim EVZ- Match.

    Möglicherweise ist das Ganze einfach eine Folge der Kleinräumigkeit in Zug, aber irgendwie überraschen mich die Vorgänge im Horbach nicht, sondern scheinen mir vielmehr ein Symptom der allg. Verfilzung in Zug zu sein.

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