Herdenschutz

Entlebuch: Von wegen Idylle auf der Alp Grön

Gefahr für die Schafe: Ein Wolf bringt viel Unruhe auf die Alp Grön. (Bild: iStockphotos.com)

Ein Alpsommer im Entlebuch kann traumhaft sein. Grund zur Entspannung ist das auf der Alp Grön nicht. Man fürchtet sich vor dem herumstreifenden Wolf. Ein Besuch beim Bergbauern Fritz Felder, der seine Schafe mit aggressiven Hunden schützt.

Weit oberhalb der Entlebucher Gemeinde Flühli liegt inmitten saftiger Alpweiden und karger Geröllfelder die Alp Grön, ein abgelegenes Idyll auf 1530 m.ü.M. Über den weidenden Kühen thront das Kalkmassiv der Grönflue. Weiter unten rauscht der Bergbach, in der Ferne sind die Berner Alpen zu sehen.

Seit Jahrzehnten verbringt der Bergbauer Fritz Felder hier – in dieser wunderschönen Gegend – den Sommer. 129 Stück Vieh, 200 Schafe und ein paar Ziegen halten ihn und seine Familie auf Trab. Felders Händedruck ist kräftig, seine Stimme ruhig. Wenn er vom «Problem» erzählt, wirkt er nachdenklich. Das Problem hier, das ist der Wolf. «Das erste Mal schlug er gleich hier oben im Wald zu», erzählt der stämmige Älpler und zeigt in Richtung der Felswände der Grönflue. «Danach erwischte er ein Lamm direkt neben dem Haus.

Es ist nicht der Ärger über verlorene Schafe, sondern Entsetzen über die nächtliche Gräueltat.

Das war 2009, als der Wolf mit einem Paukenschlag in den Kanton Luzern zurückkehrte. Innert wenigen Monaten fielen ihm 44 Schafe zum Opfer, die meisten davon auf dem Gemeindegebiet von Flühli. Es ist nicht der Ärger über verlorene Schafe, der in Felders Stimme mitschwingt, sondern Entsetzen über die nächtliche Gräueltat. «Der Wolf weiss, wo er zubeissen muss», sagt Felder. «Am Hals, um die Luft abzuschneiden.» Weil damals die Schafherden noch ungeschützt weideten, hatte der Wolf namens M20 leichtes Spiel. In der Dunkelheit holte er sich, was ihm beliebte.

Mit Hunden gegen den Wolf

Die behördliche Abschussverfügung erlosch erfolglos, M20 zieht seither ungestört durch die Entlebucher Wälder. In den letzten drei Jahren fielen ihm weitere 23 Schafe und fünf Ziegen zum Opfer. Zum letzten Mal wurde er Anfang März im Gebiet Junkholz gesichtet, rund sechs Kilometer von der Alp Grön entfernt.

Die rückläufigen Schadenszahlen sind ein starkes Indiz für den Erfolg der eingeführten Herdenschutzmassnahmen. Auch Fritz Felder und sein Nachbar Heinz Schmid haben ihre Schafherden zusammengelegt und zwei Herdenschutzhunde angeschafft. «Anfangs klappte das gar nicht», erinnert sich Felder. Die Hunde seien manchmal einfach weg gelaufen, anstatt bei der Herde zu bleiben.

Herdenschutzhunde lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen in die Herde integrieren. Die gegenseitige Angewöhnung braucht Zeit. Mittlerweile verbringen die weisshaarigen Vierbeiner Zora und Laika bereits ihren vierten Alpsommer bei Schmid und Felder. Sie gehören der italienischen Hunderasse Maremmano Abruzzese an.

«Der Wolf weiss, wo er zubeissen muss. Am Hals, um die Luft abzuschneiden.»

Ihr Job ist nicht, die Herde zu hüten und zu treiben, sondern sie vor Grossraubtieren zu schützen. Sollte der Wolf trotz des Zaunes zu den Schafen vorstossen, würde er von den kräftigen Herdenschutzhunden mit lautem Gebell vertrieben.

Mehr als eine Stunde läuft Felder, um oben an den steilen Hängen der Schwändiliflue nach Schafen und Hunden zu sehen. Mit dem täglichen Kontrollgang wechselt er sich mit Nachbar Schmid ab. «Wir gehen immer morgens hoch. Falls der Wolf in der Nacht angegriffen hat, muss das möglichst schnell gemeldet werden.» Bemerken die Älpler einen Schafriss zu spät, ist der Nachweis schwierig.

Zusatzaufwand auf eigene Rechnung

Für den Kauf der Hunde wurden die beiden Älpler von diversen Seiten vollumfänglich entschädigt, für die Futterkosten teilweise. Tierarztkosten müssen sie selber übernehmen. «Das ist recht happig», sagt Felder. «Die Hunde dürfen keinesfalls krank werden und man muss sie impfen und entwurmen.» Wegen der zusätzlichen Belastung habe er auch schon daran gedacht, mit den Schafen aufzuhören, gibt Felder zu.

Die Schafsömmerung ist jedoch ein wichtiger Einkommensbestandteil für Älpler wie Fritz Felder. Weil er die Mehrkosten des Herdenschutzes nicht auf die Schafbesitzer abwälzen kann, wünscht er sich höhere Sömmerungsbeiträge des Bundes. Auf Bundesebene wird zurzeit die entsprechende Verordnung revidiert. Zusätzlich fordern nicht nur der Schafzuchtverband, sondern auch Umweltverbände wie WWF und Pro Natura einen separaten Herdenschutzbeitrag.

Ungelöste Konflikte mit Wanderern

Der Herdenschutz beschert Fritz Felder aber nicht nur Aufwand und Kosten, sondern auch Ärger mit Wanderern. Quer durch alle vier Schafweiden führt nämlich ein Wanderweg. «Ihn auszuzäunen wäre ein enormer Aufwand und finanziell nicht tragbar», sagt Felder. Wanderer kommen also um die Schafe nicht herum – und auch nicht um die Herdenschutzhunde.

Und mit diesen ist nicht zu spassen: Kommen sie laut bellend angerannt, entfernt man sich am Besten so schnell wie möglich. An den Zäunen hängen zwar Tafeln mit entsprechenden Verhaltensanweisungen, doch selbst für Menschen, die keine Angst vor Hunden haben, sind solche Begegnungen alles andere als angenehm.

Bei Sörenberg-Flühli Tourismus trafen deswegen schon vereinzelt Klagen ein. «Die Hunde sind aber kein Touristenschreck, auch wenn es manchmal recht unangenehm werden kann», beteuert Tourismusdirektorin Carolina Rüegg. Sie nimmt die Reklamationen ernst. Verhalten sich Herdenschutzhunde zu aggressiv, benachrichtigt Rüegg den kantonalen Herdenschutzbeauftragten.

Zu aggressive Hunde müssten ersetzt werden

Langfristig könnten Lamas oder Esel einen Ausweg aus dem Herdenschutzdilemma bieten. Im Kanton Luzern läuft ein entsprechendes Pilotprojekt. «Ziel ist es, in Gebieten, welche ein hohes Besucheraufkommen durch Wanderer und Biker haben, die Herden mit Lamas oder Eseln zu schützen», erklärt Heinrich Wachter von der kantonalen Koordinationsstelle Herdenschutz. Zurzeit laufen Untersuchungen zu deren Wirksamkeit.

Fritz Felder klemmt derweil zwischen Stuhl und Bank. Etwas ratlos sagt er, dass es ihm ja auch lieber wäre, wenn er seine Schafe ohne Herdenschutzhunde weiden lassen könnte. Da einer seiner Hunde nicht nur laut bellt, sondern auch schon Wanderer angesprungen hat, muss er ihn schlimmstenfalls ersetzen. «Und das alles wegen dem Wolf», seufzt Felder. Einen Platz für das Grossraubtier sieht er in der Schweiz nämlich nicht. Der Wolf sei «eine Gefährdung für alles», fügt er leise hinzu.

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