Nachtleben

Partyvolk fordert Anwohner heraus

Littering in Luzern – ein Problem, das zum Himmel stinkt. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Abfall an Seeufer, Urin an Häuserwänden, schlafraubender Lärm – nicht nur in der Stadt Luzern machen Nachtschwärmer den Anwohnern das Leben schwer. Massnahmen gegen die Emissionen gibt es zur Genüge, aber eine griffige Lösung gibt es bis heute nicht.

Die Dosen zischen im Minutentakt. Rund um das Luzerner Seebecken findet sich kaum mehr ein freies Plätzchen an diesem lauen Samstagabend. Die einen lassen den lang ersehnten sonnigen Tag ausklingen, die anderen bereiten sich mit Döner, Dosenbier und Billigwodka auf das Nachtleben vor. Besonders der Europaplatz vor dem KKL und das Inseli hinter der Uni scheinen äusserst beliebte Plätze zu sein.

Zu vorgerückter Stunde lichten sich die Menschenmassen am See immer mehr, und was zurückbleibt, ist Abfall: Dosen und Flaschen, Dönerpapier und Servietten. Darauf angesprochen, sagt ein sichtlich angetrunkener Jugendlicher: «Na und? Schau dich doch mal um. Das machen doch alle so. Wieso sollen wir uns denn die Mühe machen?» Tatsächlich: Es kümmert niemanden. Alle paar Schritte findet sich Weggeworfenes, zum Teil direkt neben den Mülleimern. Littering nennt man das.

«Wenn ich am Sonntagmorgen zum Joggen will, muss ich zuerst die Pisse wegputzen»

Littering ist jedoch nur eines von mehreren Problemen, die die Nachtschwärmer in Luzern verursachen. Vor allem Emissionen wie Lärm, Vandalismus und öffentliches Urinieren rauben den Anwohnern in «nachtaktiven» Quartieren nicht nur den Schlaf, sondern bescheren ihnen auch zum Himmel stinkende Überraschungen am Morgen. «Wenn ich am Sonntagmorgen zum Joggen will, muss ich zuerst die Pisse wegputzen, die unter der Tür hindurch in die Eingangshalle läuft», sagt Gisèle Mengis, Anwohnerin der Morgartenstrasse, eine Querstrasse zur am Wochenende hochfrequentierten Frankenstrasse.

Mengis fordert die Behörden lediglich auf, sich dem Problem ernsthaft anzunehmen. Dazu hat sie letztes Jahr im Namen der Anwohner der Frankenstrasse eine Motion (mittlerweile als Postulat überwiesen) bei der Stadt Luzern eingereicht, die mehr Polizeipräsenz fordert – mindestens zwei Patrouillen pro Nacht. Gisèle Mengis verlangt schlicht, dass man sich an das Gesetz hält: «Die Polizei kennt die Gesetze. Trotzdem werden weder Littering noch Lärm verzeigt.» Dass es wie im Fall Opera Club zu Schliessungen oder gravierend verkürzten Öffnungszeiten kommt, sei jedoch nicht in ihrem Sinn.

Ausgangszonen sollen die Situation entschärfen

Mehr Polizei, schmerzhafte Bussen und andere Repressionen sind aber lediglich einer von vielen möglichen Ansätzen, über die Probleme Herr zu werden. Ein anderer Lösungsvorschlag kommt von den Lokalbetreibern der Stadt. So reichte Patrick Grinschgl, Präsident Gastro Region Luzern kürzlich eine Motion ein, in der die Stadt Luzern sogenannte Ausgangszonen definieren soll.

Was in Bern schon längere Zeit ernsthaft ins Auge gefasst wird, könne auch die angespannte Situation in Luzern entschärfen, sagt Grinschgl. In einer Ausgangszone müssten Anwohner mit erhöhten Lärmemissionen rechnen. Zudem sei es für Betriebe leichter, regelmässige Verlängerungen der Öffnungszeiten zu erhalten. Wo diese Zonen schliesslich liegen sollen, kann Patrick Grinschgl noch nicht sagen. Aber: «Die Neustadt ist ein beliebtes Ausgehquartier. Deshalb ist es sehr denkbar, dass sich dort eine Ausgangszone definieren lassen würde.» Erst müsse sich der Stadtrat jedoch ernsthaft der Motion annehmen, so Grinschgl, dann könne man konkret weiterschauen.

70 Prozent der Luzerner Nachtschwärmer sind Auswärtige

Bereits seit 2005 läuft eine Massnahme der Stadt Luzern, die primär auf den Dialog mit Jugendlichen setzt. Die Einsatzgruppe SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) engagiert sich in Zusammenarbeit mit Polizei, Strasseninspektorat und Privaten für Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum. Christina Rubin, Teamleiterin bei der SIP ist überzeugt, dass die Arbeit der Frauen und Männer in den dunkelroten Jacken grosse Wirkung zeigt: «Wir versuchen vor allem über das Gespräch mit den Jugendlichen an ihre Eigenverantwortung zu appellieren. Und das funktioniert bisher sehr gut.»

Eigenverantwortung ist auch für Maurice Illi, Sicherheitsmanager der Stadt Luzern ein zentraler Gedanke, aber: «Etwa 70 Prozent der Luzerner Nachtschwärmer sind Auswärtige, die mehr oder weniger anonym unterwegs sind. Daraus entsteht eine Form von Gleichgültigkeit, die den Eigenverantwortungsgedanken überstimmt.» Ein Jugendlicher aus dem Kanton Nidwalden beispielsweise kümmere es sicher weniger, ob im öffentlichen Raum in der Stadt Luzern Ruhe und Ordnung herrscht, als ein Bewohner der Stadt, der sich täglich hier aufhalte, sagt Illi.

Relativ gesehen, passiert heute weniger als früher

Bei der ganzen Debatte sollten aber auch die Veränderungen zu früher nicht ausser Acht gelassen werden, ergänzt der seit 2007 amtierende Luzerner Sicherheitsmanager. «Wir leben in einer Spassgesellschaft, die weit weniger Grenzen kennt als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Hatte man früher nur wenige Stunden Zeit zum Trinken und Feiern, da um halb Eins Schluss war, so kann heute die ganze Nacht durchgefeiert werden. Das führt automatisch zu mehr Konsum und folglich auch zu mehr Emissionen.»

Gleichzeitig habe auch die beinahe uneingeschränkte Erreichbarkeit der Städte durch Nachtbusse zur Folge, dass sich immer mehr Menschen am Wochenende im öffentlichen Raum befänden, sagt Illi. «Nachtbusse sind zwar wichtig, damit sich die Leute auf dem Nachhauseweg nicht angetrunken hinters Steuer setzen, aber sie bringen auch die ganzen Massen vom Land in die Stadt. Dies führt wiederum zum Problem der Anonymität und weniger Rücksichtnahme seitens der Nachtschwärmer.»

Dennoch sei die Entwicklung relativ gesehen positiv. «Vergleicht man die stets zunehmende Anzahl an Nachtschwärmern mit der weniger stark wachsenden Anzahl an Vorkommnissen, so lässt sich daraus schliessen, dass die bislang getroffenen Massnahmen Wirkung zeigen», so Maurice Illi.

Nebst den präventiven und deeskalierenden Massnahmen der Stadt Luzern, versuchen auch die Lokalbetreiber aktiv ihren Beitrag zu leisten. Etliche Luzerner Bars und Clubs haben sich unter der Kollektivmarke «Safer Clubbing» zusammengetan, um für einen sicheren und sauberen Ausgang zu sorgen. Safer Clubbing ist ein Label mit Mitgliedern in Zürich, Bern, Winterthur, Luzern, St. Gallen und den Kantonen Aargau und Tessin.

Zug versuchts mit einer Littering-Toolbox

Auch in der Stadt Zug, vor allem rund um den Zugersee, ist Littering ein grosses Ärgernis. Mittels verschiedenster Massnahmen versucht man dort, das unappetitliche  Problem in den Griff zu bekommen – bisher mit mässigem Erfolg. Neu dürfen künftig auch im Kanton Zug Littering-Sünder mit Sofortbussen von 100 Franken bestraft werden. Zudem bietet die erst kürzlich eingeführte Toolbox eine Internetplattform, auf der Erfahrungen, Informationen und Vorschläge über Littering gesammelt, ausgetauscht und zentralisiert verarbeitet werden können.

Die gleichen Probleme – von St. Gallen bis Genf

Massnahmen über Massnahmen. Und doch scheint eine Lösung in weiter Ferne. Schaut man über die Kantonsgrenzen hinaus, wird schnell klar, dass sich beinahe jede grössere Schweizer Stadt mit den gleichen Problemen herumschlägt – jedoch auf unterschiedliche Art und Weise.

Der Schweizerische Städteverband veröffentlichte kürzlich eine Situationsanalyse über das Nachtleben. Darin werden von St. Gallen bis Genf unterschiedlichste Vorkehrungen im Kampf gegen Lärm, Müll und Vandalismus vorgestellt sowie aufgezeigt, inwiefern die Massnahmen bisher gegriffen oder eben nicht gegriffen haben. Die Grundproblematik wird dabei vor allem auf eines zurückgeführt: Alkohol.

So herrscht beispielsweise in Chur zwischen 0.30 und 7.00 Uhr ein Alkoholkonsumverbot in Siedlungsgebieten. Auch wenn das Verbot lediglich mit Augenmass durchgesetzt wird, würden in Chur jährlich etwa 60 Ordnungsbussen ausgesprochen, wie es im Bericht heisst.

In St. Gallen ist der Alkoholverkauf grundsätzlich von Montag bis Samstag ab 22 Uhr, sonntags ab 21 Uhr verboten. Laut der Analyse des Städteverbandes löst dies die Probleme jedoch nicht, im Gegenteil: Die Jugendlichen würden sich einfach vor der zeitlichen Verkaufsbeschränkung mit Alkohol eindecken, mit der Folge, dass sie eher mehr einkaufen, als wenn jederzeit neuer Alkohol besorgt werden könnte.

Auch die 2004 bundesweit eingeführte Preiserhöhung von Alcopops (alkoholische Süssgetränke), wirkte sich bisher eher kontraproduktiv aus. Zwar sei der Umsatz von Alcopops klar zurückgegangen, jedoch sei es gleichzeitig zum problematischen Trend des «Selbermischens» von Hochprozentigem und Süssgetränken gekommen.

Repressions-Präventions-Mix

Lausanne versucht mit der «heure blanche» den nächtlichen Emissionen entgegenzuwirken. Um 5.00 Uhr schliessen alle Betriebe für eine Stunde. Auch wenn die Auswirkungen der «heure blanche» noch nicht formell ausgewertet worden sind, so wird im Bericht des Städteverbandes der mögliche Negativeffekt erwähnt, dass sich sehr viele Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig im öffentlichen Raum befinden. Genau aus diesem Grund wurde in Luzern 2009 die Polizeistunde wieder abgeschafft – jedoch auch hier nur mit mässigem Erfolg. Hohe Publikumskonzentrationen seien zwar weggefallen, was die Nachtruhestörungen betrifft habe sich aber nicht viel verändert.

Repression und Verbote alleine scheinen folglich nicht die Lösung der Probleme zu sein. Deshalb versuchen es die meisten Schweizer Städte mit einem repressiven und präventiven Mix. In Thun zum Beispiel werden Littering-, Lärm- und Gewaltsünder mit einer Busse bestraft und müssen gleichzeitig für ein zehnminütiges Gespräch mit auf den Posten der Gewerbepolizei. Dadurch erhofft man sich, die Nachtschwärmer aus der Anonymität zu holen und für die Bedürfnisse der Anwohner zu sensibilisieren.

Versenkbare Pissoirs und Toiletten mit Herz

Nebst den bereits existierenden Massnahmen in den Schweizer Städten, wird im Bericht des Schweizerischen Städteverbandes auch auf neue, zum Teil sehr innovative Handlungsansätze aufmerksam gemacht. Zum Beispiel könnten versenkbare Pissoirs verhindern, dass Nachtschwärmer an Häuserwände urinierten. Die temporären Toiletten wären dabei unter der Woche unsichtbar im Boden und würden nur am Wochenende ausgefahren. In England oder in Amsterdam hätten sich diese Pissoirs schon seit längerer Zeit bewährt.

Eine weitere Möglichkeit, das öffentliche Urinieren einzudämmen, könnte auch das Konzept «Toilette mit Herz» sein: Gastrobetriebe stellen ihre Toiletten für die Öffentlichkeit zur Verfügung und werden dafür von der Stadt finanziell entschädigt. Gekennzeichnet werden diese Lokale mit einem roten Herz an der Eingangstür.

Schritt für Schritt

Ob mittels Verboten und Bussen, Ausgangszonen, präventiven Gesprächen, Plakaten und Aktionen, Ordnungs- und Polizeipatrouillen: die Probleme bestehen nach wie vor und eine durchschlagende Lösung scheint noch in weiter Ferne. Grundsätzlich, so sind sich die Experten einig, müssen die Probleme in den Köpfen der Jugendlichen präsent werden. Je mehr sie sich einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst werden, desto höher wird wohl die Hemmschwelle sein, ihren Müll liegen zu lassen, Radau vor den Clubs und Bars zu veranstalten oder an Häuserwände zu pinkeln.

Was es am meisten brauche, um Verbesserungen zu erreichen, sei Geduld, meint der Luzerner Sicherheitsmanager Maurice Illi: «Es ist ein langer beschwerlicher Weg, den man nur Schritt für Schritt gehen kann. Aber wir bewegen uns in die richtige Richtung. Ein kleines Schrittchen wird ein neues öffentliches WC im Vögeligärtli sein.» 

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