Schulprojekt mit Tablets

Lehrer sprechen von technologischem Quantensprung

Die Lehrer Philipp Stehli (l.) und Armin Brunner vom Primarschulhaus Moosmatt in Luzern. (Bild: Marc Benedetti)

Nach den Sommerferien startet im Kanton Luzern ein vierjähriger Schulversuch. Rund 450 Dritt- bis Sechstklässler erhalten ein Tablet, das sie im Unterricht benützen dürfen. Am Versuch beteiligt sich auch das städische Primarschulhaus Moosmatt. zentral+ wollte von zwei Lehrern und der Pädagogischen Hochschule Luzern wissen, welche Chancen und Risiken sie sehen und vergleicht Luzern und Schwyz punkto Digitalisierung in der Schule.

26 Primarschulklassen aus Dagmersellen, Doppleschwand, Menznau und Luzern starten im August in die digitale Zukunft: Sie erhalten ein nigelnagelneues Windows-Tablet.

Unter den Empfängern der tragbaren flachen Computer mit einem Touchscreen-Display sind auch Kinder aus dem städtischen Primarschulhaus Moosmatt. Modernste Technik also für eine bald 100-jährige Schule. Schulleiter Armin Brunner und sein Kollege Philipp Stehli, der auch Informatik-Betreuer der Schule ist, freuen sich auf den Start des Projekts.

«Wir sind ein richtiges Multikulti-Schulhaus», charakterisiert Armin Brunner seinen Arbeitsort. 240 Schülerinnen und Schüler aus über 20 Nationen drücken im Schulhaus des Obergrund-Quartiers die Schulbank. «Der Kanton hat unsere Teilnahme am Tablet-Projekt sehr begrüsst, weil er ein städtisches Schulhaus dabei haben wollte.»

Computer-Zugang für alle

Philipp Stehli sieht das Projekt als einmalige Sache und spricht von Chancengleichheit: «Die Kinder sollten eine mediendidaktische Erziehung erhalten, unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund.» Nicht jede Familie kann es sich leisten, dass ihr Kind Zugang zu einem eigenen Computer hat. Im Schulversuch wird das jetzt möglich.

Mit dem eigenen Tablet werden die Kinder mit speziellen Lernprogrammen an ihrer Rechtschreibung feilen, zusätzliche Rechenaufgaben lösen oder für ein Unterrichtsthema im Internet recherchieren können.

Wie wird der Einsatz der Tablets funktionieren? «Die Geräte gehören der Schule», sagt Stehli, «im ersten Jahr bleiben sie sicher mehrheitlich im Schulhaus, damit sie immer wieder aufgeladen werden können. Dann werden wir sie schrittweise nach Hause mitgeben.

Einige Lehrer waren skeptisch

Die Kinder sind «digital natives», sind also bereits mit den digitalen Technologien aufgewachsen. Doch wie technikbegeistert sind eigentlich die Lehrpersonen als «digital immigrants», welche diese Technologien zumeist erst im Erwachsenenalter kennen gelernt haben?

Das Schulhaus hat sich freiwillig zum Versuch angemeldet – und die 34 Lehrerinnen und Lehrer vorgängig nach ihrer Meinung gefragt. «Wir brauchten das Einverständnis aller Lehrpersonen», erklärt Stehli, «manche waren am Anfang schon skeptisch.» Ein Grund: Der vierjährige Versuch beinhaltet viel zusätzliche Weiterbildung.

«Offene Fragen stehen auch jetzt noch im Raum», sagt der Klassenlehrer einer 3./4. Klasse, «doch durch die interne Unterstützung sowie die durch die Pädagogische Hochschule Luzern geleiteten Weiterbildungen und die Projektleitung wurde eine bestmögliche Ausgangslage geschaffen.»

Doch nicht nur Lehrerinnen und Lehrer mussten zuerst überzeugt werden. «Wir werden uns auch mit den Bedenken gewisser Eltern auseinandersetzen müssen», sagt Armin Brunner. Befürchtungen sind zum Beispiel, dass die Kinder die Geräte unbegrenzt nutzen und nach Hause nehmen dürfen, die ganze Nacht im Internet surfen und am nächsten Tag übermüdet in der Schule sitzen. Auch Cybermobbing ist ein Thema, also die Beleidigung oder Nötigung anderer übers Internet oder in Chatrooms.

Gewisse Webseiten gesperrt

Für die Sicherheit sei gesorgt, sagt Philipp Stehli: «Alle Tablets werden, wie übrigens alle Schulgeräte heute schon, so aufgesetzt, dass Webseiten mit Inhalten welche für Kinder und Jugendliche ungeeignet sind, nicht besucht werden können.»

Den Kindern und Jugendlichen müsse jedoch zum Beispiel mit auf den Weg gegeben werden, wie man sich in Chatrooms richtig verhalte, welche Informationen man preisgeben könne und welche besser nicht. «Weiter wollen wir auch die Eltern für solche Themen sensibilisieren.»

«Technologischer Quantensprung»

Das Primarschulhaus Moosmatt, so sind die beiden Lehrer überzeugt, wird mit dem Tablet-Versuch einen «technologischen Quantensprung» vollziehen. Und der Versuch nimmt etwas vorweg, worauf die Schule gar keinen Einfluss hat: «In zehn Jahren wird es wahrscheinlich gang und gäbe sein, dass jedes Kind seinen eigenen Computer hat», prophezeit Armin Brunner.

Bereits heute hätten viele Kinder ein privates Handy mit Internet, sie benützen es meistens zum Spielen oder zum Schreiben  von SMS. Im Schulhaus muss das Gerät laut Beschluss der Schulpflege ausgeschaltet werden, erklärt der Schulleiter. In zehn Jahren gab es nur gerade zwei Sanktionen, erinnert er sich.

Medienmündigkeit der Kinder

«Für mich ist es auch eine wichtige Motivation bei diesem Projekt mitzumachen, den Kindern eine gewisse Medien-Mündigkeit auf den Weg zu geben», sagt Stehli. Mögliche Themen seien der Wahrheitsgehalt des Internets oder der Umgang von Social Media mit den eigenen Daten.

Es gehe ausserdem darum, die Kinder für gewisse Fragen zu sensibilisieren. Zum Beispiel, dass Fotos anderer Personen nicht ungefragt im Internet veröffentlicht werden dürften. Weniger ein Thema seien technische Fragen. Solche Inhalte werden im Informatikunterricht auf der Sekundarstufe 1 vertiefter behandelt. Auf Primarschulstufe werden zwar gelegentlich Computer eingesetzt, aber ohne Hintergrundinfos dazu, da es keinen Informatikunterricht gibt.

Schon heute 24 Notebooks

Völlig neu ist der Computer-Einsatz im «Moosmatt» übrigens nicht. Vor vier Jahren hat die Schule einen Satz von 24 Notebooks angeschafft. Einen eigenen Computerraum hat die Schule nicht. Aber die Geräte können bei Stehli reserviert und für die Zeit während des Unterrichts ausgeliehen werden.

Die Notebooks werden dann im Klassenzimmer benutzt. «Das Angebot wird sehr fleissig in Anspruch genommen», erklärt der Informatik-Betreuer. «Ein Lehrer will zum Beispiel das Hörverständnis in Englisch schulen und braucht sechs Computer. Eine andere Klasse recherchiert zum Beispiel das Thema Hasen im Internet. Wieder andere benutzen den Mathematik- oder den Französisch-Trainer.»
Auch der Lehrer selbst bildet sich digital weiter: Stehli wird sein Pensum dieses Jahr reduzieren, um den Master E-Learning zu absolvieren und wird ausserdem teilzeitlich in einem Lehrmittelverlag arbeiten, der digitale Lernmedien entwickelt. «So lerne ich beide Seiten kennen.»

Keine Schulreisen auf Google Earth

Bei aller Begeisterung für das Projekt betonen die beiden Primarschullehrer aber, dass der Computer nicht alles ersetzen kann. Lehrer würden also die Schulreisen auch in Zukunft nicht virtuell auf Google Earth durchführen. Und das Online-Übersetzungsprogramm Leo werde das Nachschlagen in einem Wörterbuch nicht überflüssig machen, sondern höchstens ergänzen. Armin Brunner: «Den Wald lernt man auch in Zukunft am besten im Wald kennen.»

Die Lehrkräfte müssten sich aber bewusst sein, dass Kinder vielleicht schneller an eine Information herankommen als sie selber. Brunner: «Wir haben nicht mehr automatisch die Wissenshoheit.» Deshalb müssten sich eigentlich alle Beteiligten – Kinder, Lehrkräfte und auch Eltern – zunehmend mit der Informatik auseinander setzen.

Pädagogische Hochschule betreut Schulen

Die am Tablet-Projekt teilnehmenden Schulen und die Lehrpersonen werden während des Schulversuchs pädagogisch-didaktisch von der Pädagogischen Hochschule in Luzern betreut. «Für die teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer werden wir pro Schuljahr vier obligatorische Weiterbildungshalbtage durchführen», sagt Urs Utzinger, Dozent Medienbildung an der PHZ Luzern. Der genaue Inhalt und die Lernziele seien noch im Entwurfsstadium. Sie werden zirka Ende Mai feststehen.

Von iPads zu Windows-Tablets

Laut Utzinger hat sich der Kanton nicht wie ursprünglich geplant für iPads entschieden, sondern wird rund 600 Windows-Tablets anschaffen. Der Grund ist, dass die Massen-Administrierung einfacher als bei den iPads ist, wo jedes Gerät eine individuelle Identifikation hat. Der Preis war kein Kriterium. Utzinger: «Windows-Tablets sind nicht günstiger als iPads.»

Die Anschaffung der Geräte kostet laut Auskunft der Dienststelle Volksschulbildung im Bildungs- und Kulturdepartement zirka 250’000 Franken.

Bei der Frage nach dem Gebrauch der Tablets betont auch Urs Utzinger die Wichtigkeit einer Erhöhung der Medienkompetenz von Schülerinnen und Schüler. «Gerade im Facebook wird viel Unfug getrieben. Wenn man mit den Jugendlichen spricht, sind sie sich oft der Folgen nicht bewusst, und man muss ihnen erklären, dass Facebook nicht mit dem Pausenplatz vergleichbar ist.»

Urs Utzinger: «Schüler oft besser informiert»

Die Schüler wissen laut Utzinger sehr viel über die Bedienung der Geräte – meist mehr als die Erwachsenen. Aber im Wissen, was alles dahinter steckt, bei der Einschätzung von Chancen und Gefahren, seien sie weniger beschlagen.

Deshalb plädiert der Medienpädagoge im Zentrum Medienbildung (ZEMBI) der Pädagogischen Hochschule schon lange für die Einführung eines Fachs Medienbildung und dessen Integration in den «Lehrplan21». Bisher stiess er jedoch damit nicht nur bei den Bildungsverantwortlichen des Kantons Luzern auf taube Ohren. Der Lehrplan 21 ist ja ein Projekt der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz.

Zur Frage der Motivation der Lehrpersonen für den Computereinsatz im Unterricht sagt Utzinger, er geht davon aus, dass die am Tablet-Versuch teilnehmenden Schulen und ihr Personal sehr motiviert und «überdurchschnittlich aktiv im Computerbereich sind». 

Generell stelle man bei Lehrpersonen sehr grosse Unterschiede fest in den Kompetenzen. «Im ZEMBI vermitteln wir ihnen deshalb das Rüstzeug, damit sie die Kinder kompetent begleiten können.»

Luzern: Zirka 6000 Geräte

Wo steht der Kanton Luzern heute punkto Ausrüstung der Schulen mit digitalen Geräten? Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung im kantonalen Bildungs- und Kulturdepartement: «Wir empfehlen den Schulen, ab der dritten Primarklasse mindestens drei bis vier Computer pro Klasse zur Verfügung zu stellen. Das ist in den meisten Schulen erfüllt.»

Bei 83 Gemeinden mit rund 200 Schulhäusern seien momentan zirka 6000 Geräte im Einsatz, schätzt Vincent. Die Primarschule verwende meistens ältere, die Sekundarschule die modernen Geräte. Ausserdem habe jede Lehrperson in der Regel einen weiteren Computer, häufig mit Beamer, an ihrem Arbeitsplatz installiert.

Die Schulen können ausgediente Geräte aus dem Verwaltungs- und Spitalbereich für 100 Franken bei der Dienststelle Informatik des Kantons beziehen. Rund 400 Desktops, Laptops und Drucker werden pro Jahr so in den Schulen sinnvoll weiter verwendet.

Zum Tablet-Versuch sagt der Leiter Dienstsstellung Volksschulbildung: «Die gesammelten Erfahrungen fliessen in die Umsetzung des Lehrplans 21 ein, der eine Einführung von ICT in der Primarschule vorsieht.»

Blick nach Schwyz

Ein Blick über den kantonalen Gartenhag zeigt: Im Kanton Schwyz sind einige Schulen punkto Digitalisierung in der Zentralschweiz sehr weit vorangeschritten. Das ist vor allem das Verdienst seiner Pädagogischen Hochschule in Goldau, die mit einzelnen Schulklassen im Kanton sehr früh schon digitale Projekte durchgeführt hat.

Beispielsweise erhielten Kinder in einem der Projekte testweise ein persönliches iPhone, das sie nach einer Einführungszeit auch nach Hause nehmen und ausserschulisch nutzen duften. Dabei konnten wertvolle Erfahrungen gesammelt und Verständnis bei Eltern, aber auch bei den Behörden aufgebaut werden.

Schwyzer leisteten Pionierarbeit

«Einige Klassen der Primarschulen in Goldau und Arth waren tatsächlich Pioniere», sagt Iwan Schrackmann, ICT-Berater des Amts für Volksschulen und Sport des Kantons Schwyz. Es sei aber nicht so, dass alle Schulen im Kanton deshalb moderner seien als anderswo.

Schrackmann hat die ICT-Strategie-Kommission geleitet, welche 2011 die neue ICT-Strategie für die Volksschulen des Kantons Schwyz entwickelt hat. Darin werden konkrete Ziele und Empfehlungen formuliert.

Politische Entscheide gefällt

Der Erziehungsrat des Kantons Schwyz hat diesen Strategiebericht Ende November 2012 verabschiedet. Iwan Schrackmann: «Mit diesem Entscheid haben wir eine wichtige politische Grundlage für die Weiterentwicklung des Computereinsatzes in der Volksschule. Die letzten kantonalen Rahmenempfehlungen stammten aus dem Jahr 2000.»

Beschlossene Sache ist, dass ab Schuljahr 2015/16 mindestens ein Computer pro vier Schülerinnen und Schüler in jedem Klassenzimmer von der ersten Primarklasse bis zur Sekundarstufe I zur Verfügung stehen muss.

Tastaturschreiben in Primarschule

Ebenfalls soll in zwei Jahren das Tastaturschreiben mit zehn Fingern ab der 4. Primarschulklasse definitiv eingeführt werden (bisher erst ab der Sekundarstufe 1). Diese Neuerung basiert gemäss Schrackmann auf einem dreijährigen erfolgreichen Schulversuch zwischen Sommer 2007 und 2009. «Wir hatten sehr positives Feedback der Eltern», sagt der ICT-Berater.

In der ICT-Strategie wird den Schulträgern (Gemeinden und Bezirken) auch empfohlen, ihren Lehrpersonen ein persönliches Notebook an ihrem Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Auf der Sekundarstufe I werden die Schulen dazu angehalten, mittelfristig alle Schülerinnen und Schüler mit Notebooks oder Tablets auszustatten.

Und den Kindergärten wird empfohlen, einen Computer (zum Beispiel ein Tablet) im Sinne eines weiteren Spiel- und Lernangebots zu nutzen. Zudem regte die ICT-Strategie an, Medienbildung auf Sekundarstufe I als Fach einzuführen. Doch der Kanton Schwyz wird diese Empfehlungen nicht sofort in die Tat umzusetzen.

Nochmals zurück in den Kanton Luzern: Der «Lehrplan 21» sehe im Kanton Luzern ebenfalls die Einführung des Tastaturschreibens in der Primarschule vor, erklärt Charles Vincent. Deshalb sei das Tablet-Projekt, das im August 2013 starten wird, eine Erprobung in dieser Thematik.

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