Umstrittener Obhutsentzug durch Luzerner KESB

«Wann hat das endlich ein Ende?»

Das Tauziehen um die beiden Kinder Nikola und Mario nimmt kein Ende. Ihre Mutter Marina kämpft mit allen Mitteln dafür, dass die Geschwister endlich nach Hause zurückkehren können. (Bild: mag)

Sechs Monate, nachdem die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Luzern einer 37-jährigen alleinerziehenden Mutter ihre beiden Kinder weggenommen hat, leben diese immer noch getrennt voneinander. Die Mutter hält dies für «unnötiges Leid».

Kinder- und Wohnzimmer in der geräumigen Wohnung am Rande von Luzern sind voll mit Spielsachen. Instrumente, Fahrzeuge, ein selbst gebauter Flipperkasten. An der Wand hängen Kinderzeichnungen. Die Ordnung ist ein Zeichen dafür, dass die Spielsachen zurzeit nicht benutzt werden. Sie gehören dem sechsjährigen Nikola* und dem vierjährigen Mario*. Sie müssen derzeit voneinander und von ihrer Mutter Marina* getrennt leben. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) der Stadt Luzern führte bei ihr Anfang Jahr einen Obhutsentzug durch. Zu Unrecht, meint Marina (zentral+ berichtete).

Die Behörden sind davon überzeugt, dass die 37-Jährige für ihre beiden Kinder eine Gefahr darstellt. Sie zweifeln an der psychischen Verfassung der Mutter. Das psychiatrische Gutachten zu Marina, das die Behörden nach der Durchführung des Obhutsentzugs in Auftrag gegeben haben, wird gegenwärtig erarbeitet. Ein unabhängiger Luzerner Psychotherapeut erstellt das Gutachten und klärt die Erziehungsfähigkeit der Mutter ab. Ob der Gutachter den mutmasslichen Tatbestand nachliefern wird, ist noch offen.

Die Frage, ob die Kinder endgültig fremdplatziert oder zurück in die Obhut ihrer Mutter gegeben werden, bleibt ebenfalls weiter offen. Die beiden involvierten Anwälte und ein Psychiater, der Marina ein fachärztliches Referenzschreiben ausstellte, zweifeln jedoch nicht an ihrem einwandfreien Gesundheitszustand.

«Es ist zum Schreien, zum Weinen. Aber das bringt nichts.»

Marina*, zweifach Mutter

«Es ist zum Schreien, zum Weinen. Aber das bringt nichts», sagt die Mutter der beiden Kinder verzweifelt. Sie hofft sehnlichst, dass ihre Söhne endlich wieder zurück nach Hause kommen. Die Behörden dagegen lassen sich Zeit. Sie erwecken nicht den Eindruck, als ob ein Interesse darin besteht, dass Nikola und Mario in absehbarer Zeit wieder bei ihrer Mutter leben können. Sie bleiben stattdessen fremdplatziert.

Von Unterkunft zu Unterkunft

«Die Geschwister würden sich so gerne öfters sehen. Sie fragen ständig nach», sagt die 37-Jährige und fügt an: «Sie vermissen und brauchen einander».
Nikola wurde nach dem Obhutsentzug zuerst für drei Monate in der Kinderpsychiatrischen Therapiestation und Tagesklinik (KPS) in Kriens untergebracht. Anschliessend zügelte er zu einer Pflegefamilie, die selber drei Kinder hat. Dort blieb er für zwei Monate, wie seine Mutter erzählt. Weil sich die Kinder untereinander aber nicht verstanden haben sollen und die Pflegefamilie in die Sommerferien wollte, musste Nikola zurück in die KPS nach Kriens. Auch nur eine «Zwischenlösung», wie die Mutter sagt.

Es scheint, als habe sich Nikola mit seinem Schicksal abgefunden: «Er sagt, er könne sehr schlecht schlafen, seit er wieder auf der Station lebt. Die Umplatzierungen und die Station passen ihm nicht. Aber er hat sich damit abgefunden. Er hat sich gefügt», sagt Marina.

Nikola fiel im Kindergarten wie auch in der KPS durch sein Verhalten negativ auf. Es kam zu Zwischenfällen. In entsprechenden Berichten der Kinder- und Jugendpsychiatrie heisst es, er sei impulsiv, benötige eine aussergewöhnlich intensive Betreuung und halte sich nicht an die Regeln. Seine Mutter will in letzter Zeit während gemeinsamen Unternehmungen festgestellt haben, dass sich Nikola inzwischen besser im Griff habe und entspannter wirke.

Rückführung steht nicht zur Diskussion

Sein jüngerer Bruder Mario war zwischen Januar und Juli ebenfalls bei einer Pflegefamilie untergebracht. Da diese jedoch ebenfalls in die Sommerferien verreiste, die Behörde für Mario laut seiner Mutter keine Anschlusslösung bereit hielt und eine Rückführung nicht zur Diskussion stand, landete er im Kinderheim Titlisblick in Luzern. Dort konnte ihn Marina bisher nicht besuchen.

«Es wäre schön, wenn ich ihn mehr sehen könnte. Das wird mir aber nicht erlaubt.»

Marina

Der zuständige Bezirksrichter sprach den beiden Kindern mittlerweile einen Kinderanwalt zu. Dieser versuchte beim Gericht zu erreichen, dass der jüngere Bruder Mario statt ins Kinderheim zurück nach Hause gehen kann. Mario wurde trotzdem im Heim untergebracht. Gemäss Marina hat die Beiständin ohne den Entscheid des Richters abzuwarten agiert und die neuerliche Platzierung vorgenommen.

Behörden sollen Besuchszeiten einhalten

Die Umplatzierungen führten dazu, dass bei den wechselnden Besuchsmöglichkeiten Unklarheiten entstanden seien, sagt die Mutter. Sie möchte ihre Kinder selbstredend so oft wie möglich sehen und wäre gerne über jeden von den Behörden geplanten und gerichtlich vollzogenen Schritt informiert. Gemäss ihrer Aussage gibt es aber bei der Kommunikation zum Teil grosse Schwierigkeiten und Missverständnisse.

Sie nennt dafür eine ganze Reihe Beispiele. Die Kommunikation mit der Beiständin der Kinder funktioniere «nicht so gut», ebenso die Koordination von Terminen. In Bezug auf die Fachstelle Kinderbetreuung, die begleitete Besuchstage und Notaufnahmeplätze in Pflegefamilien anbietet, spricht Marina von «willkürlichen Handlungen». So sollen seine Pflegeeltern etwa Nikolas Trottinett einfach weggeworfen haben. Ein anderes Mal seien abgegebene Kleider nicht angekommen, sagt Marina. In Zusammenhang mit den Pflegeeltern spricht die Mutter zudem von «Unkoordiniertheiten». Die vereinbarten Telefongespräche funktionierten nicht wie gewünscht. Es ist offensichtlich, dass die «schwierige» Kommunikation zwischen der Mutter und anderen involvierten Parteien grosses Konfliktpotential birgt.

Wechselnde Besuchsregelungen

Ihre Kinder sieht Marina im Moment ganz unterschiedlich. Den älteren Sohn Nikola am Dienstag- und Donnerstagabend sowie am Samstag. Er kommt zum Abendessen nach Hause oder sie unternehmen gemeinsam einen Ausflug. Dies ist eine deutliche Verbesserung gegenüber früher, als sie ihn lediglich einmal pro Woche für eine, später zwei Stunden unter Begleitung sah. Mit ihrem jüngeren Kind Mario verbrachte Marina im Juli gerade einmal zwei Nachmittage. «Es wäre schön, wenn ich ihn mehr sehen könnte. Das wird mir aber nicht erlaubt.»

Dazu kommt, dass die vereinbarten Besuchstage immer wieder ausfallen, wie Marina weiter erzählt. Zum Beispiel aufgrund von Feiertagen oder Neuplatzierungen. Einen Ersatz soll es dafür jeweils nicht gegeben haben. Auch deshalb hadert Marina mit dem Vorgehen der Behörden. Sie sieht das Wohl ihrer Kinder in Gefahr und versucht sich mit allen Mitteln zu wehren, die ihr zur Verfügung stehen.

Niedergeschlagen fragt sie: «Wann hat das alles endlich ein Ende?», und fügt ratlos an, dass ihre Kinder schlicht «unnötiges Leid» erfahren würden.

Ohnmacht

Erst kürzlich hat sie sich zum Beispiel aufgrund des Verhaltens der Beiständin der beiden Kinder erneut bei der KESB beschwert. Im Brief schreibt sie, dass sich die Kinder immer stärker voneinander entfremden würden. Dazu kritisiert die zweifache Mutter die wechselnden Platzierungen und Regelungen. Das Schreiben verdeutlicht die ohnmächtige Situation, in der sich Marina wähnt. Ende Juli richtete sie eine weitere Beschwerde mit ähnlichem Inhalt an die zuständige Aufsichtsbehörde, die dem Luzerner Kantonsgericht angegliedert ist.

Für den sechsjährigen Nikola fehlt nach wie vor eine abschliessende Diagnose. Der Behandlungsverlauf aus der KPS liegt zwar vor, nicht aber der schulische Abklärungsbericht. Dies, obwohl er nun bereits zum zweiten Mal in der Station in Kriens untergebracht ist und die verpflichtet wäre, den entsprechenden Bericht zu erstellen.

Die Eltern kratzen in der Verwandtschaft Geld zusammen, damit Marina ihren Anwalt sowie die zusätzlichen Abklärungen ihrer Kinder bezahlen kann.

Da die Abklärung in der KPS bisher nicht erfolgt sein soll, lässt Marina ihren Sohn Nikola vom bekannten Zürcher Psychotherapeuten Allan Guggenbühl therapieren. Die Kosten dafür und für alle weiteren in Anspruch genommenen Dienstleistungen und Unterstützungsangebote muss Marina selber tragen. Bisher suchte sie erfolglos nach finanzieller Unterstützung. Weil sie die Kosten selber nicht tragen kann, helfen ihre Eltern. Sie mussten ihrerseits aber ebenfalls Geld in der Verwandtschaft zusammenkratzen.

Zukunft unbestimmt

Wie die Situation bei den Geschwistern bei Schulbeginn aussehen wird, ist offen. Nikola soll in der sozialpädagogischen Gemeinschaft Woleg im Bernischen Roggwil untergebracht werden. Marina hofft ihrerseits, dass er in die Sonderschule Mariazell in Sursee eingeteilt wird. Ein Ende des juristischen Hin und Her sowie des Tauziehens um die Kinder scheint nicht absehbar.

* Namen der Redaktion bekannt

Der Fall von Marina

Mitte Januar dieses Jahres führte die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde der Stadt Luzern bei Marina einen Obhutsentzug durch. Die Behörden sind davon überzeugt, dass die 37-Jährige für ihre beiden Kinder im Alter von sechs und vier eine Gefahr darstellt.

Die Behörde vermutet, dass die alleinerziehende Mutter unter psychischen Problemen leidet. Keine ärztliche Stelle hat dies bisher jedoch bestätigt. Marina macht der KESB sowie weiteren involvierten Stellen deshalb massive Vorwürfe: die KESB habe zum Beispiel ihre Abklärungen mangelhaft durchgeführt oder sie halte trotz gegenteiliger Fakten an den verordneten Massnahmen fest. Die KESB selber will zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen.

Die Behörde hat den Fall später ans Bezirksgericht weitergereicht, weil gleichzeitig ein Scheidungsverfahren läuft. Auch in dessen Rahmen soll es zu mehreren Vorfällen gekommen sein (zentral+ berichtete).

Das Bezirksgericht seinerseits hat noch nicht entschieden, ob der Obhutsentzug zurecht erfolgte. Die beiden Kinder bleiben deshalb weiterhin von der Mutter getrennt – mittlerweile seit über sechs Monaten.


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