Zwischen spiessig und alternativ

Das Leben im Bauwagen

Der Entscheid kam für die Bewohner plötzlich: Der Wagenplatz neben dem Südpol muss bald dem Neubau der Luzerner Musikhochschule weichen. (Bild: tob)

Wer im Bauwagen lebt, verzichtet. Auf Komfort und ein geregeltes Mietverhältnis. Das bringt zahlreiche Nachteile mit sich. Trotzdem möchten die Bewohner der beiden Luzerner Wagenplätze mit niemandem tauschen. zentral+ hat sie besucht und nach den Gründen für diese Lebensweise gefragt.

Wer Gegensätze sucht, der findet sie beim Südpol in Kriens. Mitten im urbanen Raum, zwischen etabliertem Kulturzentrum, Gewerbebetrieben und militärischem Ausbildungszentrum stehen zehn Bauwagen. «Sous le pont» nennt sich die Wagenplatz-Gemeinschaft. Bewohnt und gebaut von jungen Menschen, deren Lebensform die Bescheidenheit bestimmt. Gutbürgerlich angeschrieben am Briefkasten des Areals. Und ein feiner Hinweis darauf, dass hier zwar alternativ gelebt wird, der Bezug zur gesellschaftlichen Norm aber nicht verloren ging.

Diskussion mit dem Stadtrat

Vor vier Jahren besetzten fünf Personen mit ihren Bauwagen erstmals das Grundstück beim Südpol. Illegal. In den Jahren zuvor nomadisierte die kleine Wagengruppe medial begleitet durch den Raum Luzern. Emmenbrücke, Krienser Schlund, Allmend, Tribschen. Nirgends wirklich erwünscht und trotzdem beharrlich an ihrer Vorstellung vom Leben im Bauwagen festhaltend. Stets angewiesen auf das Entgegenkommen der Grundeigentümer. Die Rechtssituation spricht diesbezüglich nämlich eine klare Sprache. Ohne Baubewilligung dürfen die Wagen nicht länger als drei Monate am selben Ort stehen. 

Auch beim Südpol vergingen Monate ohne Bewilligung. Die Lebensform der Wagengruppe war längst zum Politikum geworden. Einige Kritiker bezeichneten sie als «asozial und randständig». Andere hätten wahrscheinlich ein Auge zugedrückt. 2011 erreichten die Auseinandersetzungen mit Behörden und Politik den Luzerner Stadtrat.

Schlussendlich willigte die Stadt Luzern als Eigentümerin des Grundstücks ein. Die eingereichte Baubewilligung wurde erteilt und ein Mietvertrag aufgesetzt. Das war vor drei Jahren. Seither bezahlt die Wagengruppe Miete, bezieht Strom und Wasser von Stadt und Gemeinde.

Ohne Strom und Wasser

«Und Steuern bezahlen wir auch», schiebt Bück* nach. Er kennt die Argumente, um die Kritiker zu besänftigen. Bück hat die Odyssee der letzten Jahre mitgemacht, gehörte zu den ersten Besetzern des Südpol-Areals. Während der Umzugsphase hat sich «Sous le pont» mit Medienmitteilungen zu erklären versucht. Ihre Absichten und Ansichten dargelegt, um das ihnen nachgetragene Klischee der «Sozialschmarotzer» zu widerlegen. «Alle die hier wohnen, gehen einer beruflichen Tätigkeit nach», sagt Bück. Wer die persönliche Freiheit zur Lebensform erklärt hat, begibt sich nicht freiwillig in die Abhängigkeit des Staates. Die Bewohner des Wagenplatzes arbeiten in handwerklichen Berufen, andere in der Kulturbranche. Eigentlich normal. Aber aufgrund eines fahrbaren Bauwagens anstatt einer 2,5 –Zimmerwohnung trotzdem anders.

«Wer so wohnt wie wir, muss verzichten können.» Manchmal auf elementare Dinge wie Strom, fliessendes Wasser oder einen beheizten Wagen. Es ist ein bewusster Verzicht, an dessen Anfang ein Leben nach wenig Profistreben und viel Gemeinschaftssinn steht. Dieser dient der gesamten Gruppe als Nährboden des Zusammenlebens. Ein Leben ohne Luxus oder Konsumzwang. Bück lebt es nicht aus Protest gegen die Gesellschaft, sondern aus Überzeugung und im Einklang mit seinen Wertvorstellungen.

Der gemeinsam erstellte Lebensraum

Jeder Bewohner der Gruppe hat seinen Bauwagen. Wenig Platz, spartanisch, aber persönlich eingerichtet. Bett, Tisch, ein Ofen für die kalten Tage, vielleicht eine Kochecke. Wenige persönliche Gegenstände, das Nötigste an Kleidern. Es gibt einen Toilettenwagen. Geduscht und gewaschen wird im Freien oder bei Freunden.

Dreizehn Personen leben momentan auf dem Wagenplatz beim Südpol. Ein grosses Zeltdach dient als «Wohnzimmer». Eine Bar steht darunter, die kleine Bühne für Feste. Aber auch Tische zum Essen und Sofas für dazwischen. In der Mitte des Zeltes windet sich eine Holztreppe zu einem kleinen Zwischenboden mit weiteren Sitzmöglichkeiten hinauf. Alles hier ist selbst gebaut. Die Leitungen selber verlegt, der Garten, zumindest ein Teil davon, selber bepflanzt. Das Erschaffen eines gemeinsamen Lebensraums verbindet.

Organisiert ist «Sous le pont» wie eine campierende Gemeinschaft. Der eigene Bauwagen dient als Rückzugsort, ist aber auch das verbindende Element zwischen den Mitgliedern, die Bück als seine Familie bezeichnet. Es gibt eine gemeinsame Kasse für die Miete und demokratische Abstimmungen bei wichtigen Entscheidungen. «Dann diskutieren wir solange, bis alle einverstanden sind», sagt er. Manchmal stundenlang. Nicht die Mehrheit entscheidet, sondern das Kollektiv. Bis alle derselben Meinung sind.

Besuch im zweiten Wagenplatz Luzerns

Ortswechsel. «Eigentlich ist jeder Wagenplatz eine andere Form einer etwas grössen Wohngemeinschaft», sagt Luki*. Er wohnt seit zwölf Jahren im zweiten Wagenplatz der Stadt Luzern. Im Ibach-Gebiet nahe des Sedels. Der vorhandene Platz ist deutlich begrenzter als beim Südpol, dafür wirkt der Wagenpark nicht wie ein Provisorium, sondern wie eine liebevoll gestaltete Gartenlandschaft mit bewohnbaren Bauwagen.

Als die Wagengruppe vor zwölf Jahren im Ibach ankam, stiess ihr Verbleib kaum auf Opposition. Zuvor lebten die Bewohner ohne Bewilligung im Reusszopf und wurden eines Morgens von einem polizeilichen Grossaufgebot aufgefordert, den Standort umgehend zu verlassen. «Rund 40 Polizisten standen für meinem Wagen. Kriminalpolizei, Gewässerschutzpolizei, Gesundheitsschutzpolizei und wir lebten dort zu fünft», erzählt Luki.

Die Dimension der polizeilichen Räumung kam in den Medien schlecht an, die Behörden wurden zurückhaltend, und die Wagengruppe durfte sich im Ibach niederlassen. Es gab sogar eine gemeinsame Begehung des Geländes. «Zuerst sprach man von einer kurzen bis mittelfristigen Lösung. Wir erhielten eine Bewilligung für ein halbes Jahr, konnten diese aber immer wieder verlängern und sind heute noch hier.» Momentan ist alle zwei Jahre eine Verlängerung der Bewilligung fällig.

Trotzdem, ein sicheres Bleiberecht hat der Wagenplatz im Ibach auch nicht. Durch die Revision der Bauzonenordnung im vergangenen Jahr, wurde ihr Wohngebiet von einer Zone «für öffentliche Zwecke» zu einer Arbeitszone. Und damit attraktiver für den Bau von gewerblichen Betrieben. «Aber das Quartier hat mit dem Asylheim, dem Fahrendenplatz der Jenischen und dem Strassenstrich in den letzten Jahren nicht gerade an Attraktivität für das Gewerbe gewonnen», sagt Luki. Aus ihm spricht die Zuversicht auf viele weitere Jahre im Ibach.

Der Punk-Rock-Faktor


Im Eingangsbereich des Wagenplatzes stehen lange Tische mit Bänken, dahinter führt eine Treppe zum «Turm». Ein Ort für lange Filmnächte, wie Luki erklärt. Darunter ist die Bar eingerichtet, ihr gegenüber steht eine kleine Bühne für Konzerte. Dahinter die zwei Küchenwagen. Daneben viel Grün und kleine Wege, die zu den einzelnen Bauwagen führen. Mittendrin eine Kinderrutschbahn. Während zwölf Jahren wurde hier gebaut, ausgebessert und bepflanzt.

Sieben Leute und ein Kleinkind wohnen momentan im Ibach. Die letzte Person kam vor drei Jahren. Das Durchschnittsalter der Bewohner schätzt Luki auf Mitte dreissig. Sie arbeiten als Gärtner, Lehrerin oder in der Computerbranche. Eigentlich ziemlich spiessig, gesteht Luki. «Die Gruppe beim Südpol hat sicherlich noch etwas den höheren Punk-Rock-Faktor als wir.» Geheizt wird in jedem Wagen mit Holz. Selbst gespalten. Ansonsten besteht hier eine Infrastruktur wie auf einem modernen Campingplatz. Fliessend warmes Wasser, Strom, Internetanschluss, und auch über eine selbstgebaute Kanalisation verfügt der Wagenplatz.   

Ein geringer dreistelliger Betrag geht Ende Monat pro Person in die Gemeinschaftskasse. Dieser reicht zur gesamten Kostendeckung, Miete, Strom und Wasser. Das ist zwar günstig, dafür muss die Infrastruktur auf dem Wagenplatz selber erstellt und unterhalten werden. «Für mich ist dieses «selber bauen» ein wichtiger Bestandteil unsere Lebensweise», erzählt Luki. «Wobei eine Zentralheizung im Winter manchmal nicht das Dümmste wäre.» Auch hier steht der Gemeinschaftssinn im Zentrum des Wohnens. Möglichst viel selber bauen, gestalten und kreieren. Dazu gehören auch regelmässige Feste innerhalb des Geländes. Das Erschaffen eines gemeinsamen Lebensraums verbindet. Im Ibach und beim Südpol.

Während Luki und seine Wohngemeinschaft auch in den kommenden Jahren im Ibach bleiben kann, wird sich «Sous le pont» bald einen neuen Wohnplatz suchen müssen. Im Frühling 2015 endet das Mietverhältnis beim Südpol und auf dem Gelände entsteht in den nächsten Jahren der Neubau der Musikhochschule Luzern. Eine Alternative ist noch nicht in Sicht, auch wenn sich die Wagengruppe bereits darum bemüht. «Wir haben hier vier Jahre lang friedlich gelebt. Ich hoffe, dass wir diese Zeit bei der Suche nach einem neuen Ort als Referenz nutzen können», sagt Bück. Kommt Wehmut auf beim Abschiedsgedanken? Ein bisschen vielleicht. Aber der Weiterzug gehöre schliesslich dazu, ansonsten bräuchten Bauwagen ja keine Räder.

 

* Vollständiger Name der Redaktion bekannt. 

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Andreas Grütter
    Andreas Grütter, 22.10.2020, 12:37 Uhr

    Wir leben seit längerem in einem Bauwagen. Dieses Leben würde ich gegen nichts auf der Welt eintauschen. Zumindest nicht im Moment.

    Inzwischen kommt es immer öfter vor, dass Wanderer, Bekannte und Freunde hier auf dem Hof auftauchen, an die Wagentür klopfen und uns, meinen Freund Patrick und mich, mit tausenden von Fragen löchern.

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  • Profilfoto von Stefan T
    Stefan T, 25.05.2014, 12:56 Uhr

    Guter Artikel! Ich bin eher konservativ eingestellt, doch ich finde, dass jeder sein Leben gestalten soll, wie es gut für ihn ist. Da die Wagenbewohner niemanden stören und, wie ja es ja im Artikel zu lesen ist, Steuern bezahlen und einer Arbeit nachgehen, hoffe ich, dass die Südpol-Wagenbewohner für die Zukunft einen schönen Platz finden und die Sedelbewohner noch lange da bleiben können. Nur weil die meisten Menschen unserer Gesellschaft eine sesshafte Lebensweise in vier Wänden bevorzugen (wie ich auch), soll man die anderen Gesellschaftsformen auch akzeptieren und tolerieren. Die Vorstellung so zu Leben wie diese Leute ist doch sehr romantisch und auch abenteuerlustig. Viel Glück!

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