Landwirtschaft

Der mit dem Wellenbock pflügt

Theologe, Sozialarbeiter und engagierter Biolandwirt: Jules Rampini aus Luthern.

Hoch über dem Jammertal im Luzerner Hinterland betreibt Jules Rampini einen Biobetrieb. Anstatt zu jammern, predigt der 52-jährige Theologe, Sozialarbeiter, Biolandwirt und ehemalige Entwicklungshelfer die Abkehr vom Produktivismus und die Rückkehr zur kleinbäuerlichen Landwirtschaft – und lebt sie vor.

Eine holprige Strasse führt vom Weiler Rüediswil im Luthertal hoch ins Ausser Birchbühl. Unterwegs hält Jules Rampini das Auto an und zeigt auf die andere Talseite: «Vor 40 Jahren war dort ein Hügel. Durch den Kiesabbau ist das Gelände deutlich flacher geworden.» Obschon längst wieder überwachsen, sieht man die Narbe noch deutlich in der Landschaft. «Stellen Sie sich vor», fährt Rampini fort, «das grösste Gold-Bergwerk in Peru beseitigt so einen Hügel in drei Tagen!»

Kaum in dieser kleinräumigen, von der Berglandwirtschaft geprägten Gegend angekommen, schwenkt das Gespräch bereits weit weg. Der Sprung ist abrupt, verdeutlicht aber Rampinis Horizont, der weit hinter den Hügelzügen des Napfs liegt. Nach dem Theologie-Studium in Fribourg und der Tätigkeit als Sozialarbeiter in Bern, zog es den heute 52-Jährigen im Rahmen von Projekten der Bethlehem Mission Immensee nach Südamerika. Neun Jahre verbrachte Rampini mit seiner Frau dort – neun prägende Jahre. «Als Bauernsohn war ich schon vorher sensibel für bäuerliche Fragen», sagt Rampini. In seiner Arbeit mit Strassenkindern in einer peruanischen Landfluchtstadt habe er diese aber zusehends mit der Theologie verknüpft. Seither lässt ihn die Befreiungstheologie nicht los.

«Es war brutal», erinnert sich Rampini, der sonst kräftige Ausdrücke eher meidet und sich die Worte sorgfältig zurecht legt, bevor er spricht. «Die Bauern liefen in den Dörfern über verfaulte Orangen, welche sie nirgends absetzen konnten. Ihre Kinder lebten auf den Strassen der nächsten Provinzstadt. Die Bauern brachten dort ihre Orangen zu Spottpreisen auf den Markt. Wandten sie ihren Blick in den nächsten Laden, entdeckten sie dort Orangensaft im Tetrapack – aus Chile oder Israel!». Das habe ihm den «Gong» gegeben, sein Bewusstsein geschärft und ihn darin bestärkt, wieder in der Heimat tätig zu werden. «Ohne die südamerikanische Erfahrung wäre ich vielleicht nie ins Napfgebiet zurückgekehrt», sagt Rampini, während sein Auto bergauf holpert.

Jules Rampini pflügt seinen Bergacker noch mithilfe des Wellenbocks. Sein Vater hat Freude, «wenn einer noch so ackert».

Jules Rampini pflügt seinen Bergacker noch mithilfe des Wellenbocks. Sein Vater hat Freude, «wenn einer noch so ackert».

Von Nebenverdiensten abhängig

2001 übernahm Rampini den Hof seiner Eltern. Keines von Rampinis zehn jüngeren Geschwistern hatte Interesse daran. Die Gemeinde Luthern mit 128 Landwirtschaftsbetrieben und rund 1300 Einwohnern leidet seit zwanzig Jahren unter einem Bevölkerungsrückgang. Fast die Hälfte der werktätigen Bevölkerung arbeitet in der Land- und Forstwirtschaft. «Als ich den Hof auf Bio umstellte, musste ich eigentlich kaum etwas verändern», lacht Rampini. Sein Vater wirtschaftete bereits biologisch, nur auf Papier hatte er diesen Schritt noch nicht vollzogen. «Er verachtete die Düngerei schon immer», erzählt Rampini.«Die grüne Revolution drang nie bis zu ihm vor und er blieb stets ein kleinbäuerlicher, ökologisch denkender Landwirt.»

Jules Rampini bewirtschaftet 6.2 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche. Rund ein Drittel der Bauernhöfe im Bezirk Willisau umfassen weniger als 10 Hektaren. Mit Garette, Hacke und Rechen läuft Rampini zu seinem Kräuterfeld. Die Aussicht reicht vom dunstigen Säntis bis zu den Gletschern der Berner Alpen. «Vor 30 Jahren wurde quasi verkündet, dass all diese kleinen Höfe hier verschwinden müssen», sagt Rampini mit Blick auf die umliegenden Hügel und Täler. «Aber sie sind alle noch da.» Natürlich, sie hätten sich neu orientieren und aus dem alten «Tramp» ausbrechen müssen, sei es mit Nischenprodukten, touristischen Angeboten oder Nebenverdiensten.

Auch Rampini lebt nicht alleine von der Landwirtschaft. Er arbeitet zwischen 60 und 65 Stunden pro Woche. Die Hälfte davon investiert er in den Hof, weitere 40 Prozent für die Hausarbeit. Daneben hat er ein Mandat der Missionskonferenz für entwicklungspolitische Bildungsarbeit, hält Vorträge und Predigten. Seine Frau arbeitet 50 Prozent als Heilpädagogin. Das Ehepaar hat drei Kinder. Bloss etwa ein Viertel der Familieneinkünfte stammen aus landwirtschaftlichen Erträgen, ein weiteres Viertel aus den Direktzahlungen des Bundes. Durch die rein ökologische Ausrichtung seines Hofes, gezielte Aufwertungsmassnahmen, Waldrandschutz oder biologische Ausgleichsflächen habe er innert eines Jahrzehnts seine Direktzahlungen um 25 Prozent steigern können, berichtet Rampini.

«Gottfriedstutz, wollen die noch mehr Überproduktion?»

Aber möchte denn ein Bauer nicht primär vom Ertrag seiner Produkte leben, statt am Tropf des Staates zu hängen? «Ich verstehe jene Bauern, die Mühe damit haben, mehr Landschaftspfleger als Produzenten zu sein», antwortet Rampini. Aber es gäbe halt auch andere Dinge, die ein Bauer zu produzieren habe: gesunde Böden und eine intakte Kulturlandschaft. Dass man dafür honoriert werde, sei sinnvoll und legitim. Entsprechend wenig Verständnis bringt der Bergbauer für die «Volksinitiative für Ernährungssicherheit» des Bauernverbandes und der SVP auf. «Gottfriedstutz, wollen die eigentlich noch mehr Überproduktion, wo doch bereits mehr als ein Drittel unserer Lebensmittel im Abfall landen», schimpft er – mit sanfter Stimme.

Der Produktivismus ist Rampinis Erzfeind. Man könne doch nicht von heimischer Ernährungssicherheit sprechen und dabei den Süden ausklammern. «Die SVP spricht von einer schweizerischen Ernährungssicherheit, die auf unzähligen Tonnen Kraftfutterimporten aus Südamerika basiert. In riesigen Monokulturen wird dort Mais und Soja angebaut – und dabei die Felder kaputt gemacht und die Ernährungssouveränität der Bevölkerung massiv beinträchtigt», argumentiert Rampini. «Rund die Hälfte des Kraftfutters, welches die Masttiere in der Schweiz fressen, wird importiert und wächst im Ausland auf einer Fläche, die inetwa der ganzen, offenen Ackerfläche der Schweiz entspricht.» Mehr Gefallen findet er indes an der Lebensmittelinitiative der Grünen. Nach seinem Geschmack dürfte diese aber ruhig etwas weiter gehen und Kraftfutterimporte aus dem Süden nicht nur an Bedingungen knüpfen, sondern vollends untersagen.

Ein Hof ohne Traktor

Jules Rampini ist Mitglied der Grünen Partei, parteipolitisch aber nicht aktiv. Er arbeitet lieber an internationalen Themen wie Bergbau, Landraub oder Saatgut, was ihm wohl auch in die Wiege gelegt wurde: Al Imfeld, der bekannte Afrika-Kenner und Publizist, ist sein Onkel. Rampini stapft durch sein Ysopfeld. Von seiner Eisenkrautproduktion gehen 50 Kilogramm an die Napf GmbH, welche Tee daraus macht. Die restlichen 200 Kilogramm liefert er an die Ricola AG. In Erwartung eines kalten Winters isolierte er die Kräuter mit Mist. Der muss nun weg. Rampini liebt die Handarbeit. «Als Bauer sollte man Kontakt zur Erde haben», sagt er. «Genau deswegen mache ich die Kräuterkulturen: Am Boden kniend zu jäten schafft ein ganz anderes Verhältnis zur Erde, als wenn man auf einem Traktor sitzt.» So sei er im Dialog mit ihr, fühle und rieche sie. «Die Erde ist mein Partner. Ich gebe ihr neue Kräfte, um ihre Produktivität zu entfalten.»

Der Maschinenpark des Biobauers ist entsprechend karg: Nebst einem Rapid-Einachser findet sich darin ein Handmäher, ein Vierradmäher und ein Selbstfahrladewagen. Einen Traktor besitzt er nicht. Er sei nicht grundsätzlich gegen den Einsatz technischer Geräte und Maschinen, betont Rampini. Jedoch empfindet er es als «Verstümmelung des urtümlichen Landwirts», wenn dieser nur noch Maschinist sei. Auch die Berührung der Tiere lasse sich doch nicht einfach an automatische Bürsten auslagern, wie das in modernen Ställen üblich ist. «Es ist doch furchtbar», sagt Rampini, «dass man heutzutage die Tiere der Logistik, den Maschinen und den produktivistischen Erfordernissen anpasst – statt umgekehrt.» Wenn Rampini mal einen Traktor benötigt, leiht er ihn dem Nachbar aus. In der Schweiz habe es doppelt so viele Traktoren wie Bauern, weshalb es Sinn mache, teure Geräte kollektiv zu benutzen. Ebene Felder sät er indes mit Pferden.

«Nachhaltige Landwirtschaft ist kleinbäuerlich»

Neben den Kräutern und Kühen hat Rampini Hochstammbäume und unterhält vielseitige Ackerkulturen, die er keinesfalls der Rationalität des modernen Ackerbaus opfern will. «Der Bergackerbau ist im Napfgebiet stark verwurzelt», erinnert Rampini und führt den Besucher zu einer steilen Ackerfläche. Dort erläutert er seine Fruchtfolge: Zuerst Kartoffeln, Futterrüben und Gerste, danach Urdinkel, als dritte Kultur Triticale und zuletzt Wintergerste, bevor Gras wächst. Rampini hat einen vollständigen, internen Futterkreislauf und benötigt keinerlei Futter von aussen. Zwischen 80 und 90 Prozent des Dinkelmehls sind für den Verkauf. «Als ich klein war, hatte jeder Bauer sein eigenes Mehl. Danach importierte die Schweiz zeitweilig zwischen 70 und 80 Prozent des Brotgetreides aus Ländern wie Indien oder Pakistan», sagt er kopfschüttelnd. Heute lohnt sich der Urdinkelanbau wieder: Rampini erhält für 100 Kilogramm rund 120 Franken – vier Mal so viel wie für Futterweizen. Zudem hat er nach der Aussaat sehr wenig damit zu tun, obschon er den Acker weder spritzt, noch düngt.

Für Rampini ist klar: Eine nachhaltige Landwirtschaft beruht auf kleinbäuerlicher Subsistenz. Er stützt sich dabei auf die Empfehlungen des Weltagrarberichts von 2008 der Uno und der Weltbank, die mit dem Paradigma der grünen Revolution brechen. Bei der Produktion müsse die eigene Ernährung Vorrang vor dem Verkauf haben. Selbstversorgung bezieht sich dabei nicht nur auf den einzelnen Landwirt, sondern möglicherweise auf ganze Regionen. Es brauche mehr regionale Versorgungsansätze wie RegioFair, findet Rampini. Besonderen Gefallen findet er auch an vertragslandwirtschaftlichen Ansätzen und könnte sich gut vorstellen, dereinst einen partizipativen Bauernhof zu führen.

Eigenwillige Arbeitsmethoden

Neben dem Bergacker steht Rampinis Prunkstück: ein alter Wellenbock mit Bergpflug. «Wenn ich den Acker pflüge, hänge ich das Seil am oberen Ende des Hügels in eine Richtflasche und danach an den Pflug. Mit dem laufe ich bergab und lasse mich durch die Seilwinde wieder nach oben ziehen», erklärt Rampini sein bodenschonendes Instrument. Bei dieser Arbeit muss man zu zweit sein, weshalb er froh um die Mithilfe seines 84-jährigen Vaters ist. «Ihm bereitet es Freude, wenn einer noch so ackert», sagt Rampini lachend. Dass seine Eltern – die Mutter baut im Garten Gemüse an – bis in Hohe Alter landwirtschaftlich tätig sein können, befriedigt Rampini enorm. Der Bergbauer misst den Wert seiner Produktionsweise nicht am Einkommen, sondern daran, was er für die Umwelt tun kann – oder eben: am Wohlergehen seiner Eltern.

Rampini hat eine konservative Ader. In ruhigen Stunden pflegt er den Naturjutz. Mit den anderen Bauern, mit denen er beispielsweise in diversen Genossenschaften zu tun hat, komme er bestens «zrank». «Ich vertrete meine Ansichten nicht militant», sagt der Biolandwirt. Luthern ist CVP-Stammland, christliche Werte sind tief verankert. Das kommt Rampini entgegen. Ebenso, dass er im Luthertal aufgewachsen ist und mit der einfachen Art der Leute vertraut ist. «Die anderen Bauern finden mich vielleicht etwas extrem, belächeln mich aber nicht», sagt Rampini. Bei der älteren Generation stiessen seine aufwändigen, nostalgisches Anbaumethoden oft auf Verständnis, lacht er.

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