VVL stellt Stehplatz-Konzept vor

Viel Gestänge um nichts

Auffallend viele Stangen. Eine der neuen Stehplatz-Zonen. Diese trägt den Arbeitstitel «beidseitig». (Bild: cha)

Mehr Platz zum Stehen, dafür weniger Sitzplätze. Mit diesem Konzept sollen in der Region Luzern in den überfüllten Zügen mehr Passagiere Platz finden. Betroffen sind die Pendler der 2. Klasse. Wir haben sie befragt, was sie von dieser «Komfortsteigerung» – so zumindest wurde der Testbetrieb angekündigt – halten. Das Ergebnis erstaunt nicht.

«Mit grosszügigeren Stehplatz-Zonen im Eingangsbereich wollen der Verkehrsverbund Luzern sowie die SBB in Zukunft mehr Platz und Komfort für die Fahrgäste in der S-Bahn schaffen und den Fahrgastfluss beim Ein- und Aussteigen verbessern.» Unter anderem mit diesen Worten hat der Verkehrsverbund Luzern Medienschaffende zu einer Testfahren eingeladen. Was beinahe zynisch klingt – besonders die Kombination von «Stehplatz» und «Komfort» – ist für den Verkehrsverbund Luzern (VVL) und die SBB eine kurz- bis mittelfristige Lösung für die an ihre Kapazitätsgrenzen stossenden S-Bahnen. Massnahmen, die bei den Pendlern nicht gerade auf Begeisterung stossen.

Momentan verkehren zwischen Luzern und Sursee (S18), sowie zwischen Luzern und Baar (S1) zwei «Laborzüge» des Typs «Flirt». Diese sind mit den sogenannten «Stehplatz-Zonen» ausgestattet, die der Verkehrsverbund Luzern und die SBB auf diesen Routen während zweier Wochen testet. Christoph Zurflüh vom VVL sieht die Schaffung zusätzlicher Platzkapazitäten als zwingend notwendig: «Wir haben immer mehr S-Bahn-Kunden. Besonders zu den Stosszeiten am Morgen und am Abend wird das Platzproblem jeweils während rund zwei Stunden zu einer grossen Herausforderung.»

Beim ersten Blick in eine mit den neuen Stehplatz-Zonen ausgestattete S-Bahn fällt auf: Es hat weniger Sitze, dafür viel mehr Gestänge, das teils wirr und vereinzelt auch planlos erscheint. «Wir haben in den beiden Testfahrzeugen insgesamt 22 Sitzplätze herausgenommen und die bestehenden Stehplatz-Zonen bei den Eingängen vergrössert», erklärt Dieter Rehmann, Projektleiter der SBB. «Zudem haben wir diverse Haltemöglichkeiten für die Fahrgäste angebracht, damit wir den Platz zum Stehen auch gut ausnutzen und komfortabler gestalten können.»

Zurflüh sagt dazu: «Während einer Zugfahrt von beispielsweise sechs Minuten möchten viele Pendler nicht unbedingt sitzen. Die Fahrgäste sollen sich daher gut festhalten können.» Dass das Verlangen nach einem Sitzplatz während einer solch kurzen Zugfahrt gering ist, mag richtig sein. Doch wenn ein Fahrgast gezwungen ist, auf der gesamten Teststrecke zwischen Luzern und Sursee, für die der Zug ganze 26 Minuten benötigt, zu stehen, ist der versprochene «Komfort» längst vergessen.

«Sie sollten lieber Sitzplätze in der 1. Klasse rausnehmen»

Getestet werden vier verschiedene Zonen, die individuell angeordnet sind. Eine ist mit einem Stehtisch versehen, eine andere hält für die Passagiere, die keinen Sitzplatz ergattern konnten, zwei Stangen zum Anlehnen bereit. Die Begeisterung der Pendler über diese Stehplatz-Zonen hält sich in Grenzen. «Mir fällt auf, dass die Sitzplätze in der ersten Klasse kaum besetzt sind, die 2. Klasse ist hingegen immer überfüllt. Daher sollte man doch eher Sitzplätze in der 1. Klasse rausnehmen», sagt eine Pendlerin gegenüber zentral+.

Auch Marlies Graf, die mehr als zehn Jahre lang mit dem Zug von Sursee nach Luzern und zurück pendelte, ist wenig begeistert: «Ich finde es völlig daneben, dass das Bahnfahren immer teurer wird, während gleichzeitig die Leistung abnimmt.» Sie sei ihrerseits stets froh gewesen, wenn sie nach einem langen Arbeitstag im Zug sitzen konnte.

Wohl kaum schnellerer Ein- und Ausstieg gewährleistet

Auf den ersten Blick erscheint diese «kurz- bis mittelfristige, wirtschaftliche Lösung» einleuchtend. Es scheint sinnvoll, besonders für Züge, die in der Agglomeration verkehren, mehr Kapazität durch weniger Sitze zu schaffen. Doch ein Punkt erscheint suspekt: Durch die Vergrösserung der Stehplatz-Zonen, die sich bei den Eingangsbereichen befinden, soll nicht nur dem Kapazitäts-Mangel Einhalt geboten, sondern auch der Fahrgastfluss beim Ein- und Aussteigen verbessert werden.

Wenn sich nun also die Pendler zu Stosszeiten gegenseitig die Füsse wund treten und sich die Fahrgäste durch die neuen Stehplatz-Zonen vermehrt in den Eingangsbereichen aufhalten; wie soll sich dadurch der Fahrgastfluss beim Ein- und Aussteigen verbessern? Besonders der Weg von den Sitzplätzen bis zum Ausgang dürfte sich dank den neuen Zonen als physischer Kampf, bei dem viel Körpereinsatz gefragt ist, erweisen.

«Das System ist von den Bussen adaptiert»

Dem widerspricht Christoph Zurflüh: «Die Stehplatz-Zonen sind für Pendler kurzer Distanzen gedacht. Also für jene, die nur eine bis zwei Stationen innerhalb der Agglomeration fahren. Die Vergrösserung der Zonen trägt dazu bei, dass die Pendler besser zu einem Sitzplatz gelangen können.» Ausserdem sei es wichtig, dass diese Zonen gerade bei den Eingängen positioniert sind. «Damit ist gewährleistet, dass die Fahrgäste schnell wieder den Zug verlassen können.» Zurflüh ergänzt: «Das System ist grundsätzlich von den Bussen adaptiert, wo es mehrheitlich funktioniert.»

Der VVL und die SBB ihrerseits sind überzeugt von ihrer Lösung: «Wir haben in der Region Basel einen aufwendigen Markttest durchgeführt, in dem wir rund 2’000 Kunden befragt und deren Anregungen ausgewertet haben», so Rehmann. Bisher hätten sie auch keine negativen Reaktionen verzeichnet.

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