Weltrekordversuch

90-Jähriger will den Lucerne Marathon laufen

Beim Zieleinlauf am Lucerne Marathon werden die Läufer von den Zuschauern bejubelt. (Bild: Swiss Image)

Wenn er es schafft, wird Albert Stricker weltweit der erste 90-jährige Marathon-Finisher sein. Sein Arzt begleitet den Ausnahmeläufer bei seinem Projekt – und ist zuversichtlich, dass das Vorhaben in Luzern gelingen wird.

Albert Stricker will keinen Rummel um seine Person. Er konzentriert sich auf seine Aufgabe. Am Sonntag will er unbemerkt – als eine Art stille Sensation – den Lucerne Marathon laufen. Vor einer Woche feierte er seinen 90. Geburtstag und schenkte sich diese Zumutung von 42,2 Kilometern Laufstrecke. Warum? Weil es Weltbestzeit wäre. Noch nie hat ein Mensch vor ihm in diesem Alter die Distanz innerhalb der offiziellen Zeit geschafft  hat. Das stachelt ihn an. Und Konkurrenz hat er ja in seiner Kategorie keine mehr zu fürchten.

Wenn der Ostschweizer die Tortur unter sechs Stunden meistert, wird er in die Bestenliste der World Masters Athletics eingetragen. Sein Name würde dann hinter Laufhelden wie Haile Gebrselassie stehen und er könnte als 90-jähriger Mann in der Disziplin «Men Outdoor Marathon» eine ganz neue Alterskategorie erschaffen: «M90».

Ein Versuchskaninchen für die ETH

Zuerst muss Albert Stricker die Strecke aber meistern. Und eigentlich will er nicht öffentlich darüber sprechen. Er will vermeiden, dass er von seinem Ziel abgelenkt werden könnte. So bereitet er sich vor. Zu seinem Vorhaben sagt er: «Zuerst muss ich ihn laufen. Erst dann kann darüber gesprochen werden. Sonst würde ich ja als Bluffer dastehen».

Und was, wenn er es denn wirklich schaffen sollte? Es würde für ihn nach dem Rennen gar nicht viel Zeit fürs Feiern bleiben. Denn sein Arzt, der ihn begleitet, will ihn unmittelbar nach dem Lauf «einpacken» und dann ginge es ab nach Zürich an die ETH, so Stricker. Dort sollen dann sportmedizinische Auswertungen mit ihm gemacht werden. Ausdauer, Kraft, Muskelmasse, Oberschenkel, Waden, Glykogen. Wie und welche Substanzen er verliert, das soll wissenschaftlich untersucht werden.

Sein Arzt, Beat Knechtle, wird die Aufzeichnungen machen. Der Appenzeller Sportmediziner wird am Sonntag seinen Lauffreund Stricker – das «Testobjekt» –begleiten. Knechtle wird stets mitlaufen, als medizinischer Betreuer und Pacemaker. Und im Vorfeld des Rennens ist er für den Senior zudem Organisator, Distributor, Mädchen für alles und: sein beauftragter «Pressesprecher».

Geht das wirklich gut? Wie schädlich es ist, einen 90-jährigen Körper derart zu beanspruchen? Beat Knechtle lächelt nur und antwortet: «Ich bin sicher, das wird ihm nichts ausmachen». Das soll heissen: Der Marathon wird nicht an seiner Masse zehren, seiner Muskulatur, oder gar an seinen Knochen. Die beiden haben gezielt trainiert.

Nahe an der Sensation

Für den ersten Trainingslauf über die gesamte Distanz, den der Senior und Knechtle zusammen unternahmen, war es im Juli viel zu heiss. Auch ging Stricker die Herausforderung zu schnell an. «Es war ein kleines Desaster», sagt Knechtle. Sie mussten abbrechen. Dann aber, beim zweiten Versuch im kühleren September, lief Stricker fast in die Zeit: sechs Stunden, sechs Minuten. Nahe dran. «Danach wussten wir, dass nicht mehr viel fehlt.»

Aber Strickers Ernstfall ist lange her. Mit 60 Jahren lief er seinen letzten Wettkampf-Marathon. «Als er noch jung war», lächelt Knechtle. Doch der Senior wisse heute noch genau, was er zu tun habe. Im Halbmarathon war er mehrfacher Senioren-Europameister. Auch über die zehn Kilometer, seine normale Trainingseinheit, ist er stark. Knechtle glaubt an seinen Schützling. «Er könnte es schaffen, weil er das Ganze in einem tiefen Intensitätsbereich laufen wird.»

Doch vieles könnte am «Projekt Weltrekord» schief gehen. Es braucht eine tiefe Temperatur, am besten unter 10 Grad, um die Leistung Strickers optimal abrufen zu können. 7 bis 7.25 Stundenkilometer im Durchschnitt. Und die Erhöhungen im Streckenprofil entlang der Tribschenstrasse und Kastanienbaum werden als eher kritisch eingeschätzt. Sie werden den Puls hochtreiben und Stricker wird an Geschwindigkeit verlieren.

Beim Zieleinlauf wird er einer der letzten sein. «Wir laufen und werden sehen. Wenn er es in der Zeit schafft, toll, und sonst ist es kein Weltuntergang». Knechtle sagt, der 90-Jährige wolle sich nicht unnötig quälen. Zwar schaue er während des Laufs weder nach links noch rechts, aber es müsse für ihn doch relativ gut und locker gehen. Wenn Stricker leiden müsse, würde er einfach abbrechen. So oder so, bis dahin wird der Ausnahme-Läufer vom Strassenrand aus  frenetisch bejubelt und angefeuert werden. Das steht schon mal fest.  

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