Flutwelle sorgte in Vergangenheit für Tanzverbot

Wann gibt es in Luzern den nächsten Tsunami?

Bei einem Tsunami wird ein Haufen Wasser gegen das Land gedrängt.

(Bild: flickr (Petra Bensted/Dennis Jarvis))

Forscher von vier Universitäten untersuchen derzeit das Risiko einer Katastrophe auf dem Vierwaldstättersee. Denn in der Vergangenheit lösten Erdbeben schon mehrfach Tsunamis aus. Mindestens einmal gab’s dabei auch Tote und ausserdem ein Jahr Tanzverbot.

Im Jahre 1601 stand die Welt Kopf: Die Reuss floss phasenweise nicht mehr aus dem Vierwaldstättersee hinaus. Sondern sie strömte rückwärts, in ihn hinein. Über Tage hinweg schwappte das Wasser über den Kreuztrichter hinweg in die Buchten von Luzern und Küssnacht und wieder zurück gegen die Wand des Bürgenstocks. Auslöser war ein Erdbeben mit einer Magnitude von 5,9. Es war ein starkes Ereignis, das sein Epizentrum unterhalb von Nidwalden hatte und, nach dem Bericht des Luzerner Stadtschreibers Renwart Cysat, auch Menschenleben gekostet haben soll – acht davon durch eine Tsunamiwelle.

Flavio Anselmetti.

Flavio Anselmetti.

(Bild: Giulia Marthaler)

Die Gefahr einer Wiederholung will Professor Flavio Anselmetti vom Institut für Geologie an der Uni Bern genau untersuchen. Mit einem Nationalfondsprojekt, für das zwei Millionen Franken bewilligt wurden und das mehrere Jahre lang dauert. Es soll vor allem Doktoranden und Postdoktoranden der Unis Bern und Bremen sowie der ETH Zürich und des Schweizer Erdbebendienstes beschäftigen.

Schweres Gerät der Meeresgeologen

«Wir haben mit unseren Untersuchung schon angefangen, sagt Anselmetti. An Land, aber in der Nähe des Ufers, wurden Bohrkerne entnommen, die Aufschluss über Überschwemmungen in vorgeschichtlicher Zeit geben können. «Weil ein starkes Erdbeben, das Tsunamis auslöst, statistisch nur alle 1000 bis 3000 Jahre auftritt, müssen wir in den geologischen Archiven nach Spuren suchen», sagt er.

«Weil ein starkes Erdbeben nur alle 1000 bis 3000 Jahre auftritt, müssen wir in den geologischen Archiven suchen.»

Flavio Anselmetti, Professor

Bekannte Flutwellen auf dem Vierwaldstättersee

Vor 2200 Jahren stürzte auf der Westseite des Bürgenstocks Material in den See und löste eine Welle von drei Metern Höhe aus, die Minuten später Kastanienbaum überflutete. Anlass war ein Erdbeben – ein noch stärkeres als 1601.

Am 18. September 1601 erschütterte ein Erdbeben mit einer Stärke von 5,9 auf der Richterskala die Zentralschweiz. Das Epizentrum lag unterhalb von Nidwalden, am stärksten betroffen war Beckenried und Umgebung. Zahlreiche Häuser und Ställe stürzten ein, es gab Tote. Rutschungen im See lösten einen vier bis fünf Meter hohen Tsunami aus, der die Ufer unterspülte. Gebäude glitten mit ihren Bewohnern in den See.

1687 rutschte bei Brunnen das Delta der Muota in den See und löste eine drei bis vier Meter hohe Flutwelle aus, die das Haus zur Treib beschädigte und zahlreiche Stege und Boote am obern Teil des Vierwaldstättersees ruinierte.

1967 rutschten auf der Nordseite des Bürgenstocks Tausende Kubikmeter Material des Steinbruchs Obermatt in den See und lösten eine über zwei Meter hohe Impulswelle aus, die auf dem gegenüberliegenden Ufer in Weggis Boote und Stege beschädigte. Im Jahr 2000 kam es wieder zu einem solchen Ereignis – einfach mit geringeren Auswirkungen. Mittlerweile ist der Steinbruch Obermatt mit einem Damm gesichert.

Auf dem Wasser will man ein schweres Gerät einsetzen, das bisher nur auf Ozeanen zum Einsatz kam und einer Bewilligung bedarf. Klappt alles, geht es Ende Jahr los. «Wir horchen Unterwasserhänge mit Schallsensoren ab und errechnen, wann sie in Bewegung geraten», sagt Anselmetti.

Es sei ein komplexes Projekt, in dem mehrere Teilbereiche ineinandergreifen. Neben den Untersuchungen der Sedimente werden auch die Auswirkungen eines Unterwasser-Rutsches und die Tsunamiwelle mit den Landüberflutungen simuliert.

Brecher und lange Flutwellen

«Wir wollen den Vierwaldstättersee als Fallbeispiel untersuchen, da dort mehrere historische Ereignisse bekannt sind», sagt Anselmetti (siehe Kasten). Darüber hinaus haben Anselmetti und seine Forschungsgruppe vor Jahren schon ein Erdbebeninventar der Gegend erstellt.

Auch wenn die Forscher die Auswirkungen von Unterwasser-Schlammlawinen ausloten, können ebenso meterhohe Sturzwellen entstehen – wenn etwas ins Wasser stürzt. «1601 kam es nicht nur zu Hangrutschen unter Wasser, sondern es stürzte auch ein Teil der Bürgenstock-Flanke in den See», sagt Anselmetti. Damals sei ein grosser Teil des Untergrunds im Vierwaldstättersee instabil geworden.

Wasserpegel stieg in Küssnacht um vier Meter

Das grössere Schadenpotential als Sturzwellen, die Anselmetti «Impulswellen» nennt, hätten Tsunamis. «Das sind keine Brecher, sondern lange Wellen mit einer Wellenlänge von etwa einem Kilometer, die das Wasser wie Gezeiten auftürmen», sagt Anselmetti. Eben so, wie man es auch vom grossen Tsunami in Südostasien im Jahr 2004 in Erinnerung hat.

Das Untersuchungs-Floss wird zum Einsatzort geschleppt.

Das Untersuchungs-Floss wird zum Einsatzort geschleppt.

(Bild: Uni Bern)

Cysat beobachtete am Tag nach dem Tsunami am Küssnachtersee, wie Schiffe «ussgeworffen am gestad, by 50 guotter schritten wyt hindersich von dem ordenlichen uffer dannen und jn die höhe by zweyen hallenbarthen hoch oder meer obsich geschlagen befunden». Oder in zeitgemässem Deutsch: Wie Boote 50 Meter landeinwärts getragen worden waren, da der Wasserspiegel um vier Meter angestiegen war.

Erdbeben sind eine Strafe Gottes

Der Tsunami wurde damals nicht als Konsequenz eines Erdbebens in der Folge der Alpenbildung erkannt. Sondern ein Erdbeben galt als Strafe Gottes. Der Kleine Rat von Luzern erliess deshalb für das folgende Jahr ein Tanzverbotoder genauer, er untersagte «alles tantzen, spilen unnd überflüssiges prassen, dessglychen alles geschrei, getümmel, gesang und seittenspil.»

Die Geologen und ihr Floss auf dem Kreuztrichter.

Die Geologen und ihr Floss auf dem Kreuztrichter.

(Bild: Uni Bern)

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