Pony Hü: Kulturschock in Marokko
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Pony Hü stösst in Marokko auf Abfallberge

Brot – über dem Plastikfeuer statt im Ofen gebacken

Abfall überall – das tägliche Bild (Foto zvg. Sarah Bischof)

Die Abfallberge in den Hügeln und am Strand von Tamraght (Marokko) können wütend und nachdenklich machen. Im grösseren Zusammenhang stellt sich dann aber die Frage: Wenn einem Nachhaltigkeit nicht mit auf den Weg gegeben wird, wie soll man dann nachhaltig leben können? Sarah Bischof über den Versuch, im Süden Marokkos das erste nachhaltige Restaurant zu realisieren.

Wächst Plastik neu wie Blumen auf Wiesen, wie Blätter auf Bäumen oder wie Sand am Strand? Das könnte man meinen, wenn man durch das Dorf Tamraght in Marokko läuft. Abfall überall – das tägliche Bild. Öffentliche Mülleimer gibt es keine. Niemand fühlt sich dafür verantwortlich.

Zwar wird in der Kommune Aourir zweimal pro Woche ein Abfalltransporter organisiert, doch die meisten Einheimischen wollen dafür die 20 Dirhams (umgerechnet 2 Franken) pro Monat nicht bezahlen. Wieso auch? Sie haben es so gelernt, dass man Abfall auf einen Haufen schmeissen, anzünden und darauf – wenn es ganz schlimm kommt – sein eigenes Brot backen kann. Ein Plastikbrot!

Doch verurteilen will ich sie dafür nicht, denn wie sollte man wissen, dass der Rauch, der bei der Verbrennung von Plastik entsteht, schädlich für Mensch, Natur und Tier ist, wenn man es nie gelernt hat? Frage ich junge Einheimische, erzählen sie mir, dass man zwar in der Schule Naturtexte lese, aber nicht genügend über den Umgang mit der Natur und der weltweiten Konsequenzen aufgeklärt werde.

Das Problem des Plastiks kommt aus dem Westen – das ist mir klar. Früher kannten die Dorfbewohner Plastik nicht. Es wurde gekauft, was die Ernte hergab. Die Linsen, der Reis oder der Couscous wurden aus riesigen Stoffsäcken geschöpft und abgewogen. Dieses System existiert noch heute sowohl beim kleinen Dorfhändler als auch beim grösseren Supermarkt. Etwas, das man früher hierzulande im Laden von Tante Emma auch kannte, zwischenzeitlich verloren ging und nun in Zero-Waste-Ladenkonzepten wieder belebt wurde.

Doch dann kam der Teufel Plastik

Heute gibt es leider Linsen und Co. auch in Marokko in Plastik. All diese in Plastik verpackten Süssigkeiten für 10 Rappen, die Danone-Joghurtbecher, die Millionen Cola-Flaschen sind eine Erfindung des Westens. Während bei uns wenigstens die Abfalltrennung zum Standard gehört, ist das hier im Dorf ein Fremdwort.

«Mit dem nationalen Verbot von Plastiksäcken wurde ein Zeichen gesetzt.»

Ich sage bewusst «hier im Dorf». Denn andere Orte, besonders Städte in Marokko, sind weit fortschrittlicher. Mancherorts ist sogar bereits eine Umweltpolizei im Einsatz, die Schandtaten wie das Verbrennen von Plastik bestraft. Auch wurde mit dem nationalen Verbot von Plastiksäcken ein Zeichen gesetzt. Jawohl, in diesem Punkt ist Marokko fortschrittlicher als die Schweiz. Nur: Wer in Aourir, dem Nachbardorf, auf den Markt geht, findet sie noch immer an jedem zweiten Stand, die verbotenen Plastiksäcke.

Es ist die Ignoranz gewisser Menschen. Dies, obwohl Strafen von 1’200 Franken drohen, wenn man beim Einpacken Plastiksäcke verwendet. Ein guter Schritt, doch die neuen Säcke sind auch aus irgendeinem Kunststoff, nicht biologisch abbaubar und so dünn, dass die wenigsten sie wiederverwenden.

Wasser aus der PET-Flasche

Gibt es denn kein Abfallsystem? Eben, der Abfalllaster. Dort wird wenigstens aussortiert, was wiederverkauft werden kann. Eigentlich kann ziemlich vieles wiederverkauft werden: Alte Zeitungen kaufen die Bananen- und Nusshändler, auch Kartons und die 5-Liter-Wasserflaschen sind beliebt. Ich hasse es, Wasser in Flaschen kaufen zu müssen. Im Gegensatz zu den Einheimischen riskiere ich nicht, das Leitungswasser zu trinken. Wie in Indien oder anderen Ländern ist das Wasser in Marokko nicht sauber genug. Touristen müssen Rohkost in Restaurants mit Vorsicht geniessen.

«Was bringt mein System überhaupt?»

Wenigstens strahlt der Müllmann, wenn ich ihm die leeren 5-Liter-Wasserflaschen in die Hand drücke. Er kann damit 1 oder 2 Dirhams (10–20 Rappen) verdienen. Ich kann gar nicht anders, als den Müll zu trennen: Bioabfall fressen die Ziegen vor der Tür, in die eine Tonne kommt der Abfall und in die andere Recycling wie Karton, PET oder Aluminium. Wenn ich dann aber sehe, dass die Müllmänner auf dem Wagen alles zusammenkippen, frage ich mich, was mein System überhaupt bringt.

Abfall überall – das tägliche Bild. (Foto zvg. Sarah Bischof)

Abfall überall – das tägliche Bild. (Foto zvg. Sarah Bischof)

Ich will handeln

Betrachte ich die Abfallsituation, bin ich unglaublich dankbar um meine Bildung und das Umfeld, in dem ich in der Schweiz aufwachsen durfte. Ich weiss, dass ich durch meine Reisen klimatechnisch kein Engel bin. Von A nach B fliegen – etwas, das vielleicht ein Marokkaner nie in seinem Leben machen wird. Dennoch sehe ich es als meine Mission, einen Teil meines Wissens an diesen Ort zu bringen, wo die Natur voll Abfall ist.

Ich will nicht einfach wegschauen und in der Traumwelt von Sonne und Surfen leben, sondern ich möchte Lösungen aufzeigen, wie wir gemeinsam die Plastikberge verringern können. Nicht nur die Locals, sondern auch die Touristen – denn es betrifft uns alle. Wie oft nehmen wir einfach «schnell schnell» etwas To-Go im Plastikgefäss mit, das dann wieder im Müll landet. Ich möchte andere Business inspirieren, mit uns auf der Welle der Nachhaltigkeit zu surfen.

Wo der Wandel im Kleinen passieren kann

Wir wollen gratis Workshops über nachhaltige Themen für alle anbieten. Dazu erschaffen wir mit dem ersten nachhaltigen, biologischen und kreativen Restaurant «Hakuna Matata» im Süden Marokkos den passenden Ort. Wo ein Wasserfilter installiert wird und die Bevölkerung dazu eingeladen wird, ihre Wasserflasche aufzufüllen, bevor sie an den Strand gehen. Wo kein Take-away über die Tresen geht, sofern man nicht seine eigenen Gefässe mitbringt. Wo der Wandel im Kleinen passieren kann.

Denn: Die Hoffnung ist da. Erste Impulse sind gesetzt, dennoch braucht es wohl noch einige Generationen, bis sich der Gedanke des Miteinanders und des Im-Einklang-mit-der-Natur-Lebens in den Köpfen manifestiert hat.

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Sarah Bischof hat sich ursprünglich durch ihren Videoblog «Pony Hü» einen Namen gemacht – aufgefallen ist die freischaffende Journalistin und Moderatorin aber nicht zuletzt auch durch ihre blauen Haare (Lesen Sie dazu «Ich nehm mal kurz den Globus mit» ). Inzwischen hat es die Luzernerin nach Marokko verschlagen, wo Sie ihren Traum von...
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