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Von Viskose bis Hanf

Die Frage nach der nachhaltigen Faser

Wie steht es um die nachhaltige Produktion unserer Kleidungsfasern?

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Anlässlich der Viscosistadt-Eröffnung in Emmenbrücke fragt sich Bloggerin Rebekka Sommerhalder, was hinter der Viskose-Industrie steckt, und wie es um die anderen Textilfasern steht. Ob sich aus nachhaltiger Sicht ein Favorit finden lässt?

Am Wochenende eröffnete die Hochschule Luzern – Design & Kunst den neuen Standort in der Viscosistadt Emmenbrücke. Zur Feier fand das Streat diesmal nicht in der Lindenstrasse, sondern rund um das neue HSLU-Gebäude «Bau 745» statt. Ich mag die Kunsti und ich liebe das Streat, also war ich auch da.

Viskose made in Emmenbrücke

Und wie ich da so auf einer Festbank sass, beäugte ich die umliegenden Industriegebäude und überlegte, wo ich denn hier eigentlich bin. Ja, es liegt auf der Hand. Es nennt sich Viscosistadt. Dass das irgendwas mit Viskose zu tun haben könnte, überrascht wenig. Ich hatte es mir nur noch nie überlegt. Anscheinend ist dieses Areal an der kleinen Emme nicht ganz unbedeutend: Seit über 100 Jahren wird hier Viskose hergestellt. Made in Emmenbrücke. Die zellulosischen Chemiefasern werden hier zwar kaum für die Bekleidungsindustrie produziert, mein Interesse ist trotzdem geweckt.

«Als würde der Wortbestandteil ‹Natur› schon ausreichen, um eine Faser ökologisch zu machen.»

Chemie versus Natur

Viskose kennt man, wenn man in der Modebranche tätig ist. Wobei es unter den Ökos – und dazu zähle ich mich ja irgendwie auch – oft noch klipp und klar heisst: «Nur Naturfasern sind nachhaltig!» Gegen diese simple Aussage wehre ich mich allerdings vehement. Als würde der Wortbestandteil «Natur» schon ausreichen, um eine Faser ökologisch zu machen. Geschweige denn sozialverträglich.

Aber auch wenn es um nachhaltig produzierte Naturfasern geht, bleibt die Frage: Sind sie die einzige Lösung? Eine nicht selten diskutierte Frage. Unter meinen Kollegen höre ich die verschiedensten Argumente. Pro und kontra. Chemie versus Natur – wer gewinnt wirklich in puncto Nachhaltigkeit?

And the winner is …

So ganz einfach ist die Frage nicht zu beantworten. Auch, weil im Grunde nicht nur die Produktion oder Gewinnung der Faser entscheidet, sondern auch das Verhalten beim Tragen und Pflegen sowie die Möglichkeiten beim Entsorgen oder Recyceln. Ich schaue mir die gängigsten Rohstoffe nochmals genauer an.

Baumwolle – die Beliebteste

Sie ist die saubere kleine Schwester der aktuell beliebtesten Naturfaser: Bio-Baumwolle. Baumwolle überzeugt durch eine hohe Strapazierfähigkeit und die daraus folgende Langlebigkeit. Die Faser besteht aus Zellulose, was ihre Entsorgung relativ unproblematisch macht. Ist sie zudem biologisch angebaut, minimieren sich die negativen Aspekte: keine umweltbelastende Pestizide, kein genmanipuliertes Saatgut, keine Entlaubungsmittel.

Ist die Bio-Baumwolle am nachhaltigsten? (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Ist die Bio-Baumwolle am nachhaltigsten? (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Ausserdem verzichten Bio-Bauern meist auf Monokulturen, das wiederum schützt die Böden und lässt diese mehr Nährstoffe und Wasser speichern. Wasser ist dennoch das grosse «Aber» bei Baumwolle. Ungefähr 11’000 Liter werden für ein Kilogramm Baumwolle verbraucht. Und das nicht in unseren eher wasserreichen Breitengraden, sondern da, wo ohnehin Wasserknappheit herrscht. Gute Bewässerungstechnologien können den Wasserverbrauch bis 40 Prozent vermindern, die Pflanze bleibt aber nach wie vor eine vergleichsweise durstige.

Leinen & Hanf – die Verdrängten

Baumwolle und Kunstfasern haben sie im letzten Jahrhundert fast völlig von der Bildfläche verdrängt: Bastfasern wie Leinen und Hanf. Nun sind sie wieder auf dem Vormarsch, denn auch sie haben einiges zu bieten. Sie sind mindestens so strapazierfähig wie Baumwolle und überzeugen mit einem angenehm kühlenden Tragegefühl. Leider sind sie unelastisch, was sie sehr knitteranfällig macht.

Ansonsten überzeugen diese Fasern fast auf ganzer Linie. Die Pflanzen gedeihen auch in Europa hervorragend, was die Transportwege und CO2-Emmissionen drastisch reduziert. Sie punkten mit einem schnellen Wachstum, also viel Ertrag auf wenig Fläche. Die Hanfpflanze entwickelt ausserdem einen starken Eigengeruch, der Schädlinge auch ohne Pestizide fernhält.

Wolle – die Erenergieeffiziente

Wolle ist die am weitesten verbreitete Naturfaser tierischen Ursprungs. Sie ist quasi das Winter-Pendant zu den kühlenden Bastfasern. Durch ihre starke Kräuselung schliesst sie Luft ein und isoliert Wärme. Ausserdem weist Wolle Schmutz ab und muss im Grunde sehr selten gewaschen werden, was Energie spart.

«Auch Wolle ist kein absolutes Wunderkind.»

Wolle punktet sowieso in Bezug auf Energieeffizienz, denn auch bei der Tierhaltung werden wenig Rohstoffe verbraucht. Stammt sie aus biologischer Tierhaltung, werden ökologisch bedenkliche Praxen der Massentierhaltung vermieden. Aber auch Wolle ist kein absolutes Wunderkind, sie neigt zum Verfilzen, bildet kleine Knötchen (Pilling) und ist weniger strapazierfähig als Baumwolle, Leinen und Hanf.

Modal & Tencel – die Chemischen

Und dann gibt’s da eben noch die Chemiefasern. Synthetische lasse ich aussen vor, mich interessieren diejenigen auf zellulosischer Basis: Modal und Tencel. Sie werden analog zur Viskose in einem chemischen Prozess gewonnen. Dieser Herstellungsprozess ist in der Regel sehr energie- und ressourcenintensiv und je nach Fabrik stark umweltbelastend.

Modal und Tencel (Markenname für Lyocell) hingegen werden besonders nachhaltig in der Lenzing AG in Österreich gewonnen. Modal aus Buchenholz, Tencel aus Eukalyptus. Beides wächst in Europa, und Lenzing verarbeitet sowieso nur FSC-zertifiziertes Holz. Die verwendeten Lösungsmittel werden in geschlossenen Kreisläufen zu fast 100 Prozent wiederverwertet, Umweltbelastung ist minimal. Modal und Tencel bieten hervorragende Trageigenschaften, sie sind sehr strapazierfähig, supersanft und hygienisch. Auch die Pflege ist ein Kinderspiel. Genauso wie Naturfasern sind sie biologisch abbaubar. Auch ziemlich überzeugend, finde ich.

Wenn man diese Fasern nun vergleichen und bewerten will, kann man sagen: And the winner is … alle irgendwie, und trotzdem keine richtig.

Consumption-Greenwashing

Wirklich nachhaltig ist nämlich keine Faser. Die alte Leier, ich geb’s zu. Meine alte Leier. Bei jeder Nachhaltigkeits-Diskussion lande ich da: Die Menge macht’s. Über die richtige, die nachhaltigste Faser kann man sich streiten. Naturfasern haben Vor- und Nachteile. Zellulosische Chemiefasern haben Vor- und Nachteile.

Fakt ist aber, dass bei der Produktion unserer Bekleidung immer Rohstoffe, Energie und Wasser verbraucht werden. Leider gibt es etwas, das nenne ich «Consumption-Greenwashing». Dabei liebt man Fast Fashion. Fürs gute Gewissen werden die Unmengen an Klamotten aber in der öko-fairen Variante gekauft. Auch wenn ich mit meinem Laden wirtschaftlich davon profitiere, finde ich das mässig überzeugend. Denn wenn ich zwanzig fair produzierte Bio-Baumwoll-T-Shirts kaufe und nach einer Saison wegwerfe, ist das «fair produzierte Bio» irgendwie nur Augenwischerei.

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