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Auszeit im Calancatal

In die Nähe schweift sich’s nachhaltiger

Einen Abstecher auf den nahe gelegenen Sonnenberg: «Wir sollten wenn möglich auch regional leben.» (Bilder: Emanuel Ammon/Aura)

Nachhaltigkeit liegt im Einfachen – sie lässt sich nicht konsumieren, sie lässt sich nicht kaufen; sie liegt vor unserer Haustüre. Nötig ist dazu ein Alltag, der uns alles bietet, was wir für ein gutes Leben brauchen. Dies zeigte sich nach zwei Wochen Gras und Dreck.

Meine WG-Wohnung in Luzern hat letzthin geleuchtet wie ein weisses Blatt Papier in der Sonne. Das lag nicht etwa daran, dass meine Mitbewohner einen Frühlingsputz veranstaltet hätten; es lag an meiner Wahrnehmung. Ich war gerade von zwei Projektwochen im Calancatal zurückgekehrt. Zwei Wochen Essen vom Feuer, barfuss gehen; auf Sand, Stein, Gras und Dreck.

Ich fühlte mich zuerst in meiner Wohnung wie ein Fremder. Zu sauber, zu übertüncht schien mir alles. Die strahlende Wohnung zeigte mir, wie wenig es braucht zum Glücklichsein: gute Leute, gutes Essen und ein Programm, das den Bedürfnissen des Menschen entspricht.

Was treibt uns zum Reisen?

Das Calancatal hat mir mit seinen steilen Flanken und den wilden Wäldern wieder einmal unmissverständlich die Grundregel vor Augen gehalten: Nachhaltigkeit liegt im Einfachen – sie lässt sich nicht konsumieren, sie lässt sich nicht kaufen; sie liegt im Schliessen von Kreisläufen.

Der Bündner Architekt Gion A. Caminada hat einmal in einem Interview gemeint, er reise nicht oft, ihm gefalle es in seinem Heimatdorf Vrin am besten. Diese Aussage hat mich aufgewühlt: Was zieht uns in immer entlegenere Gebiete? Ist es tatsächlich die Neugier auf andere Menschen und Kulturen?

Geht es wirklich darum, den Horizont zu erweitern, oder sind es nicht viel mehr gesellschaftlicher Druck und eine Art Flucht, die immer mehr Menschen immer weiter weg treiben? Denn das wäre doch ein Ausdruck dafür, dass unser Alltag und unsere Umgebung uns nicht alles bieten, was wir für ein gutes Leben brauchen.

«Es muss unbedingt im Sinne der Nachhaltigkeit sein, dass es den Menschen in ihrer Umgebung gut geht.»

Regional einkaufen genügt nicht

In meinem Umfeld nehme ich beide Strömungen war. Einerseits gehen viele in der Schweiz eine Woche Wandern oder auf Skitouren, bleiben also in der Nähe. Aber klar: Das Calancatal zum Beispiel mit seiner Rauheit und Andersartigkeit könnte man auch als Fluchtort vor dem Alltag bezeichnen – und ist es wahrscheinlich auch ein wenig.

Andererseits sind die Zugfahrt und das einfache Leben immer noch nachhaltiger als der Flug, der gar schnell gebucht ist für Reisen in Europa oder auch weiter weg. Oft sind es die gleichen Leute, die einmal hier bleiben und einmal weit weg schweifen. Ich selber spüre in mir auch den Wunsch, wieder neue Länder zu erkunden, entdecke aber in der Schweiz immer wieder herrliche Flecken; und dies in nächster Nähe.

Kürzlich bin ich mit Freunden durch die Wolfschlucht am Sonnenberg gerannt – atemberaubend! Es muss im Sinne der Nachhaltigkeit sein, dass es den Menschen in ihrer Umgebung gut geht. Dies heisst nicht nur regional einzukaufen, wir sollten wenn möglich auch regional leben.

«Wenn unser Alltag vielleicht weniger bürolastig wäre, dann würde vielleicht auch unser Drang zum Reisen etwas geringer.»

Mehr als Bio-Jeans

Das ist manchmal nicht so spektakulär. Das ist oft harte Arbeit, wie auf den Alpe im Calancatal oder im Gemeinschaftsgarten in Luzern. Doch das macht aus meiner Sicht genau Nachhaltigkeit aus: Die Freude an der Einfachheit und am Gemeinsamen.

Wenn unser Alltag wieder ganzheitlicher und vielleicht etwas weniger bürolastig wäre, wenn Nachhaltigkeit wieder mehr wäre als Bio-Jeans und CO2-kompensierter Flug, dann würde vielleicht auch unser Drang zum Reisen wieder etwas geringer.

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Ob in der Wirtschaft & Energie, Natur & Tiere in der Stadt, Abfalltrennung & Recycling, bewussteres Essen, faire Mode, Accessoires & Möbel – das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt heute Jung und Alt.
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