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Von der Bestäubung

Das Sexleben der Pflanzen

(Bild: pixabay)

Erst dachte ich, es würde diesmal keinen Beitrag geben, schreibt Literaturbloggerin Franziska Greising. Zu viele Themen schwirrten in ihrem Kopf, zu wenig Lust zum Schreiben war vorhanden, kein Verlangen zum Ausbrüten eines Textes. Zwar habe sie Anfänge ausprobiert, doch an keinem fanden sich jene Widerhaken, die dafür sorgen, dass Einfälle zu Papier gebracht werden oder besser: auf den Bildschirm oder sonst ein Gerät, wo man sie lesen kann.

Im Vordergrund standen zum Beispiel das Stück Schuld und Sühne, das aktuell im Theater gegeben wird oder der Film The Wife oder das Treiben der Möwen und Krähen vor meinem Fenster, die jeden Morgen den Bussard verjagen. So kunterbunt schwirrte es in meinem Kopf. Schliesslich obsiegte das Sexleben der Pflanzen. Dieses ist wirklich keine stereotype Angelegenheit. Im Gegenteil!

Entweder war ich auf einem Wühltisch oder im Brocki, wo sich massenhaft Lesestoff anbietet und schön nach Alphabet geordnet im Bücherschrank auf Bücherwürmer wartet, zu dem Schunken gekommen. Und weil er packend und amüsant geschrieben ist, kehren meine Gedanken immer wieder zu ihm zurück. Schliesslich, dachte ich, sollte ich zumindest versuchen, darüber zu bloggen, obwohl das Thema niemals auf dem knappen Platz zu bewältigen sein wird.

Das Buch trägt den Titel «Blutsauger, Staatsgründer, Seidenfabrikanten». Und kleingedruckt steht darunter noch dies: Die zwiespältige Beziehung von Mensch und Insekt. Der Umschlag glänzt tiefschwarz, die Schrift blutrot. Und darüber, stark vergrössert, protzt ein Insekt, die Venezolanische Hexeneule, im Landeanflug; die Flügel weit ausgebreitet, das fremdartige Gesicht frontal der Betrachterin zugewendet, ein fürchiges Biest. Das Buch ist das erste von bisher drei Büchern der jungen Forscherin Dr. May R. Berenbaum, 2012 durch Barack Obama mit der National Medal of Science ausgezeichnet.

Es ist hervorragend geschrieben, stellte sich schon bald heraus, mitnichten eine trockene Aneinanderreihung wissenschaftlicher Befunde. Nein, diese sind in leichte amüsante Sätze gepackt, das fundierte Wissen, das sie vermitteln, liest sich mit Genuss. Sogar vorm Grausen werde ich nicht verschont. Es beginnt mit den alten Tannen und Laubbäumen, die seit etwa zweihundert Millionen Jahren ihre Befruchtung und Vermehrung mit Hilfe des Windes und des Regens bewältigen. Und bis heute hängen oder stehen im Frühjahr oben in den Tannen die männlichen Zapfen, schwer  und voller Pollen, die darauf warten, von Wind und Wasser mitgenommen zu werden, während die weiblichen Zapfen auf den unteren Ästen ihre Schuppen öffnen. Gut geschützt liegen darin die Samen, die befruchtet werden wollen.

Erst später, so fand Darwin heraus, kamen zunächst die Käfer in die Welt. Doch während sie sich mit Pollen beschmieren liessen, machten diese unverschämt begierigen Wesen sich über die Samen in den weiblichen Zapfen her, was wiederum die Vermehrung der Bäume bedenklich erschwerte. Denn schon damals wurde ohne Samen aus der Fortpflanzung nichts. Dadurch entstand jedoch Platz für neue Gewächse, auch für Blumen und Sträucher. Die bedurften nicht mehr allein der Käfer als Bestäuber, da jetzt die Insekten mit ihren Rüsselchen, ihren langen Zungen, ihrer Gier nach Nektar, ihren bisweilen hauchdünnen Flügeln auftraten.

Ferner wuchsen männliche und weibliche Pflanzen heran, und nicht mehr nur zwittrige, die auf Regen und Wind warten mussten. Sie gerieten bunt und wunderhübsch und entwickelten darin eine immer grössere Vielfalt, mit der sie die Bienen, Schmetterlinge, kleinen Vögel und weiterhin auch einige Käfer anlocken, sie mit süssem Nektar bewirten und ihnen dabei ihre Pollen mit auf die Reise geben. Sie locken mit ihren Farben und Düften, ihren teils komplizierten Geschlechtsapparaten, die zu den verschiedenen Fressvorrichtungen der zahlreichen Besucher und Besucherinnen passen. Sich vorzustellen, wie arm unser Leben ohne sie wäre! Ob es uns überhaupt gäbe ohne die Insekten, die wir so schnell und unbedacht totschlagen?

Um die Perfektion zu vervollständigen, können die Bienen nicht alle Blüten für ihren Sammeleifer nutzen, die Schmetterlinge nicht überall ihre Rüsselchen hineinstecken, die Käfer nicht auf jeder Blüte den Hunger stillen. Ja, es entstanden sogar so listige Pflanzen wie der Hummelragwurz, der vorgaukelt, ein paarungsbereites Weibchen sitze auf einem seiner Blütenblätter. Der getäuschte Hummelmann stürmt heran, lässt sich nieder, und wenn er die Irreführung bemerkt, ist er schon mit Pollen bestäubt und trägt diese zur nächsten Pflanze.

Ich hatte mich immer gefragt, wie es möglich sei, Lindenblütenhonig oder Waldhonig zu produzieren, wo doch die Bienen einfach mal hier mal dort einen Besuch abstatten, mal an einer Margrite, mal an einer Sonnenblume, mal an einer Lindenblüte nippen. Viele dieser emsigen Sammlerinnen sind jedoch spezialisiert, behauptet mein Buch, und fliegen nur Linden an, nur blühende Tannen, nur blühenden Löwenzahn. Sie wissen, wo ihre Lieblingsspeise zu finden ist und legen zu diesem Zweck etliche Kilometer zurück.

Dann bringen sie von jedem Flug etwa 29 Milligramm Pollen in den Stock. Kein anderer Honigsammler ist so produktiv. Beachtliche 20 Kilogramm braucht ein Bienenvolk, um ein Jahr lang am Leben zu bleiben. Noch produktiver sind allerdings die Killerbienen in Amerika. Doch wehe dem Menschen, der von einem Schwarm angefallen wird! Sie sind zwar fleissig, aber auch angriffig, stürzen sich grundlos auf ihr Opfer. Und nie kommt eine von ihnen allein. Sie verfolgen den Flüchtenden und sollte es ihm einfallen, in seiner Not in einen Brunnen oder Teich zu springen, warten sie sogar auf ihn. Sie verharren in Massen an der Wasseroberfläche, bis er wieder auftaucht, um Luft zu schnappen.

Es war im 17. Jahrhundert, als erstmals Bienen im Gepäck der Europäer nach Amerika einwanderten, lese ich. Für die Indianer waren sie die Fliegen des weissen Mannes. Da sie sich nicht als besonders eifrig erwiesen, strebten die Siedler neue Züchtungen an. Dabei ist unbeabsichtigt dieses mörderische Biest zur Welt gekommen. Aus einer Züchtung mit afrikanischen Sorten, die als überaus produktiv gepriesen wurden. Es wird befürchtet, dass sie ganz Amerika erobern könnte, denn die ehemals europäischen Königinnen mögen die neuen aggressiven Männchen ganz besonders. Und die «abelhas assassinas» leben  nicht nur in der Prärie, nein, gern auch in Städten, richten in Mauerritzen oder hohlen Zementpfeilern ihre Räuberhöhlen ein.

Ja, und dann bin ich zu dem Kapitel über die Mücken gestossen. In wenigen Wochen werden sie uns um die Ohren sirren, uns wieder am Einschlafen hindern. Mich lassen sie zwar in Frieden, seit ich den ganzen Sommer über neben dem Bett ein Tontöpfchen mit Zitronenöl stehen habe, dessen Geruch sie nicht ausstehen können. Ich nehme dieses Öl überall hin mit, wenn ich eine Nacht oder länger ausser Haus gehe. Andere schwören auf Basilikum- oder Tomatenblätter, ziehen Lavendel oder Zitronenmelisse vor dem Fenster.

Es stechen und sirren ja nur die weiblichen Exemplare, denn die brauchen während der Zeit der Eiablage unser Blut. Die gemeinsten aller Stechmücken sollen jedoch die Gnitzen sein. Ihnen mundet auch der Körpersaft anderer Mücken, auch jener der Käfer, oder sie machen sich über Kühe und Pferde her. Diesen überbringen diese Winzlinge unter den Zweiflüglern allerdings schwere Krankheiten, den Kühen die Blauzungenkrankheit, den Pferden die Pferdepest.

Da du aber ziemlich sicher Schokolade liebst, musst du diese kleinen Biester eigentlich mögen. Denn, so May R. Berenbaum, sie sind die einzigen, die der Kakaoblüte zur Befruchtung verhelfen, jener Blüte, die kreuz und quer derart mit Staubfäden verklebt ist, dass nur ein einziges winziges Wesen den Zugang zum begehrten Nektar findet. Es ist der kleine verhasste Blutsauger aus der Familie der Gnitzen, der beim Stibietzen des Nektars grad auch ein paar Dutzend Pollen mitnimmt und dafür sorgt, dass aus jeder Blüte, die sie bestäubt, eine Kakaobohne wird, aus der wiederum unsere geliebte Schokolade entsteht.

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