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Titelgeschichte in Max Huwylers neuem Buch

Jakobs Auswanderung

Niederwil, Cham.

(Bild: mam)

Huwyler, von Steinhausen ZG, Schweiz. Die meisten sind einmal gekommen, irgendwoher, irgendwann, aus irgendeinem Grund, hergekommen und hergelaufen. Die Sprache macht da einen Unterschied. Bei den Hergelaufenen tönt der Wunsch der Ansässigen mit, sie mögen doch am besten wieder weglaufen. – Irgendwann werden aber auch Hergelaufene Hiesige, wenn sie es lange genug ausgehalten haben.

Eingewandert sind die Huwylers vermutlich zur Zeit der Reformation, die viele Menschen zu unfreiwilligen Wegzügern machte. Es muss nicht in irgendeines Gottes Willen gelegen haben. Irgendeinmal waren die Huwylers da und von Steinhausen, waren am Anfang mehr Dortige als Hiesige.

Mein Grossvater Jakob ist dann, Jahrhunderte später, auch gegangen, ausgezogen, weggezogen, getrieben oder von etwas angezogen. Ich konnte ihn nicht fragen. Er starb 1918 an der Grippe. Jakob Huwyler ist also ausgewandert von Steinhausen, Kanton Zug. Die Landstrasse hinüber nach Cham, Kanton Zug, hat gewechselt vom Holzhaus in Steinhausen in ein Steinhaus in Cham. Das von ihm erworbene Haus im Seehof wurde anno 2008 abgerissen. Nachfahren wohnen jetzt im neuen langen Block gegen die Lorze hin.

Mit einem Fünfliber ein Haus gekauft?

Grossvater Jakob habe mit einem Fünfliber das Haus ersteigert, geht die Familiensage. Tatsächlich erworben hat er es für 17’500 Franken mit von 18 Gültgebern geliehenem Geld. Es lag am Süüdi-Gleis mit Blick auf Lorze und Kirchturm und Süüdi-Kamine. Warum der Schuhmacher den Zuschlag bekommen hat für ein Haus mit Grundstück bis an die Seestrasse hinunter, umgeben von Besitztum der Milchsiederei, das weiss ich nicht. Kann sein, dass in der Bevölkerung eine versteckte Opposition wirkte gegen die Süüdi-Eigner, die für Betrieb und Personal viel Land in der Gemeinde erwarben und Häuser bauten, Villen und auch die Kosthäuser, die an Jakobs Land grenzten.

Hergelockt ins Dorf am Lorzenausfluss haben den Schuhmacher vielleicht eben diese Süüdi-Herren und die Kaderleute. Die brauchten Schuhe, handgemachte. Seine Frau Elisabeth Ehrler leistete zum Auskommen ihren Beitrag. Sie betrieb im Erdgeschoss eine Kundenwäscherei. Sie machte die Wäsche für die im Schloss, deren Bedienstete täglich die weissen Handschuhe zu wechseln hatten.

Die Süüdi kann also sehr wohl ein Motiv gewesen sein für den Umzug. Die Milchschwemme hat ihn mitgespült. Die Bauern im weiten Umkreis bis nach Ägeri hinauf, hinüber ins Säuliamt und ins Aargauische und Luzernische machten für die Süüdi Milch. Auch aus Steinhauser Gras wurde Milch für die Anglo-Swiss Condensed Milk Company. Die Milch wurde eingesotten und in verlöteten Büchsen dank Bahnanschluss als haltbare Kriegernahrung in alle Welt verschickt. Zuger Anteil am kolonialen Imperialismus. Anno 1866 wurde erstmals Milch eingesotten in einer Hütte in der Kirchmatt.

Jakob Huwyler und seine Familie waren nun Chamer. Grossvater war auch Sigrist von St. Andreas, ging mit dem Städtliherr auf Versehgänge. Der Städtlipfarrer brachte Sterbenden die letzte Kommunion und segnete sie mit Sterbeöl. Vater war als Ministrant dabei. Wer dem frommen Grüppchen begegnete, blieb stehen und machte das Kreuzzeichen und sagte «Gelobt sei Jesus Christ».

 

Abriss Haus Huwyler im Seehof, 2008

Abriss Haus Huwyler im Seehof, 2008

Vielleicht hat Jakob Huwylers Wegzug von Steinhausen nach Cham auch eine andere Geschichte; die hat mit dem Wasser zu tun. Jakobs Frau Elisabeth war eine Ehrler von Küssnacht, Küssnacht am Rigi, Küssnacht am See. Man kennt sie ja, die Wassergeprägten, die Seesüchtigen. Die Küssnachter Verwandten, Ehrlers und Gössis, waren Seekinder. Mein Vater, Jakobs Zweitjüngster, Seehöfler von Cham, hat auch ein Wasserkind genommen, eine Meier von Buonas: Wirte-Bauern-Gemeindeschreiber-Fischerstochter vom Wilden Mann. Sie fuhr mit dem Bruder zum Fischen auf den See, stemmte den Einbaum bis nach Walchwil. Sie konnte nicht schwimmen. Baden war nicht schicklich für die züchtigen Töchter der strengen Mutter, eine Truttmann von Küssnacht am See.

Vater Gottfried siedelte in Zug

Ich bin aufgewachsen mit dem naiven Selbstbewusstsein des Berghangzugers. Für die Berghangzuger fing schon in der Neustadt das Ausland an, weil es da vom See weg ins Flache geht. Vom Höhenweg aus lag Steinhausen hinter dem Kapuzinerturm. Nicht im Blickfeld. Nicht im Bewusstsein. Bis in der 3. Sek. die Steinhauser dazukamen: Bütler, Püntener, Schnieper. Ich merkte, dass es auch jenseits des Kapuzinerturms ernst zu nehmende Menschen gibt, Menschen ohne See und kaum einem Bach im Dorf.

Er sei gerne nach Zug in die Schule gegangen, sagte mir Toni Püntener einmal im Pöstli beim Bier. Mit dem Velo, wie sonst. Zug war für ihn Horizonterweiterung, sagte Toni. Mir ging ein Licht auf. Darum also wollen alle nach Zug: Menschen aus hundertzwanzig Nationen und Schweizer aus allen Landesteilen. Alle drängen her zur Horizonterweiterung. Alle sind willkommen, werden umarmt und in Treuhänden aufgefangen. Alle drängt es an den Berghang mit Bergdruck. Und zur Sicht auf See und den Untergang.

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