Was Amseln sich so zu sagen haben
Literaturbloggerin Katja Zuniga hat den Auftrag gefasst, auf Autopilot zu schalten und ihre Umwelt bewusst wahrzunehmen.
Seit zwei Jahren bin ich Mitglied einer Schreibgruppe, die sich regelmässig trifft. Es wird geschrieben, vorgelesen, kommentiert, ganz so, wie es der Gastgeberin oder dem Gastgeber gefällt, denn diese bestimmt die Themen. Der Rahmen wurde von der Kerngruppe festgelegt: 2-3 Schreibanlässe, Kaffeepause zwischendurch und am Ende der Arbeit der gemütliche Teil mit leichtem Essen und ebensolchen Gesprächen. Das letzte Treffen fand bei schönstem Wetter in einem Garten in Herrliberg statt.
Eine Schreibaufgabe lautete: Autopilot. Augen zu, tief durchatmen und Geräusche, Gerüche und Gedanken wahrnehmen… still werden. Wenn die Glocke ertönt – Schreibort suchen und einfach während dreissig Minuten losschreiben. Ohne Unterbruch… So liess ich mich vom Sommermorgen wegtragen und mit der Zeit vergass ich sogar die Satzzeichen!
Horch! Horch! Was spricht die Amsel?
Was Vögel sich so zu sagen haben! Das kannst du dir gar nicht vorstellen, wie schwatzhaft sie sind! Amseln, zum Beispiel, die reinsten Klatschvögel. Nichts gibt es, was eine Amsel wüsste, was sie nicht auch gleich in die Welt hinausposaunte. Ob du es hören willst oder nicht, darauf nimmt keine Amsel Rücksicht.
Und wie es jeden Tag wieder von Vorne losgeht. Dasselbe alte Lied!
Zum Glück können Spatzen mit ihrem Spatzenhirn nicht so melodiös tschilpen. Keine dreihundert verschiedenen Strophen, wie bei einer Amel in ihrer Höchstform.
Und Frauen, jetzt aufgepasst!
Wer redet da von Quasseltanten, von Ratschweibern, hysterischen Plaudertaschen, nicht abstellbaren Dauerrednerinnen?!? Wer spricht so von den Frauen, wer?
Genau! Das muss einmal gesagt werden!
Die Männer sind das! Unsere ach so bedachten, wortkargen oder wortgewaltigen Männer, die den Frauen unterstellen, sie sprächen selbst dann weiter, wenn sie nichts mehr zu sagen hätten.
Und was machen die Vögel den ganzen Tag? Da schwatzen, singen, pfeifen, kuckucken oder krächzen die Männchen pausenlos, während die Vogelweibchen auf der Brut sitzen müssen.
Ist das die moderne Arbeitsteilung’?
Ich weiss nicht so recht.
Wer ist der Schönste im Wald?
Aber hören wir doch mal einem Amselmännchen zu, wenn es vom Baum ruft.
Ja, ja, ich weiss, ich bin der Schönste…..
Ja,ja, du hast es mir gesagt…
So,so, das hast du zu einem andern gesagt?
Zeig mir den Vogel!
Ja,ja, jetzt hörst du mir zu.
Ich singe nur für dich,
und auch für dich
und wenn ich schon dabei bin, auch noch für dich.
Wer singt mir jetzt in meinen Gesang rein?
Das darf doch nicht wahr sein? Der doofe Nachbarsvogel mit der gebrochenen Schwanzfeder!
Sing du nur weiter, dir hört sowieso niemand zu. Nein, auch ich hör dir nicht zu! Hörst du? Niemand hört dir zu!
Ja, ja, ich weiss, ich bin der Schönste…
Und so geht das den lieben schönen Tag lang, mit diesen Vögeln.
Im Hintergrund rauscht der Bach und singt sein Lied vom ewigen Fluss. Ha,ha, das ich nicht lache. Der ewige Fluss! Hat wohl noch nie was von Geologie gehört. Von versteinerten Bäumen, von ausgetrockneten Meeren.
Luzern lag mal an einem Palmenstrand, vor vielen, vielen, ganz vielen Jahren.
Als noch keine Vögel sangen.
Der Urschrei
Ob Dinosauriers singen konnten?
Das Lied des Archeopteryx.
So hätte das geklungen:
Ja,ja, ich bin der Erste…
Seht mich an!
Wartet, Moment mal, ich plustere mich mal auf…
Wartet, Moment mal, ich steh auf den Fels…
So, seht ihr mich alle?
Jetzt bin ich der erste und der, der am weitesten oben steht.
Ihr Reptilien , ihr Staubfresser…..
Hoppla, ich verlier das Gleichgewicht! Hoppla!
Kräftig mit den Armen rudern, vielleicht fall ich dann nicht…
Was passiert jetzt? Wo bleibt der Boden unter meinen Füssen?
Wow! Ich schwebe… wow, ich fliege….
Ja,ja, ich bin der erste, der fliegen kann!
Alles geht den Bach runter
Und der Bach rauscht und er rauschte schon, bevor sich das erste Reptil in die Lüfte erhob und zu einem Vogel wurde.
Und der Bach rauscht sein ewiges Lied von Fluss, der bachab geht.
Und als ob Gott meine Sätze lesen könnte, lässt er jetzt die Glocken erklingen und gibt ihnen Gewicht.
päng,päng
kein bimmeling
kein Schellenursli
da müssen schon mehrere starke schwarze Männer her, um so eine Glocke zu giessen
schleppen sich hustend in die Fabrik und arbeiten im Russ
ein ewiges Feuer schwelt
ein Hitze
da wirst du nicht alt
da hustet du in der Nacht plötzlich das Laken blutig
und die Glocken, die du giesst,
ertönen zu deiner Beerdigung
Eine S-Bahn fährt schnell vorbei, man sieht die Gedanken dar Fahrgäste noch in den Bäumen hängen;
da, da ist ein solcher Gedanke, gleich neben einer Amsel
Diese singt das Lied vom ewigen Passagier
Hängende Gedanken
Fahrer, der du vorüberfährst
Du hast etwas verloren
Als du zum Fenster hinausschautest
In die blühenden Bäume und grünen Wiesen
Du hast mich gesehen,
eine singende Amsel
und dein Blick blieb an mir hängen
verbunden mit deinen Gedanken
danke, lieber Vorbeifahrer,
dass ich deine Gedanken weiter denken darf
manchmal sind sie schön
traumhaft
sehr entspannt
und ich singe mich in Trance
manchmal sind sie düster
dann muss ich sie den Raben zum Krächzen geben
und manche Gedanken, die holt zum Glück der Kuckuck
gerade jetzt kannst du ihn hören
erschlagen von einer Glocke
und wieder auferstanden aus seinem Nest
Balde, balde, ruhest du auch!
Eine streunende Katze
unauffällig spaziert sie unter den Büschen durch
und tut so, als ob sie noch nie einen Vogel gesehen hätte
hab acht, Amsel,
schliess deine Augen beim Singen nicht
und wenn es den Anschein macht, die Katze sei am Einschlafen,
weil sie so unbeteiligt tut,
dann musst du dich am meisten vor ihr in acht nehmen
dann sind die Katzen am gefährlichsten
wenn sie so tun, als ob sie nie etwas tun würden
der Bach rauscht immer noch
schon ein bisschen ewig, dieses Rauschen
viel ewiger als das Glockengeläut
ewiger als er Vogelgesang
ewiger als der Klang der Schienen, wenn ein Zug drüberfährt
ewiger als der Archeopteryxflug
ewiger als die versteinerten Bäume
ewiger als die Gedanken
die an den Bäumen hängen,
entlang der Gleise zerstreut sind
und darauf warten, dass jemand sie in seinen Kopf hineinlässt
und sie weiter denkt
bis in alle Ewigkeit