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Katja Zuniga-Togni

Lehrplan 21 – erste Nachhilfestunde

Im Jahr 2006 hat die Bevölkerung mit grosser Mehrheit den Art. 62 Abs. 4 der Bundesverfassung angenommen. Dieser verpflichtet die Kantone, die Ziele der Bildungsstufen zu harmonisieren. Die 21 deutsch- und mehrsprachigen Kantone haben beschlossen, dies gemeinsam zu tun, und das Projekt Lehrplan 21 lanciert. Doch was ist überhaupt ein Lehrplan? Und was ist jetzt neu?

Im Internet kann man heutzutage alles finden. So behelfe ich mich mit dem weltumspannenden Superhirn, wie es auch Präsidenten machen (jeweils kurz vor dem Tweeten, aber lassen wir das!).
Ich gebe die erste Frage ein. «Was ist ein Lehrplan?»

Die EDK (eidgenössische Erziehungsdirektorenkonferenz) schreibt dazu:

«Im Lehrplan wird der bildungspolitisch legitimierte Auftrag der Gesellschaft an die Volksschule erteilt. Der Lehrplan 21 legt die Ziele für den Unterricht aller Stufen der Volksschule fest und ist ein Planungsinstrument für Lehrpersonen, Schulen und Bildungsbehörden. Er orientiert Eltern, Schülerinnen und Schüler, die Abnehmer der Sekundarstufe II, die Pädagogischen Hochschulen und die Lehrmittelschaffenden über die in der Volksschule zu erreichenden Kompetenzen.»

Da sträuben sich meine Hirnzellen leicht. Ist das die richtige Antwort auf meine Frage? Ich mach es, wie in der Schule gelernt, und kämpfe mich Satz für Satz durch.

1. Im Lehrplan wird der bildungspolitisch legitimierte Auftrag der Gesellschaft an die Volksschule erteilt.

Hä? Ein bildungspolitisch legitimierter Auftrag? Schule hat also mit Politik zu tun? So weit, so gut. Auf irgendeine Weise ist unser ganzes Leben politisch. Kommt nur die unweigerliche Frage nach dem Ursprung: Was war zuerst da: die Schule oder die Politik? Vielleicht bringt der zweite Satz mehr Klarheit.

2. Der Lehrplan 21 legt die Ziele einer Volksschule fest und ist ein Planungsinstrument.

Wunderbar – der Lehrplan ist ein Planungsinstrument.

Jetzt rasch den Begriff «Planungsinstrument» eingeben, damit ich weiss, ob es sich eher um Geigen oder eher Dampfwalzen handelt.

Folgende Seiten erscheinen beim Begriff «Planungsinstrument»:

  • Planungsinstrumente – Wirtschaftslexikon
  • Planungsinstrument – SiGe-Bau, Suva
  • Ergänzung zum Städtebaurecht

Aha, an vierter Stelle endlich etwas Amtliches, das sich als nicht parzellenscharfer Richtplan entpuppt und nichts mit Schule zu tun hat. Weiter geht es mit Seiten zu:

  • Unternehmungsplanung
  • Rückbauplanung
  • Einführung von Planungsinstrumenten für die Implementierung einer Lösung, um die Kosten abzuschätzen …

Sind doch eher Dampfwalzen gemeint mit diesen Planungsinstrumenten? Da, endlich, an 8. Stelle ist der Kanton Basel mit seinem Lehrplan aufgeführt. Planungsinstrumente werden auch für die Schule angewandt, ich bin beruhigt.

Nun zum dritten Teil der Antwort auf die Frage: «Was ist ein Lehrplan?»

3. «Der Lehrplan orientiert Eltern, Schülerinnen und Schüler, die Abnehmer der Sekundarstufe II, die Pädagogischen Hochschulen und die Lehrmittelschaffenden über die in der Volksschule zu erreichenden Kompetenzen.»

Wow! Der Lehrplan, zu finden in jedem Kinderzimmer, orientiert alle, die irgendwie mit der Schule in Kontakt kommen, über die in der Volksschule zu erreichenden Kompetenzen.

Fassen wir also kurz zusammen.

«Der Lehrplan ist ein vom Volk an die Schule erteilter Auftrag. Er dient als Planungsinstrument. Alle von der Schule betroffenen Personen werden über die zu erreichenden Kompetenzen orientiert.»
Voilà! Das tönt ja völlig vernünftig! Warum einfach formulieren, wenn es kompliziert viel wichtiger daherkommt.

Jetzt zur zweiten Frage: «Was ist neu am Lehrplan 21?»

Wieder finde ich Antwort bei der EDK.

«Erstmals ist mit dem Lehrplan 21 ein Lehrplan für die gesamte Deutschschweiz erarbeitet worden. Frühere Zusammenarbeitsprojekte beschränkten sich auf einzelne Regionen (Zentralschweizer Lehrpläne) oder einzelne Stufen (Kindergartenlehrplan Kanton Bern). Zudem gab es informelle Zusammenarbeitsprojekte der Lehrplanverantwortlichen in den Kantonen. Im Lehrplan 21 ist der Bildungsauftrag an die Schulen kompetenzorientiert beschrieben. Es wird darin beschrieben, was alle Schülerinnen und Schüler wissen und können. Der Lehrplan 21 zeigt, wie die einzelnen Kompetenzen über die ganze Volksschulzeit aufgebaut werden. Er legt Grundansprüche fest und formuliert weiterführende Kompetenzstufen. Die Grundansprüche in den Fachbereichen Mathematik, Fremdsprachen, Schulsprache und Naturwissenschaften orientieren sich an den Grundkompetenzen (nationale Bildungsstandards). Mit dem Fachbereich Wirtschaft, Arbeit, Haushalt wird ein neuer Schwerpunkt gesetzt. Der Bereich Medien und Informatik erhält mehr Gewicht.»

Wieder gehe ich Schritt für Schritt vor und kürze den ersten Abschnitt, indem ich dem Verständnis abträgliche pseudowissenschaftliche und pseudopädagogische Umschreibungen weglasse. So bleibt vom ersten Abschnitt dieser Satz:

«Erstmals ist mit dem Lehrplan 21 ein Lehrplan für die gesamte Deutschschweiz erarbeitet worden.»

Die Idee eines schweizerischen verbindlichen Rahmens leuchtet ein. Gerade bei nomadisierenden kinderreichen Familien ist es von Vorteil, wenn im Kanton Basel dasselbe unterrichtet wird wie zum Beispiel im Kanton Glarus. Der Ruf nach Einheitlichkeit ist nichts Neues. In Europa wurden beispielsweise die Stecker normiert, damit man auch in Italien sein Handy aufladen kann, ohne Hunderte von Überbrückungskabeln mitschleppen zu müssen. Oder die Einführung einer einheitlichen Währung. Die ist durchaus sinnvoll und bringt viele Erleichterungen. Aber kann man einen Schüler, eine Schülerin normieren? Und Lehrpersonen? Kann man die beliebig updaten?

Doch lesen wir die Definition zuerst fertig.

«Im Lehrplan 21 ist der Bildungsauftrag an die Schulen kompetenzorientiert beschrieben. Es wird darin beschrieben, was alle Schülerinnen und Schüler wissen und können. Der Lehrplan 21 zeigt, wie die einzelnen Kompetenzen über die ganze Volksschulzeit aufgebaut werden. Er legt Grundansprüche fest und formuliert weiterführende Kompetenzstufen. Die Grundansprüche in den Fachbereichen Mathematik, Fremdsprachen, Schulsprache und Naturwissenschaften orientieren sich an den Grundkompetenzen (nationale Bildungsstandards).

Da folgt die Info gleich dichtgedrängt – kein Wunder, braucht es für die Einführung von diesem Lehrplan mehrere Jahre.

«Der Bildungsauftrag wird kompetenzorientiert beschrieben. Grundansprüche orientieren sich an Grundkompetenzen.»

Neu werden im Lehrplan 21 nicht die Lernziele definiert, sondern die Kompetenzen, welche Schüler erreichen sollen. Was Kompetenzen sind, werde ich beim nächsten Mal erklären. Der letzte Satz der Definition wird ebenfalls stark gewichtet und heisst: «Mit dem Fachbereich Wirtschaft, Arbeit, Haushalt wird ein neuer Schwerpunkt gesetzt. Der Bereich Medien und Informatik erhält mehr Gewicht.»

Warum erinnert mich dieser Ruf nach den Medien irgendwie ans Schulfernsehen? Ich glaub, ich brauch jetzt dringend Herbstferien und schliesse mit einem Gebet:

Das Gebet des Herren Staates
Politiker unser von oben,
umgesetzt werden deine Pläne;
deine Kompetenzen kommen;
dein Lernziel geschehe;
wie für die Lehrer, so auch für die Kinder.
Unsere tägliche Kontrolle gib uns heute.
Und vertreib uns unsere Kreativität, wie auch wir die Kreativität unserer Kinder vertreiben;
und führe uns nicht zum Wissen,
und erlöse uns vom Pauken.
Denn dein ist das Kind und die Kraft
und die Arbeit in Zukunft.

PAUSE

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