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Wie eine Kolumne zwischen Paul Klee und Dirty Dancing entsteht

Schreibstau

(Bild: pixabay)

Eine knackige Kolumne schüttelt der begnadete Schreiberling in der Regel locker zwischen dem Aufstehen und dem Zähneputzen aus dem zerknitterten Pyjamaärmel – in der Regel.

Sparen bei Museen, Polizei und Knast, die erhöhte Sicherheit an der Luzerner Fasnacht sowie die Beschäftigung des Parlaments mit grünen Innenhöfen seien aktuelle Themen, entnehme ich der morgendlichen Erinnerungsmail von zentralplus. Die Zuger Autobahnen würden vom Abgasskandal erreicht, gäbe vielleicht auch noch was her, wird nachgeschoben. Ich nehme erstmal einen Kaffee zu mir, dann werden die Einfälle nur so in meine Hirnwindungen strömen.

Nach meinem vierten Kaffee, dem Studium meiner Post und diverser Zeitungen erinnere ich mich, dass ich noch eine Kolumne zu schreiben hätte. Was war noch mal das Thema? Irgendetwas mit Sicherheitsauflagen in den abgasgeplagten Innenhöfen von Gefängnissen. Na ja, ich habe ja noch bis Dienstag Zeit. Bis dahin wird mich die Muse längst geknutscht und die Kolumne sich längst wie von selbst geschrieben haben.

Nach dem neunten Kaffee ist mir ein wenig schlecht. Vielleicht sollte ich mal einen Spaziergang machen. Frische Luft tut immer gut, und Bewegung regt bekanntlich die grauen Zellen an.

Als ich vom Spazieren zurück bin, lese ich nochmals die Mail von zentralplus. Vielleicht habe ich ja etwas übersehen.

Gegen Mittag entschliesse ich mich, einkaufen zu gehen.

Nach 23 Uhr werde ich von zwei uniformierten Security-Hausmeistern rüde aus dem Einkaufscenter begleitet. Es ist eine Zumutung, wenn sich beruflich stark eingespannte Leistungsträger diese unseligen Ladenöffnungszeiten merken müssen. Gerade Schriftsteller haben einen sehr unregelmässigen Arbeitszyklus. Darüber sollte man mal schreiben.

Gegen vier Uhr morgens habe ich noch keine einzige Zeile geschrieben. Aber die Einfälle gären unaufhörlich. Ich muss sie nur noch zu Papier bringen. Das werde ich morgen tun. Es ist spät geworden.

Heute will ich den Tag anders als üblich beginnen, um meine Kreativität zu überlisten. Morgens, wenn ich wach und erholt bin, verweigert sie gerne die konstruktive Zusammenarbeit und abends, wenn ich müde bin, überschlagen sich in meinem Kopf die Geistesblitze, so dass ich kaum einschlafen kann. Leider kann ich mich morgens nicht mehr an sie erinnern. Und die im Dunkeln geschriebenen Notizen sind unleserlich.

Nachdem ich den Keller frisch gestrichen habe besuche ich die Ausstellungsmesse des lokalen Gewerbevereins mit 280 Ausstellern, setze mich anschliessend an den Computer, rolle die Ärmel nach hinten und werde von einem heimtückischen Schlafbedürfnis übermannt. Man sollte nicht in erschöpftem Zustand wichtige Kolumnen schreiben. Ganz wichtige Schriftstellerregel. Wie schnell hat man einen unausgegorenen Text verfasst und zur Veröffentlichung freigegeben, für den man sich dann ein ganzes Leben lang rechtfertigen oder gar schämen muss.

Am nächsten Tag klingelt der Wecker in weiser Voraussicht um drei Uhr morgens. Wie heisst es so schön? Morgenstund hat Mundgeruch und nichts und niemand wird mich davon abhalten, frisch und frei in die Tasten zu hauen. Meine besten Texte habe ich noch immer vor Sonnenaufgang geschrieben.

Gegen sieben Uhr beende ich beglückt das spontane Gespräch mit der jungen Dame, die die Zeitungen verteilt. Hat Spass gemacht. Was diese jungen Leute alles wissen. Hätte ich nicht plötzlich diesen fantastischen Einfall für die Kolumne gehabt, wäre ich für den Rest des Morgens auch noch mit den gutgelaunten Herren von der Müllabfuhr mitgefahren. Als Schriftsteller sollte man jede Gelegenheit benützen, das pralle, echte Leben kennenzulernen. Authentizität ist eine Grundvoraussetzung für mitreissende Literatur.

Bis zum Mittagessen habe ich die Steuererklärung ausgefüllt, die mir schon seit dem Eintreffen vor acht Monaten auf dem Magen gelegen hat, die Weihnachtsgeschenke für meinen engeren Freundeskreis besorgt und meinen Onkel Theo angerufen, was ich schon seit Jahren vor hatte. Er lebt in Berridale, in den australischen Snowy Mountains, und züchtet Hirschkühe. Er hat sich sehr über meinen Anruf gefreut, konnte sich aber bis zum Schluss nicht erinnern, wer ich bin.

Gut, jetzt geht’s aber los. Die Kolumne ist nun reif. Reif, um geschrieben zu werden. Das Thema? Ich lese nochmals die Mail von zentralplus, ob ich auch wirklich nichts übersehen habe. Nicht dass ich noch versehentlich über etwas schreibe, das so nicht gewollt war. Steht alles da, ohne Pipifax, glasklar und unmissverständlich. Seltsam. Ich hätte schwören können, es wären völlig andere Themenvorschläge gewesen. Da kann man mal sehen, wie schnell man sich in etwas reinsteigert, wenn man nicht mit Sorgfalt und der nötigen Disziplin an die Aufgabe geht.

Also, dann kann ich ja nun loslegen. Vielleicht wäre ein Tee ganz gut. Habe ich meinem lieben Onkel Theo eigentlich angerufen oder wollte ich es bloss tun? Nachdem ich wieder aufgehängt habe, bin ich beruhigt. Er freue sich immer über Anrufe, aber halt mehr über die Wochen verteilt. Gerne vergisst man Dinge im Glauben, es schon getan zu haben. Die Gedanken können einem leicht einen Streich spielen, wenn man sie zu lange mit sich herumträgt.

Gut, also jetzt habe ich aber die zündende Idee. Warum Kamelhaarmäntel wieder in Mode kommen werden? Wer sich auf der Redaktion nur immer diese bescheuerten Themen aussucht.

Tee? Genau, ich wollte mir einen Tee aufsetzen. Tee belebt die Seele und erweitert die Herzkranzgefässe. Überhaupt sollte man weniger Kaffee, dafür mehr Tee trinken.

Nachdem ich den Tee getrunken habe, entsinne ich mich, dass ich es nie gemocht habe, Tee zu trinken. Heisses Wasser, in dem Unkraut gebadet wird. Grauenhaft!

Ich steige ins Auto und besuche das Zentrum Paul Klee bei Bern. Seit über zehn Jahren ist es nun schon geöffnet und ich war noch nie da. Schämen sollte ich mich dafür. Anschliessend fahre ich mit dem Tram in die Innenstadt. Am Hauptbahnhof kann man Arrangements mit dem TGV nach Paris kaufen, inklusive Karten für eine Vorstellung in der Oper. Den «Gefangenenchor von Nabucco» wollte ich mir schon immer mal gönnen, aber in Milano oder Zürich.

Am Montagmittag bin ich aus Berlin zurück. Eine tolle Stadt. Im Theater am Potsdamer Platz habe ich das Musical «Dirty Dancing» besucht. Bei Hekticket bekommt man die Eintrittskarten ab 14 Uhr zum halben Preis.

Ich will gerade den Titel meiner Kolumne in den Laptop eintippen, als es an der Haustüre klingelt.

«Guten Tag, Herr Brändle. Wir möchten mit Ihnen über Ihren Glauben sprechen.»

«Natürlich, gerne. Mögen Sie vielleicht ein Tässchen Tee?», begrüsse ich den überraschenden Besuch erfreut.

Gegen 18 Uhr meinen die Herrschaften, dass sie mich nun aber genug aufgehalten hätten. Den Rest der Fotos von meinem zweiten Romaufenthalt könne man sich ja für das nächste Mal aufsparen. Sie sollten nun wirklich weiter. Es gäbe noch viele andere verlorene Seelen, die ihren Beistand bräuchten.

«Vielleicht besprechen wir den Essay auf Seite fünf Ihres theologischen Magazins ein anderes Mal», schlage ich zum Abschied vor. «Vielleicht morgen früh, so gegen 9 Uhr?»

Da habe man interne Weiterbildung. Sie würden sich melden.

Kurz vor Mitternacht verabschiede ich mich von Kathrin, den zwei Lehrerinnen und dem schwulen Heilpädagogen. Wenn ich geahnt hätte, wie kurzweilig Elternabende sind, hätte ich mir längst eigene Kinder zugelegt.

Vielleicht sollte ich zunächst einfach mal wieder richtig ausschlafen, damit es dann nur so aus mir herausflutscht, das propere Kolümchen zum Thema «Bühnenkostümierung für Laientheater leicht gemacht».

Morgens um acht Uhr klingelt das Telefon.

«Sind Sie der Halter des Fahrzeugs mit der Nummer ZG 126‘733?», fragt mich eine militant vorwurfsvolle Stimme.

«Ja, das ist korrekt. Mit wem spreche ich?»

«Mit Friedgard Holenstein von der Berner Kantonspolizei. Ihr Wagen steht im Halteverbot nähe Zentrum Paul Klee.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Stampfli
    Stampfli, 05.03.2017, 21:02 Uhr

    Wenn ich so viel beschäftigt wäre wie der Blogger Thomas, käme ich auch nicht zum Schreiben. Da sich der Bloggende Schreiber inzwischen mit seinem neuen Hobby als Kaffeehausbetreiber beschäftigt, ist zu hoffen, dass er trotzdem die Musse findet, weiterhin auch schriftstellerisch tätig zu sein – und zwischendurch, wie in einem Wiener Kaffeehaus, auch weiterhin Zeit findet für die lokalen Medien und seine Freunde aus dem Tal. Vielleicht lädt er mich mal zu einem Kaffeeklatsch ein. Das wäre doch mal was!

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