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Adrian Hürlimann über die Zeit mit Jürg Frischknecht

Welttheater für Eidgenossen

(Bild: pixabay)

Bisher war es immer so, dass jüngere Jahrgänge sich mit deutlich älteren abwechselten. Was ihren Abgang von dieser Welt betrifft, meine ich. Viel zu früh ging Meienberg. Doch in letzter Zeit bildet sich ein Mainstream heraus, der sich um meinen Jahrgang herum lagert wie ein Wespennest: um den Beginn des AHV-Alters.

So sind in letzter Zeit einige von mir gegangen, etwa der ebenso stilbewusste wie widerborstige Romancier Markus Werner. Seine humorvolle Art, die dem Geblödel nicht abhold war, ist mir in bester Erinnerung. Die Frau, in deren Keller wir nach der Lesung einige ausgelassene Stunden verbrachten (und die Werner zum Hotel begleitete und wohl gern allein Abschied genommen hätte), weilt ebenfalls längst nicht mehr unter uns.

Andere sind immer noch da, passen aber irgendwie nicht mehr in den Sauglattismus der Jetztzeit. Konstantin Wecker zum Beispiel, jüngst gehört an einem lauschigen Sommerabend in Zug, singt von Anarchie und Revolution, während die Teenager der Agglo am Imbissstand mit gefüllter Lampe draufloslärmen und -wiehern. Mein Zusammenschiss bringt sie nur kurz zu respektvollerem Verhalten. Offenbar sind sie Zwischentöne und nachdenklich sottovoce gedachte Zeilen, die begriffen und verstanden sein wollen, nicht gewohnt.

Jürg Frischknecht veränderte die Unizeit

Vor allem echt zu schaffen aber macht mir das frühe Abtreten von Jürg Frischknecht (69). Da er sich die letzten Jahrzehnte vor allem mit Wandern beschäftigt hat, hielt ich seine Gesundheit für unverwüstlich und für noch lange Zeit gut. Ohne ihn wäre meine Zeit an der Uni Zürich anders verlaufen. Eingetreten 1970, war die Alma mater gerade wegen politischer Umtriebe und Unruhen geschlossen worden. Leute wie ein Liedermacher, der auf einer selbstgemachten Kiste anstelle eines Cellos herumfiedelte, trieben im Lichthof und in der Mensa ihr Unwesen.

Da ich als zweites Nebenfach Publizistik gewählt hatte, befand ich mich bald einmal in einer gefährlich und subversiv aussehenden Untergrundgruppe. Diese «Arbeitsgruppe Kritische Publizistik» las ihre Schriften völlig autonom, es ging um marxistische Medientheoretiker wie Franz Dröge, zu abendlicher Stunde in den Hörsälen.

Gerade war die Studie über die Tagesschau, «Welttheater für Eidgenossen», veröffentlicht worden, deren Diskussion von den Dozenten Christian Padrutt und Ulrich Saxer hartnäckig erzwungen werden musste. Bald einmal sahen wir uns alle angeklagt wegen widerrechtlicher Benützung von Hörsälen, und Unisekretär Franz Züsli nahm einen überfallartigen Augenschein vor. Er fand aber weder Sprengstoff noch Pläne zu revolutionären Umstürzen und war einigermassen erstaunt über unseren Lerneifer.

Jürg hat kühlen Kopf bewahrt

Unter Phantasten und Spinnern aller Art – darunter auch ich – behielt vor allem Jürg immer einen kühlen, zielstrebigen Kopf. Eisern verfolgte er das Ziel, Probevorlesungen mit den von uns bevorzugten Publizisten einzuberufen, beliebt zu machen und durchzusetzen. Wir Studenten waren also nicht Objekt eines Trichters, sondern bestimmten mit, was wir lernen wollten. Dass wir von Cincera-Spion Willy Matzinger überwacht und verpfiffen wurden, beunruhigte Jürg nicht im Geringsten, ja belustigte ihn sehr. Vor allem, als wir Willys Mappe durchwühlten, als er mal auf dem Klo war, und die Bestätigung fanden.

Erst als ich nicht mehr an der Uni weilte, hörte ich – und die Schweiz – vom spektakulären Raubzug auf Cinceras Archiv und die minutiöse Auswertung der traurigen Ergebnisse, die u. a. zum Standardwerk «Die unheimlichen Eidgenossen» (1979) führte. Und später folgte die Fichenaffäre (wo unsere Arbeitsgruppe natürlich eine Starstellung innehielt). Seither ist die Schweiz gespalten in progressiv und reaktionär.

Jetzt ist es klar, woher die neue Rechte von Schwarzenbach bis Blocher stammt. Wes Geistes Kind sie ist. Das Vaterland von uns Linken ist inzwischen untergegangen. Aber die Hoffnung auf eine bessere Welt stirbt nie.

«Utopien haben einen Fahrplan»

Wichtig ist, dass es Leute gibt wie diesen sturen Teufener, der seine Ideale mit gesundem Selbstbewusstsein, Taktik und Energie verfolgte und uns alle mitriss. Ohne dubiose Führungsqualitäten. Einzig mit der Kraft des besseren Arguments. Diesen genialen Organisator der Öffentlichkeit, der an den Fortschritt dachte und nicht an den persönlichen Ruhm wie die Privatradiopioniere. Von dem etliche Journalisten am MaZ das Recherchieren erlernten. Wie sagte doch Ernst Bloch: «Utopien haben einen Fahrplan – sonst sind sie ein blosser Schmarren!»

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