Beim Klingelton ist es genau zu spät

Neue Technologien bringen angeblich nur Vorteile, macht man uns weis. Es bleibt nicht dabei, dass mir mein Wählscheibentelefon bald abgestellt wird. Das war nur die Spitze des Eisbergs, der bald dahinschmelzen wird. Denn in zwei Jahren wird es überhaupt kein analoges Telefonnetz mehr geben. Noch vor einem Jahrzehnt wurden hunderte von Millionen in die ADSL-Technik investiert, die ein reibungsloses Miteinander von analogem Telefon und digitalem Netzanschluss ermöglichte. Das soll, wohl kaum amortisiert, nun alles zum Verschwinden gebracht werden.

Mir war es immer noch so recht.

So viel besser sei das Telefonieren via Handy und Internet, heisst es. Man könne etwa Sprachaufnahmen senden. Als hätte der gute alte Telefonbeantworter nicht denselben Dienst erwiesen. Man könne, da auf der Strasse jedermann ungebeten mitzuhören drohe, die weit diskretere Möglichkeit der schriftlichen Wortmeldung nutzen. Grad wie per E-Mail oder Briefpapier. Mir war es noch so recht, wenn ich nicht alle Anrufe auf der Strasse entgegennehmen musste, sondern mit dem Weiterzug aufs Festnetz rechnen konnte und dadurch bis zum Abend einigermassen unbehelligt von alltäglichen Belästigungen durch den Tag kam. Mein Mailkonto beliess ich auch dort, wo es tagsüber stationiert bleiben sollte: auf dem Heimcomputer.

Roboter gegen Mensch

So gewinne ich Zeit, um tagsüber wahrzunehmen, was um mich herum alles geschieht. Und um Musse zu haben, um auf die neuesten Veränderungen, die den staunenden Zeitgenossen als Fortschritt um die Ohren und Augen gehauen werden, einigermassen widerständig reagieren zu können.

Wo bleibt da die Solidarität?

So las ich dieser Tage, dass das Self-Scanning, das in einem Drittel der Coop- und Migros-Filialen, angeblich «versuchsweise», eingerichtet worden ist, von der Kundschaft wohlwollend aufgenommen worden sei. Wie bitte? Die systematische Zerstörung eines wichtigen Kontingents an niederschwelligen Stellenangeboten werde «wohlwollend» aufgenommen? Bei Umfragen sei als Minuspunkt zwar die Reduktion des Stellenangebots genannt worden, aber das Positive (kürzere Wartezeiten an der Kasse) überwiege? Das Einkaufserlebnis sei eh unwichtig geworden? Wo bleibt da die Solidarität mit den Tausenden von Teilzeitarbeitenden, Frauen vor allem, die auf solche Stellen angewiesen sind? Wollen wir das alles der UNIA zur Erledigung überlassen? Darauf hinzuweisen, dass in England jeder sechste Self-Scanner bescheisst bzw. stiehlt? Ist das die Lehre aus der aktuellen Flüchtlingskrise? Der Bankrott des Solidaritätsprinzips in der Gesellschaft? Hat nicht Luzern die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten sieben Mal abgelehnt, und zwar auf Rücksicht aufs Personal, das vorderhand immer noch aus Menschen besteht und nicht aus Robotern?

Fortschritt als Rückschritt

Merke: Nicht alles, was sich als Fortschritt aufspielt, verdient diese Bezeichnung. Fortschrittlich wäre vor allem das, was zur Schaffung einer angstfreien Gegenwart beitrüge und Rechtsrutsche verhindern würde. Dazu gehört mitunter ein entschiedener Widerstand gegen den glatten Lauf der Dinge. Oder wollen wir die gesamte die gesamte Produktion nach Bulgarien auslagern, wo der Stundenlohn 4 Euro beträgt?