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Thomas Brändle

Das Zuger ABC

Von A bis Z – über den Kanton Zug gibts zu jedem der Buchstaben einen oder mehrere Sätzchen zu sagen.

Autos fallen Zug-Besuchern besonders rasch auf; schöne, neue, teure, hoch motorisierte und vor allem grosse Autos. Wir Zuger fahren sie nicht, weil wir damit prahlen wollen, sondern weil bezahlbare Immobilien im Kanton zusehends rarer werden. Ich selber habe mir erst kürzlich ein sogenanntes SUV, ein sport utility vehicle, mit Lesezimmer, Weinkeller sowie begrünter Dachterrasse und 580 PS gekauft. Vorläufig nutze ich es noch als Zweitwohnung. Den Kofferraum habe ich trotzdem schon untervermietet – an einen nigerianischen Finanzdienstleister und einen kaukasischen Pipelinebetreiber.

Briefkästen werden im Kanton Zug ebenso häufiger untervermietet als beispielsweise Wohnungen, und das bevorzugt an international tätige Firmen. Seit einer meiner zahlreichen Untermieter seine Entwicklungsabteilung und ein zweiter die interne Schulung von Kalifornien respektive Taiwan nach Zug verlegt hat, ist es in meinen vier Wänden etwas eng geworden. Ich werde mich tagsüber wohl vermehrt in meinen geparkten Weinkeller zurückziehen und meine Mitbewohner an den Haushaltsarbeiten beteiligen müssen.

Chriesi ist der Schweizer Mundartbegriff für Kirschen. Und Kirschen sind für uns Zuger so etwas wie die Paprika für die Ungarn, die Limone für die Italiener oder die Olive für die Griechen. Wer in den Kanton Zug einreist, ob zu Land, zu Wasser oder in der Luft, kann die Kantonsgrenze schon von Weitem an den grossen Tafeln mit den pittoresk aufgemalten Kirschen erkennen: «Zugerland isch Chriesiland».

Dauerbrenner ist der Kanton Zug in den Schweizer Medien. Entweder wegen der Steuern, des Eishockey Vereins Zug, wegen Hochseetankerunfällen vor Galizien, brennender Ölplattformen im Golf von Mexiko, wegen Marco Rima, Marc Rich oder Jo Lang, wegen spektakulärer Wirtschaftsdelikte, die über das Zechprellen in einer Kneipe hinausgehen, oder wegen des Litterings auf der Rössliwiese am See. Hier ist halt immer ein bisschen was los.

EVZ – das ist so etwas wie die Zuger Schweizergarde. In traditioneller Robe, martialisch bewaffnet mit Helmen und Stöcken, beschützen die gekühlten Söldner auf Kufen im prachtvollen Bossard-Dom ihre Gläubigen vor den zweifelnden Heiden aus Ambri oder Davos. Dass man dabei seit jeher auf einen physisch präsenten Pontifex verzichten konnte, liegt in der vergeistigten Essenz dieses himmlischen Spiels zwischen Gut und Böse begründet. Ein bisschen Spiritualität darf auch im ansonsten rationalen Kanton Zug ihren Platz haben.

Fische aus dem Zuger- und dem Ägerisee sind beliebte Delikatessen. Egal ob Rötel, Felchen, Egli oder Hecht, auch die zahlreichen Anwälte der Fischerzunft der Stadt Zug mögen sie gebraten oder pochiert genauso wie gebacken. Den Fischern selber soll die Ausübung ihres Berufes aufgrund des geschäftigen Tankerverkehrs im Zuger Hafenbecken zu hektisch geworden sein. Man behilft sich mit Zuchtfarmen.

Genial muss man den Kanton Zug aber schon nennen. Er liegt geografisch nicht nur am präzis richtigen Ort, sondern ist ebenso eine einzigartige Naturschönheit – zumindest abseits der mit Klötzchenbauten im Stil des frühsozialistischen Klassizismus übersäten Gegenden. Überhaupt gibt es hier eigentlich alles, was man sich für ein gutes Leben wünschen kann. Zwar treibt das grosse Geld immer mehr von uns in den blanken Irrsinn, aber das wird sich schon legen, wenn das viele hübsch bedruckte Papier wieder als solches erkannt wird.

Hochhäuser lassen die Zuger die Nase rümpfen, aber wir werden uns an sie gewöhnen müssen. Erst kürzlich ist aus dem Inhalt eines regierungsrätlichen Geheimplans durchgesickert, dass mittelfristig alle Einwohner des Kantons in Wolkenkratzer umgesiedelt werden. Nicht um des Bevölkerungswachstums Herr zu werden, sondern um zusätzliche freie Anbauflächen für Chriesiplantagen zu schaffen, weil das regional herstellbare Kirschschnapsvolumen mit den Produktionszahlen von Zuger Kirschtorten in ein sehr ungünstiges Verhältnis zu geraten droht.

Immobilien in der Schweiz, im Kanton Zug speziell, erfreuen sich im Zuge der weltweiten Finanz-, Banken-, Schuldenkrise und Geldschwemme eines breiten Anlegerinteresses. Vor allem Pensionskassen, deren Mitgliedern aufgrund eklatant steigender Miet- und Bodenpreise eine ernsthafte Altersarmut droht, laben sich an dieser renditesicheren Option. Weitsichtige Ökonomen sind zweifellos ein Gottesgeschenk.

Jugendkriminalität ist seit vielen Jahren immer wiederkehrendes Thema in Zugs Medien und Politik. Die denkbaren Ursachen dafür sind so vielfältig wie die vorgeschlagenen Rezepte, wie man sie bekämpfen soll. Hätten diese Gören gehörig und das frühzeitig eins hinter die Löffel bekommen, wäre das Prävention genug gewesen. Welcher unsensible Grobian hat das jetzt gesagt?

Kirschtorten aus dem Zugerland sind die meistverkauften Torten der Schweiz. Erfunden hat sie ein Appenzeller, das «Original» produziert ein Luzerner und gegessen wird sie vor allem von anderen Ausländern. Der Schreiber dieser Zeilen war früher selbst Konditor und hat sie zu Zehntausenden in aufwendiger Handarbeit hergestellt. Nun überlegt er sich ernsthaft, die Dachterrasse seiner Zweitwohnung zu einer Chriesiplantage umzunutzen. Gerade als Zuger sollte man nicht vom fahrenden Zug abspringen.

Landsgemeindeplatz – hier konzentrieren sich seit 1889 die kantonalen Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag der Eidgenossenschaft. Es wird morgens ein deftiges Buure-Zmorge, tagsüber ein attraktives Unterhaltungsprogramm und abends ein fulminantes Feuerwerk geboten. Im Nachgang ärgern sich die einen über den Inhalt der 1.-August-Rede, die anderen über den Redner selber und der Rest über die, die ihn eingeladen haben.

NFA – das ist keine Hockey League, sondern das von den Geberkantonen zu bezahlende Schweigegeld, damit sich das direktdemokratisch auferlegte Schweigegelübde betreffend Diskussion über eine landesweite Steuerharmonisierung für die Nehmerkantone auch wirklich lohnt. So ermöglicht der Schweizer Föderalismus allen stillen Teilhabern ihr eigenes Geschäftsmodell.

Man bezeichnet die Stadt Zug auch als die Kolinstadt. Lange war Zug im Gegensatz zu den Äusseren Ämtern Ägeri, Menzingen, Neuheim, aber auch Baar habsburgisch gesinnt, was sich durch den ersten, von Zürich portierten Zuger Landammann Peter Kolin endlich änderte. Der Heldentod der Gebrüder Kolin in der Schlacht von Arbedo 1422 gegen das Herzogtum AC Milano machte die Kolins schliesslich unsterblich und für Zug identitätsstiftend. Von so viel selbstlosem Siegeshunger könnte sich mancher EVZ-Spieler heute eine Scheibe abschneiden.

Offen, ja sogar als weltoffen muss man den Kanton Zug bezeichnen. Inzwischen beherbergt er mehr Firmen als Einwohner, wesentlich mehr Kraftfahrzeuge als Führerscheininhaber und es werden weit mehr Fremdsprachen gesprochen als bei der UNO. Seit dem Jahr 2030 findet aber ein spürbares Umdenken statt und man strebt eine kantonale Renaturierung an. Die ersten Stadlins, Hürlimanns und Itens aus den Agglomerationen Aargau und Toscana sollen in geschützten Wohnreservaten an zentralen Lagen des Kantons Zug wieder angesiedelt werden.

Parallelgesellschaft wird die schnell wachsende Community der Expats gerne genannt. Deren Integration würde wesentlich einfacher vonstatten gehen, wenn wir Zuger uns mit demselben Eifer bemühten, Englisch, Schwedisch, Mandarin oder Russisch zu lernen, wie wir ihn bei Portugiesisch, Italienisch, Kosovo-Albanisch und Hochdeutsch an den Tag legen.

Quantensprung muss man die Steuergesetzrevisionen der 1920er- und 1980er-Jahre nennen. Sie ermöglichten Zugs Aufstieg von der Zentralschweizer Agrarprovinz zum globalen Steuerparadies massgeblich – nebst der Entwicklung der restlichen Welt zur Steuerhölle. Im Rahmen der gängigen ökonomischen Rezepte hat Zug alles richtig gemacht. Aber Zuger sind keine feurigen Ideologen, sondern sachliche Pragmatiker. Hätte Westeuropa seinerzeit auf den Kommunismus gesetzt, hätten wir Zuger dem Genossen Wladimir Iljitsch Uljanow Lenin anschaulich gezeigt, wie man es hätte besser machen können.

Rohstoffhandel wird grossgeschrieben. Gleichgültig ob Kaffee, Kupfer oder Öl, kaum ein Hochseetanker kommt um den global wichtigen Handelsumschlagplatz Zug herum. Leider führt das masslose Trinken der Matrosen während des Landgangs immer wieder zu unschönen Zwischenfällen mit der stets nüchternen Zuger Bevölkerung. Die kantonale Ombudsstelle vermittelte inzwischen erfolgreich. Die Harmoniemusik der Stadt Zug hat ihr Repertoire um einige Seemannslieder erweitert.

Sonnenuntergänge über dem Zugersee sind so spektakulär wie legendär. Höchstwahrscheinlich sogar die schönsten der Schweiz. Wer etwas anderes behauptet, ist mindestens unromantisch, ganz sicher aber inkompetent.

Steuern bezahlen wir gerne, weil wenig. Unser Kanton wird oft als Steueroase beschimpft, obwohl Oasen in der Regel – wenn umgeben von Wüsten – eher einen guten Ruf haben. Uns fehlte eh das Geld für mehr Steuern, weil alles für die Miete und die Krankenkassenprämien draufgeht. Ein Freund in Scheidung bat mich kürzlich, ein paar Tage in meinem Kofferraum unterkommen zu können; nur so lange, bis er einen neuen Briefkasten gefunden habe.

Tunnels werden ähnlich wie die Wolkenkratzer zunehmend das Kantonsgebiet prägen. Übrigens aus denselben Gründen.

Unglaublich, dass ich für das Zuger ABC maximal 11’500 Zeichen zur Verfügung habe. Das reicht doch nie. Dafür ist der kleine Kanton Zug einfach viel zu gross.

V-Zug AG – sie ist das einzige Industrieunternehmen an der Zuger Industriestrasse, gehört zu den marktführenden Vollsortimentern in den Haushaltssegmenten Küche und Waschraum und trägt somit eine erhebliche Mitverantwortung an der allgemeinen Ehemüdigkeit der Schweizerinnen und Schweizer. Die entsprechende Studie ist noch in Arbeit und wird mit Spannung erwartet.

Wildspitz – er ist aus architektonischen, kulinarischen und Panorama-Gründen der beliebteste Zuger Berg, der sich teilweise auch auf Schwyzer Gebiet befindet. Der atemberaubende Weitblick erstreckt sich im Süden über den Schwyzer Talkessel mit dem Lauerzersee, im Norden auf den Zuger- und den Ägerisee. Hier erschloss sich schon manchem die Erkenntnis, dass der eigene Horizont zu lange zu kurz war.

Xstrata ist ein Londoner Bergbauunternehmen mit Sitz in Zug. Dass es sich am Bau des Stadttunnels beteiligen wird, ist eher ein Gericht aus der Gerüchteküche, da man bei kantonalen Ausgrabungen selten auf Zink, Kobalt und Platin stösst, sondern häufiger auf Medaillen und Pfahlbauten – und ein Excalibur-Schwert. Welches die letzte Zuger Söldnerunternehmerfamilie Zurlauben vor dem möglichen Zugriff der Behörden schützend vergraben hatte, nachdem der Privatbesitz von Waffen einmal mehr öffentlich diskutiert wurde, nachdem ein unfähiger Söldner seinen Vorgesetzten, der ihm verständlicherweise die Boni kürzen wollte, im Affekt erschlagen hatte?

Yves Saint Laurent wurde bei uns nie pauschalbesteuert. Vielleicht im Kanton Waadt.

Zytturm – er ist das Wahrzeichen von Stadt und Kanton. Er ist auch das Eingangstor zur herrlich schönen Zuger Altstadt, in der es noch immer eine stattliche Anzahl von gewerblichen Geschäften und Handwerkern hat, denen ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bestimmt gut bekäme. Beim Leue Beck habe ich seinerzeit die Lehre als Konditor-Confiseur absolviert. Und im Herbst, wenn die Stadt Zug wochenlang im dicken Nebel lag, war damals das Beste an ihr der Bus hinauf ins Ägerital, deutlich beschriftet: «Ägeri hell».

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