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Adrian Hürlimann

Misslungene Erfolgskonzepte

Ein gelungener Apfelkuchen – im Sinne des Duden. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Neue Gedanken, neue Modeströmungen erkennt man an ihrem Vokabular. Unbequeme, ungebräuchliche, veraltete Begriffe, Wendungen, Bezeichnungen sind plötzlich hip.

Neue Gedanken, neue Modeströmungen erkennt man an ihrem Vokabular. Unbequeme, ungebräuchliche, veraltete Begriffe, Wendungen, Bezeichnungen sind plötzlich hip. Selbst der verstaubte Kitsch des Schweizerpsalms lässt plötzlich Schauer über die Rücken fahren, vor allem den SVP-Kandidaten vor den Wahlen. Nicht nur das Englische muss als Reservoir herhalten, wenn es Neues zu benamsen gilt, nein auch im Deutschen gibt es unscheinbare Tannenbäume, die urplötzlich dem Forst entrissen und in Schaufenster der Eitelkeiten gestellt werden. Hochkonjunktur feiert seit einigen Jahren etwa das Wort gelingen. Der Duden interpretiert es folgendermassen: «durch jemandes Planung oder Bemühung mit Erfolg zustande kommen». Er gibt folgende Beispiele:

  • das Werk gelingt
  • es muss gelingen, das Feuer einzudämmen
  • es gelang mir nicht, ihn zu überreden
  • die Überraschung ist [dir] vollauf gelungen
  • der Kuchen ist mir gut, schlecht, nicht gelungen

 

Der Kuchen? Nun ja, ausgezeichnet, dass er nicht in der Röhre verkohlt ist, dieser Kuchen! Feuer eindämmen, auch gut! Nun lesen wir aber seit Jahren im Zusammenhang mit gelingen von ganz anderen, viel wichtigeren Dingen: Erziehung gelingt bzw. soll gelingen. Der Unterricht, die Schule, die Bildung, die Bildungskarriere, der Spracherwerb sollen da gelingen. Interessant, nicht? Gelingen bezeichnet ja einen momentanen Erfolg (eben den Kuchen). Wie lange er anhält, interessiert nicht. «Verweile doch, o Augenblick», ist nicht angesagt. Seifenblasen offenbar schon. Die Wendungen um gelingen erinnern an amerikanische Gebrauchsanweisungen im Internet, wo digitales Installieren jeweils zu einem «Erfolg» führt, wenn wir die Prozedur richtig vorgenommen haben. Der Vorgang ist beendet, und wir haben für einige Zeit Ruhe. Kann man aber allen Ernstes hehre Ideale wie die humanistische Bildung mit simplen Prozeduren vergleichen, die mit einer Erfolgsbenotung ihr Ende finden? Lässt sich ein Leben über den Leisten des Kriteriums Erfolg oder Misserfolg schlagen? Von welchem Zeitpunkt an könnte man vom Misslingen sprechen? Nach der Feststellung von Trisomie 21 oder erst nach einem Schlaganfall? Wann vom Misslingen einer Bildungskarriere? Nach dem Kindergarten oder nach dem Eintritt in die Sek? Wann ist eine Ehe gelungen?

Nicht nur die positivistische Reduktion auf systemtheoretische Baukastenmodelle stört mich dabei, sondern das semantische Passiv, das mit dieser ideologisierten Sprache einhergeht. «Es» gelingt. Wem genau: dem Schüler, der Schule, dem genialen Schulsystem, dem Lehrer? Er fällt offenbar wunderselig vom Himmel herab, der Erfolg. Wir müssen nur die Voraussetzungen schaffen, damit der Erfolg nach einer gewissen Zeit eintreffen möge. Und um was geht es eigentlich bei diesem Gelingen? Um das Erreichen guter Noten, um das Bestehen von Prüfungen? Um den Zugang zu Berufskarrieren? Genügen Zufriedenheit und Daseinsglück nicht? Oder zählt solches auch zum Erfolg? Wäre der Erfolg also unter Umständen auch ohne gute Noten, ohne bestandenen Prüfungen zu haben? Was nützt es dem Orgasmus, wenn er als gelungener Geschlechtsakt bezeichnet wird? Weniger absolute Beurteilungen, man würde sie sich durchaus wünschen. Das Gelingen wäre dann nicht messbar, sondern allenfalls Gegenstand der Interpretation, ganz wie ein Kunstwerk. Und wer oder was ist es, bei dem sich dieses Gelingen manifestiert? Ist es ein Individuum, oder muss es eine ganze Klasse, ein ganzer Jahrgang sein? Geht es um Statistik oder um real existierende Menschen? Wer masst sich an, sich zum Richter aufschwingen zu dürfen? Findet dieses Gelingen seinen Sinn nicht in sich selbst?

Sie sehen, es bleibt einiges im Ungewissen. Es bleibt eigentlich alles im blassen Dunst, wenn die Rede ist von gelingender Erziehung, von Bildung, die gelingt, von revolutionären Umbrüchen, die da zum Erfolg kommen sollen. Gelingen ist Schall und Rauch. Und der wissenschaftliche Jargon, der in aktuellen Bildungsprogrammen damit einhergeht, selbstverständlich auch. So lange wir den Kuchen nicht essen können, wird es für immer ungewiss bleiben, ob er gelungen ist. Jedenfalls so lange, bis er verschimmelt ist.

Da hilft es uns auch nicht weiter, wenn wir nach Synonymen zu gelingen suchen:

  • funktionieren, glattgehen, glücken, glücklich vonstattengehen, gut ablaufen/ausgehen, gut gehen, nach Wunsch/wunschgemäss verlaufen; (umgangssprachlich) klappen, klargehen; (salopp) hinhauen
  • Erfolg haben bei, erreichen, fertigbringen, schaffen, zustande bekommen; (bildungssprachlich) reüssieren; (umgangssprachlich) hinbekommen, hinkriegen, zustande kriegen

Immerhin wissen wir jetzt, ob der Bäcker des Kuchens «reüssiert» hat. Ob sich das von den Bildungsdirektionen und ihren modischen Konzepten auch sagen lässt, bleibe dahingestellt.

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