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Edwin Beeler

Helden, Antihelden und Kitschfiguren

Sind Helden immer stark, cool, männlich und unbezwingbar?

(Bild: Pixabay)

Was haben James Bond und Niklaus von Flüe gemeinsam? Der Filmschaffende Edwin Beeler erzählt vom Archetypen des Helden im Film und erklärt, weshalb die besten Heldenfiguren oft die menschlichsten sind.

Ein Held sein. Sich in Grenzsituationen selber treu bleiben. Immer gewinnen, nicht versagen, gefasst bleiben, das Gesicht nicht verlieren.

Kämpfen, nicht davonrennen, nicht wankelmütig werden. Seinen Mann stehen. Sich tapfer schlagen. Prinzipien treu bleiben. Anderen zum Vorbild gereichen, ein gutes Beispiel abgeben. Führen. Sich zwar beraten lassen, Pro und Kontra abwägen, am Ende aber unbeirrbar immer allein und einsam entscheiden. Keine Gefühle zeigen, sich niemals in die Karten blicken lassen. Das könnte als Schwäche ausgelegt werden.

Wer Blösse zeigt, ist verletzlich. Keine Fehler zugeben, sich in die Brust werfen, den Hals recken, die Zähne zeigen. Sich für die Sache, die Ideologie, den Glauben, das Höhere, das Vaterland opfern.

Wer das tut, ist ein Held.

Protzig und vergoldet

Patriarchalische Systeme lieben Helden, vor allem, wenn sie sich in Pose setzen und – wie schon seit Urzeiten – in Palästen hausen. Heute mögen sie Trump, Erdogan oder Putin heissen. Alle lieben sie Waffen, vergoldetes Krims, Muskelprotziges, Mauern, lebendiges Dekor aggressiver Mitläufer, ihnen aufgepeitscht zujubelnde Massen. Vom Weiblichen fühlen sie sich bedroht. Es muss sich verhüllen. Sie lassen lieber foltern, verdrängen ihre Sexualität, vor Zärtlichkeiten graut ihnen, vor allem, wenn Gleichgeschlechtliche sie leben.

Effektgeladene Mainstreamfilme, gezogen von Helden, ziehen. Vor allem bei einem jungen, männlichen Publikum. Ich schaue auch ab und zu gerne Actionfilme, zugegeben. Möchte auch so stark, cool, männlich und unbezwingbar sein wie John McClane (Bruce Willis in «Die Hard») oder Agent Hunt (Tom Cruise) aus «Mission Impossible». Wo Actionfilme mit Selbstironie daherkommen (James Bond), unterhalte ich mich bestens. Ich möchte ja auch Hahn im Korb sein wie Sean Connery, Roger Moore oder Daniel Craig.

Wer zweifelt, kann kein Held sein

Helden werden gemacht. Die Schweiz hat auch welche. Für die einen ist Niklaus von Flüe ein Held. Er habe Gehorsam gemahnt, eingefordert gegenüber der Obrigkeit. Er habe die Schweiz vor dem Weltkrieg beschützt, habe die immerwährende Neutralität gepredigt. Vor 600 Jahren wurde er geboren, weshalb seiner in diesem Jahr besonders gedacht wird.

Während der Arbeit an meinem zweiten Film «Bruder Klaus» stand ich den wider­sprüch­lichsten Erwartungen gegenüber. Einige wünschten sich einen Film, der Niklaus von Flüe für die geistige Landesverteidigung dienstbar macht. Andere freuten sich auf einen Film, der den Landesvater endlich vom Podest holen würde.

Je länger ich mich mit diesem Menschen befasste, desto mehr wurde mir klar, dass es sich um eine unfassbare Persönlichkeit gehandelt haben musste, die sich gegen Vereinnahmungen, Heldentum und Legendenbildung sperrt. Ein Mensch, der ständig haderte, vor allem mit sich selbst. Ein grosser Zweifler, ein Suchender.

Die Vielfalt der Deutungsversuche drückt sich auch im breiten Spektrum von Bildern aus, die von ihm im Laufe der Jahrhunderte gemacht wurden. Die einen zeichnen ihn weich und stellen ihn dar als entrückt zum Himmel Blickenden; andere porträtieren ihn holzschnittartig mit wild zerzausten Haaren, offenem Mund und irrem Blick.

Hinter jedem Bildnis steckt eine künstlerische Haltung, die implizit subjektiv und interpre­tie­rend ist.

Meines Wissens zeigt aber kein Bild Bruder Klaus vor 1467, bevor er in die «Einöde» ging, als Bauer an der täglichen Arbeit – beispielsweise beim Melken – oder als Soldat im Alten Zürichkrieg. Er ist nie in Bewegung, steht oder kniet mit Bätti oder Pilgerstab, mit gefalteten oder verschränkten Händen, trägt eine Kutte. Porträtbilder überwiegen. Nur die Wegkapel­le im Ranft zeigt ihn in der Skulptur von Robert Rösli in kriegerischer Pose mit einem Schwert in der Hand – Zeit der geistigen Landes­ver­teidigung.

Auf dem Sockel festgemauert

Bruder Klaus konnte weder lesen noch schreiben. Er dachte in Bildern. Stark sind seine «unorthodoxen Urvisionen» (C. G. Jung). Ich würde meinen Film heute stärker an diesen Visionen ausrichten, ihren Bildern mehr vertrauen, den Film auch elliptisch montieren und auf jede erklärende, sich um Deutungshoheit bemühende Informa­tions­ebe­ne verzichten.

Ein Kinofilm ist keine wissenschaftliche Arbeit. Authentizität im Film ist mir wichtig.

Mich interessiert die Relevanz des Lebens und Wirkens dieses Men­schen im Hier und Jetzt. Reine Information entzaubert. Dieser Stoff darf seines Geheimnisses nicht beraubt werden. Und ein Film über Bruder Klaus kommt an seinen Visionen, die man auch als seine ekstatischen Seelenlandschaften deuten kann, nicht vorbei. Für mich ist diese Figur immer in Bewegung, muss und darf aus der jeweiligen Zeit heraus immer neu gedacht, gedeutet und interpretiert werden.

Das geht nicht, wenn Niklaus von Flüe auf einem festen Sockel verankert und festge­mauert, wenn er also zur unberührbaren Heldenfigur gemacht wird. Vielleicht sind Hel­denkult und Kitschfigur zwei Seiten derselben Medaille.

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