(K)ein Schirm ist ein Schirm
Historikerinnen und Sammlungskuratoren staunten in diesem Hitzesommer nicht schlecht. Ob auf einer Restaurantterrasse aufgestellt oder klein beim Spaziergang in der eigenen Hand haltend: Sonnenschirme sind wieder in!
Dieses praktische Objekt gegen sengende Sonnenstrahlen war im 18. Jahrhundert noch weitgehend dem Adel vorbehalten, avancierte als kluge Erfindung aber im 19. Jahrhundert allmählich zu einem weitverbreiteten Alltagsobjekt: für Damen wie für Herren, gegen Sonne wie gegen Regen. Die Schirmstoffindustrie sowie die Furniturenindustrie blühten. Die erste Schirmfabrik der Schweiz soll 1848 in Zug durch Gottlieb Speck gegründet worden sein.
Sonnen-, Regen-, Witwen-, Abend- oder Dekoschirm gefällig? In der Sammlung Museum Burg Zug finden sich 25 Sonnen- und Regenschirme bzw. Damen-, Herren- und Kinderschirme. Ein Kinderschirm aus dem 19. Jahrhundert, noch vor dem «Jahrhundert des Kindes» (Ellen Kay)? Was von Sammlungskuratoren vor knapp dreissig Jahren in der Verkleinerungsform noch als Schirmchen bzw. Kinderschirm inventarisiert wurde, erweist sich bei genauerem Hinsehen als sogenannter Knicker, auch Marquisenschirm genannt. Dies sind Damensonnenschirme, bei denen der Schirmstock mithilfe von Scharnieren umgeklappt oder abgeknickt werden kann. Das Frauenzimmer-Lexikon von Gottlieb Siegmund Corvinus beschreibt die Erfindung 1715 wie folgt:
Parasol, heisst eigentlich ein Schirm-Tach von Wachs-Tuch, so an einem Staengelein das Frauenzimmer über sich traeget, um sich dadurch wider der Sonnen Hitze zu bedecken.
In der dritten, überarbeiteten Auflage von 1773 wurde Wachstuch mit Leinen oder Seide ergänzt, das Gestell sei aus Holz, Fischbein, Stahl oder Messing.
Auch in der Sammlung des Museums Burg Zug befinden sich vier Knicker aus Seide, alle aus dem 19. Jahrhundert. Die sehr kleinen und handlichen Marquisenschirme waren in der Schweiz noch bis ins 19. Jahrhundert weitverbreitet und ein kostbares Accessoire. Oft war die Bespannung aus Taft- oder Changeant-Seide, gewoben als Lamé mit Metallfäden, nicht selten handrouliert oder mit Bogenkantenbordüre, oft mit Fransen oder einem Seidenribsband verziert: Objekte, die berühren, und – gegen jegliche Vorschriften! – ohne Handschuhe berührt werden möchten. Do touch!
Neben den ansprechenden Textilien der Damen- und Herrenschirme sind auch viele Griffe, Stöcke, Schieber und Zwingen aus kostbaren Materialien zu sehen. In der Sammlung Museum Burg Zug findet sich an Materialien beispielsweise Horn, Messing, Ebenholz, Rohr, Rattan und Elfenbein, wobei Letzteres vor dem Washingtoner Artenschutzabkommen in die Sammlung gelangt ist! Die Spitze und Zwinge eines 9(sic!)-strebigen Partnerregenschirmes, aus Messing, vergoldet und getrieben, glänzt gar durch eine Inschrift: «Guillaume Tell delivre la Suisse». Bei diesem Objekt schützt also nicht nur die robuste Bespannung aus Baumwolle, sondern auch unser ewig aktiver Nationalheld.
Gar nicht so viel anders sieht es vielleicht Jacques Derrida (1930–2004). Der Philosoph bezeichnete den Schirm als Mittelwesen. Er schwebe oder spaziere zwischen Firmament und Schlangengrund. Damit rückte der französische Intellektuelle das Alltagsobjekt Schirm, einst Kirche und Adel als Herrschafts-, Würde- und Rangabzeichen vorbehalten, sozusagen wieder in den Himmel, dem Vorgang nicht unähnlich, wenn nützliche Objekte aus dem Alltagsgebrauch entfernt und in den Museumstempel erhoben werden.