«Damals»
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Die Seemonster der Innerschweiz und ihre mangelnde Vermarktung

Mythische Seeschlangen, oder was der Luzerner Staatskasse entgeht

Nessie und die Burgruine von Urquhart. Nessie ist eine international bekannte Touristenattraktion, die für die Schotten jährliche Einnahmen zwischen 25 und rund 80 bis 100 Millionen Britische Pfund generiert. Postkarte um 1960.

(Bild: zvg. Kurt Lussi)

Eine Monsterschlange im Rotsee? Damals-Blogger Kurt Lussi deckt auf, wie sich die Mythen um Seeungeheuer entwickelten. Nicht nur bei Loch-Ness, auch bei uns in Luzern. Und wie der Luzerner Staatskasse durch verpasstes Marketing jährlich Millionen entgehen.

Das Geld liegt auf der Strasse. Man muss es bloss aufheben. Ganz so einfach ist das allerdings nicht, denn wer auf ausgeleierten Pfaden schlendert, wird selten fündig. Mehr Erfolg hat, wer aus etwas Gewöhnlichem etwas Spezielles macht. Aus gewöhnlichem Getreideschnaps Whisky zum Beispiel. In diesen Dingen sind die Schotten Meister. Ihnen gelang auch das Kunststück, aus ein paar Sagenfragmenten einen Mythos zu konstruieren, bei dem niemand mehr so recht weiss, was wahr ist und was nicht. Schottlandfreaks ahnen es bereits. Die Rede ist von der riesengrossen mythischen Seeschlange, die liebevoll Nessie genannt wird. Aus gutem Grund. Doch davon später.

Mythische Schlangen und Seeungeheuer

Wenn in der Mythologie des Volkes Seeschlangen vorkommen, sind damit nicht die in tropischen Meeresregionen lebenden echten Seeschlangen (Hydrophiinae) gemeint. Vielmehr beziehen sich die Erzählungen auf die monströsen Seeschlangen und Seeungeheuer, die der Legende nach in den unergründlichen Tiefen von Binnenseen und in den Weltmeeren hausen.

Besonders häufig will man sie entlang der Ostküste Nordamerikas und vor der Küste Norwegens gesehen haben. Eine wichtige Quelle dafür sind die Berichte von Zeugen, welche den schlangenförmigen Ungeheuern begegnet sind und ihre Erlebnisse publik gemacht haben.

Der unsterbliche Mythos «Nessie»

Bei den in Binnenseen lebenden mythischen Seeschlangen konzentrieren sich die neueren Berichte vor allem auf Nessie, das Monster im Loch Ness. 1934 gelang es dem renommierten Arzt Dr. Robert Kenneth Wilson das Seemonster zu fotografieren. Das Bild wurde als «The Surgeon’s Photograph» weltbekannt und galt als wichtigster Beweis für die Existenz eines saurierähnlichen Wesens. Selbst anerkannte Zoologen werteten die Aufnahme als Hinweis darauf, dass in der Tiefe des Loch Ness womöglich urzeitliche Riesentiere überlebt haben. Die Stimmen der Fachwelt machten die Story noch glaubhafter, als sie sonst schon war.

Der Mythos Nessie war geboren, um nie mehr zu sterben.

Dann kam der 14. Juli 1951. An diesem Tag sah der Forstarbeiter Lachlan Stuart von seinem Haus aus die aus dem Wasser ragenden Buckel des Monsters. Obschon es bereits dämmerte, gelang ihm eine zwar verschwommene, aber dennoch leidlich brauchbare Aufnahme. Wie es der Zufall so wollte, erschien Nessie am Seeufer von Whitefield, das direkt gegenüber der Burgruine Urquhart liegt. Und letztere war gerade dabei, sich zu einer internationalen Touristenattraktion zu entwickeln.

Die zweite, weitaus weniger bekannte Gegend, in der mythische Seeschlangen beheimatet sind, ist die Zentralschweiz. Im Gegensatz zum Loch Ness überwiegen hier die historischen Berichte, während Beobachtungen und Fotos aus der Gegenwart gänzlich fehlen.

Fotografie des Monsters von Loch Ness, aufgenommen von Lachlan Stuart am 14. Juli 1951 in der Nähe von Whitefield. Nach einer zeitgenössischen Postkarte.

Fotografie des Monsters von Loch Ness, aufgenommen von Lachlan Stuart am 14. Juli 1951 in der Nähe von Whitefield. Nach einer zeitgenössischen Postkarte.

(Bild: zvg. Kurt Lussi)

Was lauert am Rotsee?

Die historischen Belege verdanken wir dem Luzerner Apotheker und Stadtschreiber Renward Cysat (1545-1614), der in seiner «Collectanea Chronica» von «seltzamen, monstruosischen vischen» berichtet und die ihm erzählten Geschichten mit Skizzen illustrierte. So sollen hoch oben im See von Seelisberg zwei seltsame Wesen hausen, die ab und zu an die Oberfläche kommen und in einem Weiher in der Nähe des Klosters St. Urban sollen Monsterfische gesehen worden sein, die sich sowohl auf dem Lande, als auch im Wasser fortbewegen konnten.

Was aber hat es mit dem merkwürdigen Wurm auf sich, der im Rotsee lebt und sich ebenfalls auf dem Land fortbewegen kann? Dieser Wurm scheint die Anwohner zu Cysats Zeiten nicht nur in Schrecken versetzt zu haben, sondern er sorgte offenbar auch für einiges Aufsehen. Anders ist es nicht zu erklären, dass Cysat die Wurmgeschichte in seiner «Collectanea Chronica» verewigte.

Seeschlange gesichtet

Einer der Zeugen will gemäss Cysat das Untier gesehen haben, wie es zusammengerollt wie eine Riesenschlange auf einem Stein lag. Beim Näherkommen sei es dann im Wasser verschwunden. Ein anderer berichtete dem Chronisten von einer Spur, die sich vom Hof Vogelsang ausgehend durchs Gras gezogen habe. Die Spur, die man mit der Monsterschlange im Rotsee in Verbindung brachte, war voll Schleim und sie habe ausgesehen, als ob jemand einen Bindbaum von der Dicke eines menschlichen Oberschenkels durchs Gras geschleift habe. Die Spur war zudem nicht gerade, sondern schlangenartig und «krumb wie die Würm kriechent».

Von der Scheune des Hofes führte sie direkt hinunter zum See, «von dannen man kein Gspor meer gsehen, da zu muottmassen jst, dass er [der Wurm] alda den nächsten jn den Seew hinabgeschossen sye». Cysat berichtet weiter, dass an dieser Stelle direkt am Seeufer eine Höhle sei, bei der man oft halb aufgefressene Fische gefunden habe.

Ein Marketing-Gag für Luzern

Seit über 400 Jahren sind am Rotsee weitere Beobachtungen der Monsterschlange ausgeblieben. Angesichts der angespannten Finanzlage des Kantons Luzern ist dies äusserst bedauerlich. Gemäss einem Artikel der Zeitschrift «Management Today» spült Nessie den Schotten nämlich jährlich rund 25 bis 30 Millionen – nach anderen Quellen bis zu 80 Millionen – Britische Pfund in die Kasse.

Und dies, obschon die beiden wichtigsten Belege für die Existenz von Nessie, nämlich das Surgeon’s Foto von 1934 und das Bild von Lachlan Stuart vom 14. Juli 1951 mittlerweile als Fälschungen entlarvt worden sind. Bei ersterem handelte es sich um einen schwimmfähig gemachten, geschickt fotografierten Spielzeug-Dinosaurier und bei letzterem um Heuballen, die Lachlan Stuart mit schwarzem Tuch umwickelt, ins Wasser gesetzt und in der Abenddämmerung fotografiert hat.

Trotzdem, die Millionen fliessen und man fragt sich, weshalb die in Finanzdingen ansonsten so kreative Luzerner Regierung noch nicht auf die Idee gekommen ist, das Monster vom Rotsee ebenfalls zu vermarkten. An historisch gesicherten Belegen würde es jedenfalls nicht fehlen.

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