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Liebe, Laudanum und der Tod zu vergangenen Zeiten

Wie ein Luzerner an einer unkeuschen Begegnung starb

Der Schlafmohn-Saft kann geerntet werden und bildet in getrockneter Form das Betäubungsmittel Opium.

Laudanum, eine aus einem Gemisch von Opium und Alkohol bestehende Tinktur. Kurt Lussi schreibt über zwei unterschiedliche Schicksale im Zusammenhang mit Laudanum – eines davon ein Reiter im Entlebuch, der vor 300 Jahren nach einer «fleischlichen begird» zu Tode kam.

Elizabeth Eleanor Siddal. Ihr Grab befindet sich auf dem Highgate Cemetery in London, einem der spukhaftesten Friedhöfe der Welt. Sein östlicher Teil ist frei zugänglich. Den älteren westlichen Teil kann man nur noch in Begleitung eines Bediensteten der Friedhofsverwaltung betreten. Das erstaunt nicht, wenn man bedenkt, dass hier in den 1970er-Jahren Exorzismen mit exzessiven Leichen- und Grabschändungen stattfanden. Dies, nachdem verschiedene Personen berichtet hatten, sie seien nachts, als sie die am Friedhof vorbeiführende Swains Lane entlanggingen, von einem Vampir angefallen worden.

Laudanum – in Alkohol aufgelöstes Opium, dem zusätzlich Nelkenpulver und Safran beigegeben werden – half über Kummer hinweg und förderte die Inspiration.

Kurt Lussi, Konservator

Elizabeth Eleanor Siddal. Die besonderen Umstände ihres frühen Todes passen in die düstere Szenerie, die einen beim Betreten des Highgate Cemetery umfängt. Lizzie, wie sie von ihren Freunden genannt wurde, war eine aussergewöhnlich schöne Frau mit langen rostbraunen Haaren. Sie starb im Alter von nur 33 Jahren – und dies nicht ganz überraschend. Lizzie war das bevorzugte Model, dann die Geliebte und schliesslich die Ehefrau des italienischstämmigen britischen Malers und Poeten Dante Gabriel Rossetti. Die Heirat mit Lizzie hinderte ihn nicht daran, immer wieder mal mit einem seiner Models eine Affäre einzugehen. Zu alledem war er unstet, launenhaft und depressiv.

Dieser Herausforderung, diesem ständigen Auf und Ab, war die eher zarte, kränkelnde und zu Schwermut neigende Lizzie nicht gewachsen. Nach der Totgeburt ihres Kindes erlitt sie einen Nervenzusammenbruch. Und wie viele Schwermütige ihrer Zeit griff sie zu einem Mittel, das man vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert Laudanum nannte. Laudanum – in Alkohol aufgelöstes Opium, dem zusätzlich Nelkenpulver und Safran beigegeben werden – half über Kummer hinweg und förderte die Inspiration. Am 11. Februar 1862 nahm Lizzie eine Überdosis – ob aus Versehen oder aus Absicht, wissen wir nicht.

Lizzie Siddal als Beata Beatrix. Gemälde von Dante Gabriel Rossetti (um 1864). Die Mohnblüte in ihrer Hand weist auf ihren Tod durch eine Überdosis an Laudanum.

Lizzie Siddal als Beata Beatrix. Gemälde von Dante Gabriel Rossetti (um 1864). Die Mohnblüte in ihrer Hand weist auf ihren Tod durch eine Überdosis an Laudanum.

(Bild: Tate Gallery, London (Public Domain))

Der Wein der Dichter, der Denker und der Liebenden

Laudanum. Kaum übersehbar ist die Legion der Dichter, Denker und Maler, die mit Wein vermischtes Laudanum zur Belebung ihres künstlerischen Schaffens nutzten. Unter ihnen finden wir bekannte Namen wie Johann Wolfgang von Goethe, E. T. A. Hoffmann und Edgar Allan Poe. Die Aufzählung könnte fast beliebig fortgesetzt werden. Einen sollten wir nicht vergessen: Charles Baudelaire (1821–1867), der 1857 seine berühmt-berüchtigte Gedichtsammlung «Les Fleurs du Mal» veröffentlichte. Daraus der nachfolgende Auszug aus einem Gedicht, das den Titel «Das Gift» trägt:

«Die schmutzigste Spelunke lässt den Wein
Uns wunderbar und prächtig sehn,
Lässt eine Säulenhalle märchenhaft entstehn.»

Baudelaire lässt uns nicht im Unklaren, von welcher Art sein Wein ist. In der zweiten Strophe lesen wir:

«Das Opium macht Grenzenloses weit
Und Unbeschränktes riesenhaft,
Vertieft die Zeit, höhlt aus, was Wollust schafft,
Und füllt mit düsterer Lustbarkeit
Die Seele über ihre Fassenskraft.»

In einem abgelegenen Waldstück sei er dann einer schönen Jungfrau begegnet, die ihn «zur unküschheit angereitzt» habe.

Kurt Lussi, Konservator

Apothekerflasche für Sydenham's Laudanum, mit gemalter Aufschrift LAUD: LIQ: SYD. Vermutlich Deutschland, 19. Jahrhundert.

Apothekerflasche für Sydenham’s Laudanum, mit gemalter Aufschrift LAUD: LIQ: SYD. Vermutlich Deutschland, 19. Jahrhundert.

(Bild: Wellcome Trust. Science Museum Group Collection (Public Domain))

Opiumwein im Entlebuch

Dank Opium zu düsterer Lustbarkeit: Dreihundert Jahre zuvor hätte ihm dies ein junger Luzerner bestätigen können, der Wein von gleicher Beschaffenheit getrunken hatte. Was danach mit ihm geschah, überliefert uns der Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat (1545–1614). Gemäss seinen Aufzeichnungen ritt einst ein junger Mann hoch zu Ross nach Hause. Plötzlich habe er eine verlockende weibliche Stimme vernommen, der er «uss fleischlicher begird» folgte.

In einem abgelegenen Waldstück sei er dann einer schönen Jungfrau begegnet, die ihn «zur unküschheit angereitzt» habe. Dem Drang, berichtet Cysat weiter, habe der junge Mann nicht widerstehen können. Er sei abgestiegen und habe sich mit dem Geist, von dem er glaubte, er sei eine schöne Jungfrau, vereinigt. Die Geschichte endet tragisch. Der Mann überlebte sein Abenteuer nicht. Kurz nachdem man ihn halbtot gefunden hatte, starb er – nach Meinung Cysats an den Folgen der unkeuschen Begegnung. Berücksichtigen wir jedoch die erotischen Aspekte der Geschichte, stellt sich unweigerlich die Frage, ob der nächtliche Reiter wirklich nur «wol bewynet» gewesen war. Mit gewöhnlichem Wein treten erotische Träume, die als reale Erlebnisse empfunden werden, jedenfalls nicht auf. Gut möglich also, dass der Jüngling nicht reinen Wein getrunken hatte, sondern einen, der mit Laudanum versetzt gewesen war, und dies nicht zu knapp. Lizzie Siddal und der junge Luzerner. Zwei Schicksale in verschiedenen Jahrhunderten und Weltgegenden, aber mit dem gleichen tragischen Ausgang. Beide hatten dem Laudanum zu grosszügig zugesprochen: einmal aus Liebeskummer und einmal, um erotische Fantasien zu beflügeln.


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