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Scheintote im Luzern des 18. Jahrhunderts

Die Lady mit dem Ring: einmal gelebt – zweimal beerdigt

Familiengruft der Earls of Leitrim in der Kirche St. Michan, Dublin. Die Mehrzahl der Särge stammt aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Bild: Kurt Lussi)

Eine vornehme Dame wird in einer Gruft zur ewigen Ruhe gebettet. Und steigt einige Stunden später wieder aus ihrem Grab hervor. Aus Luzern ist der Fall einer Dame bekannt, die erstmals 1780 und dann erneut 1800 auf dem Friedhof der Hofkirche beerdigt worden sein soll.

Die «Lady mit dem Ring» ist eine Erzählung, die vom Scheintod und vorzeitiger Beerdigung handelt. Zentrale Figur der Geschichte ist eine vornehme Dame, die mit einem kostbaren Ring bestattet oder in einer gemauerten Gruft zur ewigen Ruhe gebettet wird.

Doch die Ewigkeit währt bloss ein paar Stunden, denn in der Nacht schleicht ein habgieriger Totengräber auf den Friedhof, hebt im Schutz der Dunkelheit die Erde aus und öffnet den Sarg. Da liegt sie, die Tote mit dem kostbaren Ring. Doch dieser lässt sich nicht abziehen. Ohne irgendwelche Skrupel zu haben, zückt er sein scharf geschliffenes Messer, um den Finger abzutrennen. Bevor er den ersten Schnitt tun kann, öffnet die scheinbar Tote die Augen. Vor Schreck lässt der Grabräuber sein Messer fallen und sucht das Weite. Die wieder zum Leben Erwachte nutzt ihre Chance. Sie klettert aus dem Sarg und geht nur mit dem Totengewand bekleidet nach Hause. Dort stirbt sie nach mehreren Jahren einen zweiten Tod – ohne je wieder gelacht zu haben.

 

Emma Edgcumbe (née Gilbert), Countess of Mount Edgcumbe (1729–1807). Mezzotinto von 1837 nach einem Gemälde von Sir Joshua Reynolds. Sammlung National Portrait Gallery, London. (Bild: zvg. Kurt Lussi)

Emma Edgcumbe (née Gilbert), Countess of Mount Edgcumbe (1729–1807). Mezzotinto von 1837 nach einem Gemälde von Sir Joshua Reynolds. Sammlung National Portrait Gallery, London. (Bild: zvg. Kurt Lussi)

Das zweite Leben der Countess Emma Edgcumbe

Die Geschichte von der «Lady mit dem Ring» wird in fast allen europäischen Ländern an verschiedenen Orten erzählt. Allein in Deutschland sind es neunzehn Städte, in denen eine manchmal namentlich genannte vornehme Dame dank der Habgier eines Totengräbers oder Klerikers dem Tod in letzter Minute von der Schippe springt. In England wird die Story von der wieder zum Leben erwachten Toten mit einer Reihe von bekannten Ladies gehobenen Standes in Verbindung gebracht.

Bekannteste Protagonistin ist die als Exzentrikerin bekannte Emma Edgcumbe, geborene Gilbert, Herzogin von Mount Edgcumbe und Gemahlin des ersten Earls von Mount Edgcumbe. Dank dem kostbaren Ring, den ihr der Gatte mit ins Grab gegeben hatte und den sich ein habgieriger Sextar aneignen wollte, soll sie nochmals davongekommen sein. Erst 1807 vertauschte sie endgültig das Diesseits mit dem Jenseits.

Die Luzernerin Marie Josse Pfyffer von Wyher

Hier knüpfen wir mit unserer Geschichte an. Am 25. Juli 1800 legte man auf dem Friedhof der Hofkirche zu Luzern (nach einer anderen Quelle auf dem Kirchhof von Ettiswil) Marie Josse Pfyffer von Wyher, geborene d’Hemel aus Argenteuil bei Paris und Ehefrau des Ludwig Pfyffer von Wyher, ehemals General in französischen Diensten, zur ewigen Ruhe. Das ist eine Tatsache, doch was nun folgt, ist nichts anderes als eine weitere Version der Geschichte von der «Lady mit dem Ring».

1780 nämlich soll Marie Josse, angetan mit ihren schönsten Gewändern und ausgestattet mit kostbarem Schmuck, erstmals zu Grabe getragen worden sein. In der heute in Luzern von den Stadtführern erzählten Version galt das Interesse des Totengräbers jedoch nicht einem Ring von Marie Josse, sondern ihren vornehmen Kleidern. Eine andere Variante besagt, dass beim Einsegnen der Leiche das Gesicht der scheinbar Toten ein paar Tropfen Weihwasser abbekommen habe und sie darob erwacht sei. Vor einem halben Jahrhundert wurde dem Schreibenden jedoch noch die originale Version erzählt, bei der es der Totengräber auf den Ring abgesehen hatte.

 

Gemälde einer vornehmen Dame. Der Überlieferung nach zeigt es die am 25. Juli 1800 verstorbene Marie Josse Pfyffer (née d'Hemel) in jungen Jahren. (Bild: Bruno Bieri)

Gemälde einer vornehmen Dame. Der Überlieferung nach zeigt es die am 25. Juli 1800 verstorbene Marie Josse Pfyffer (née d’Hemel) in jungen Jahren. (Bild: Bruno Bieri)

Lebendig begraben

In allen diesen Geschichten und ihren Varianten widerspiegelt sich die im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitete Furcht, als Scheintoter bei lebendigem Leibe begraben zu werden. Anlass dazu gaben tatsächlich geschehene Ereignisse, denn in heissen Sommern kam es auch in Luzern nicht selten vor, dass ins Koma gefallene Kranke vorzeitig bestattet wurden. In Unkenntnis der echten Anzeichen des Todes und aus Angst vor der Ausbreitung von Seuchen kam es in Zeiten der Cholera besonders häufig vor, dass Kranke als tot erklärt und beerdigt wurden, obschon sie noch am Leben waren.

Sicherheitssärge und andere Rettungssysteme

Vornehmen Damen brachte ein teurer Fingerring Rettung – zumindest in den Erzählungen von der «Lady mit dem Ring». Und die Männer? Einer, der es gar nicht erst darauf ankommen lassen wollte, ob im Bedarfsfall ein habgieriger Grabräuber den Deckel zu seinem Sarg öffnen würde, war der preussische Feldmarschall Herzog Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (1721–1792), der zeitlebens unter der Wahnvorstellung litt, dereinst lebendig begraben zu werden.

Herzog Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (1721–1792), Erfinder des

Herzog Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (1721–1792), Erfinder des «Sicherheitssarges». Kupferstich um 1780. Privatsammlung. (Bild: zvg. Kurt Lussi)

Herzog Ferdinand liess sicherheitshalber einen speziellen «Fluchtsarg» bauen und sich in einer Grabkammer statt in der Erde bestatten. Seine Konstruktion hatte ein eingebautes Fenster und eine Frischluftzufuhr. Der Sargdeckel war nicht zugenagelt, sondern mit einem Schloss versehen, das auch von innen geöffnet werden konnte. Mit in den Sarg liess er sich zwei Schlüssel geben. Wäre er plötzlich zu neuem Leben erwacht, hätte er mit dem einen von innen den Sargdeckel und mit dem anderen die Türe zur Gruft öffnen und sich bei Nacht und Nebel buchstäblich vom Acker machen können. So weit kam es jedoch nicht. Er blieb dort, wo man ihn 1792 zur Ruhe gebettet hatte.

Das Columbarium im Friedhof von Highgate, London. Die Toten vornehmer Familie wurden nicht in der Erde bestattet, sondern in gemauerten Gruften beigesetzt, die als «escape vaults» manchmal auch von innen geöffnet werden konnten. (Bild: Kurt Lussi)

Das Columbarium im Friedhof von Highgate, London. Die Toten vornehmer Familie wurden nicht in der Erde bestattet, sondern in gemauerten Gruften beigesetzt, die als «escape vaults» manchmal auch von innen geöffnet werden konnten. (Bild: Kurt Lussi)

Des Herzogs Vorsorgebemühungen machten Schule. P. G. Pessler, ein deutscher Priester, schlug 1798 vor, sämtliche Särge mit einer rohrartigen Öffnung nach oben zu versehen. Über diese Öffnung sei die Hand des Toten mit der Kirchenglocke zu verbinden. Die Idee erwies sich als wenig praktikabel.

Gleiches gilt auch für den von J. G. Krichbaum entworfenen und am 5. Dezember 1882 patentierten Sicherheitssarg mit eingebautem Alarmsystem. Eine etwas günstigere Lösung entwickelte man im viktorianischen England. Mittels einer durch ein kleines Rohr führenden Schnur sollte die Hand des Toten mit einer über der Grabstätte angebrachten kleinen Glocke verbunden werden. Ob die als «safety coffin bells» (Sarg-Sicherheitsglocken) angebotenen Allzweckglocken auch tatsächlich zum Einsatz kamen und gar Leben retteten, entzieht sich indes der Kenntnis des Schreibenden.

Auf Nummer sicher gehen

Auf Nummer sicher ging der irische Schriftsteller Bram Stoker, der sich als Verfasser von makabren Erzählungen ständig mit Vampiren und anderen Untoten zu befassen hatte und daher vorbelastet war. Für Stoker war klar: Nach seinem Abgang wollte er weder unter Tage wieder zum Leben erwachen noch – wie seine Romanfigur Dracula – als Untoter umhergeistern und auf die Erlösung durch Pfählung warten: Entgegen den damaligen irisch-katholischen Gepflogenheiten liess er sich 1912 in London kremieren.

Eine der Allzweckglocken, die unter anderem auch als «safety coffin bells» angeboten wurden. England, 2. Hälfte 19. Jahrhundert. Privatsammlung. (Bild: zvg. Kurt Lussi)

Eine der Allzweckglocken, die unter anderem auch als «safety coffin bells» angeboten wurden. England, 2. Hälfte 19. Jahrhundert. Privatsammlung. (Bild: zvg. Kurt Lussi)

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