«Damals»
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In den Zeiten vor der Digitalisierung

Ach früher…

Ein Anblick, den es heute kaum mehr gibt: Zwei Buben auf einem Töffli (Bild: Emanuel Ammon 1991)

Nostalgie ist, erkennen, dass man in den Zeiten vor der grossen Digitalisierung noch über eine Technik gestaunt hat, die heute kaum mehr bekannt ist – und diese nun vermisst.

Ja, ich neige zur Nostalgie. Und obwohl ich selbst noch zu einem jüngeren Jahrgang gehöre, weine ich gerne manchmal alten Zeiten nach. Insbesondere dann, wenn Jüngere nicht wissen, was eine Polaroid-Kamera ist oder eine Dia mit fragendem Blick betrachten und fasziniert sind von der Idee, die Dia ins Licht zu halten, um das Bild darauf zu erkennen.

Ich habe jetzt angefangen Vinyl-Platten zu kaufen – gemäss Philosophen und Soziologen eine Reaktion auf die Nonstop-Gesellschaft und die zunehmende Digitalisierung des Alltags. Alles ist in den Wolken. Manchmal fasziniert und beruhigt es mich, Hauswände und Buchrücken anzufassen. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mich in den genannten Momenten selbst als etwas sonderbar und altmodisch empfunden habe.

Das Stadtbild verändert sich

Zurzeit beschäftige ich mich damit, wie in den vergangenen Jahren gewisse Bilder und Merkmale aus dem Stadtraum verschwunden sind. Neben crèmefarbigen Autos sind dies zum Beispiel Mofas. Irgendwann im Übergang der 1990er in die 2000er Jahre sind sie verschwunden, wohl wegen der Helmpflicht, der strengeren Strassenverkehrsgesetze und den stinkenden Abgasen. Das Frisieren in der Garage, das Dröhnen auf der Strasse, die stolze Haltung auf dem Gefährt mit den möglichst breiten Lenkern, die langen Haare – Töffli-Buebe. Damals bedeuteten 50ccm Freiheit. Heute lebt diese Leidenschaft noch in Gotthard-Events und dem Vespa-Italianità-Feeling weiter.

Abgesehen von den Mofa-Fahrern sind auch andere Gruppierungen aus dem Stadtraum verschwunden, wie beispielsweise Punks, Hippies und Rocker. Die Baarer Historikerin Maria Greco berichtet in ihrem Aufsatz «Vom Epa-Platz zum Müürli» (in der Publikation «Herrliche Zeiten» vom Zuger Stadtleben in den 1980er Jahren. Zu dieser Zeit prägten ebendiese Gruppen zusammen mit den Schülern und Künstlern das Zuger Stadtbild mit und hielten sich an verschiedenen Plätzen und Ecken der Stadt auf. Dieses öffentliche Präsentieren der eigenen Haltung hat sich seit dem Aufkommen von Social Media immer mehr ins Private verlagert. So auch Solidaritätsbekundungen: «Je suis Charlie» las man tagelang auf Facebook, aber ich sah niemanden öffentlich ein T-Shirt mit der Aufschrift tragen.

Alles ist so durchgeplant

Ich beobachte, dass im Stadtraum spontane Begegnungen, öffentliche Bekundungen, Experimente und das «sich überraschen lassen» abnehmen. Man besucht Konzerte, von denen man bereits weiss, dass sie gut sein werden, weil man ein YouTube-Video zuvor gesehen hat. Veranstaltungen sind bis ins letzte Detail organisiert und lassen keine ungeplante Dynamik zu, was man aktuell an der Fasnacht erlebt: Kaum ist der Umzug vorbei, wird das Konfetti weggeräumt, damit Stunden später nichts mehr darauf hinweist, was passiert ist. Aber sind es nicht genau solche gemeinsamen Erlebnisse und Momente, die für Identität und Verbundenheit zu einem Ort sorgen? Sollte von diesen Momenten nicht noch länger etwas Greifbares bleiben? All diese alten Bilder und Erzählungen sind zwar keine Geschichten von grossen Politikern, und sie handeln nicht von wichtigen Entscheidungen auf Zuger Boden, doch es sind Alltagsgeschichten und sie geben uns Einblick in eine andere Zeit, die gar nicht mal so lange her ist.

Das Revival

Momentan erlebt das Mofa aber wieder einen leichten Aufschwung, beispielsweise in Zürich an der Langstrasse. Allerdings als Elektro-Töffli: Es ist leise, umweltfreundlich und lässt sich wegen seiner geringen Maximalgeschwindigkeit ohne Helm fahren. Ob das rebellische und verwegene Gefühl früherer Zeiten damit aufkommt, sei dahingestellt, aber gemäss einem Tagesanzeiger-Korrespondenten lässt sich mit den entschleunigten 25km/h gut die Stadt besichtigen. Und wenn schon nicht mehr die Töffli-Fahrer in Gruppen die Strassen unsicher machen, wieso nehmen es sich nicht die Vintage-Velofahrer vor? Dieses Video von the Smiths von 1987 würde eine gute Vorlage bieten:

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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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