Campus
Blog
Das Smartphone als Wissensträger

Hört auf mit dem Auswendiglernen!

Texte und Inhalte auswendig büffeln, wenn Google es auch weiss – wozu eigentlich?

 

(Bild: Alexis Brown/Unsplash)

Bibelzitate, Musiknoten und Gedichte: Auswendiggelernt wird schon seit hunderten von Jahren. Unsere Bloggerin findet, dass es an der Zeit ist, diese Praxis hinter sich zu lassen – zumindest fast.

Im letzten Herbstsemester brach das, was man intrinsische Motivation nennt, wie Wellen über mich herein. Ich befand mich in der idealen Symbiose aus Wissensbegierde, genügend Zeit und einer verdammt guten Vorlesung. Dann kam der Dezember, der Leistungsnachweis rückte näher und es hiess: auswendiglernen! Meine Prüfungsangst nahm Überhand, ich verlor den Überblick und die vorher ideale Symbiose erlitt Schiffbruch.

Meta-Ultra was?

Zwei Wochen später, ich hatte die Prüfung gerade hinter mir, sass ich in der Küche und massierte mein verspanntes Schulterblatt. In der anderen Hand hielt ich die Zusammenfassung, die mein Freund für seine Geologie-Prüfung auswendig lernen musste. «Ein Granulit-Peridotit hat Magnesium-Granat und Olivin-Mineralien drin. Und er ist ein Meta-Ultrabasika und gehört zur Eklogit-Fazies.»

Ich nickte, er lag richtig. Die Situation hingegen empfand ich als grundverkehrt. Worin liegt der Nutzen, all diese abstrakten Worte richtig aneinander reihen zu können, um sie dann, eine Woche später, wieder zu vergessen? Und selbst wenn mein Freund alle Facts zum Granulit-Peridot etwas länger in seinem Kopf behalten würde, sein Smartphone tat dies auch.

Passé!

In einer Zeit, in der jede und jeder künstliche Intelligenz mit sich in der Hosentasche herumträgt, die ihr oder ihm alles Wissen dieser Welt verzapfen kann, in der Fleissbandarbeit in der Wirtschaft fast vollständig der Vergangenheit angehört, ist auch das Auswendiglernen passé. Wir sollten an den Universitäten lernen, mutiger zu sein, anstatt nachzuplappern, was wir gelernt haben.

Wir sollten selber Wissen generieren, anstatt einfach nur das zu glauben, was schon vor uns da war. In unserer Welt braucht es nicht noch mehr egoistische Einzelkämpfer, die nach dem Motto «Me, Myself and my Zusammenfassung» ihre Tage verbraten, sondern wir brauchen soziale Gruppenmenschen, die gemeinsam arbeiten um sich den grossen Aufgaben unserer Zeit zu stellen.

Goethe beim Warten auf den Bus

Wilhelm von Humboldt, ein preussischer Gelehrter, der zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert lebte, war ein grosser Fan vom Auswendiglernen. Er füllte seine einsamen und langweiligen Stunden mit dem Aufsagen von Versen, die er zuvor fleissig gepaukt hatte. Mit dieser Praxis des Memorierens kann ich mich hingegen sehr gut anfreunden. Dann kann ich endlich mal mein Smartphone zuhause lassen und dafür leise an der Bushaltestelle Goethe zitieren.

Themen
Campus
Blog
Kommilitonen, Nebenjob, Credits, Wohngemeinschaften, Prüfungszeit, Ausgang, Semesterferien, Essays – Begriffe, die den Alltag von Studierenden prägen. Im Campus-Blog schreiben Studierende aus unterschiedlichen Semestern über ihr Leben in Luzern, ihre Freizeit sowie die Hürden und Freuden an der Uni oder Hochschule.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


4 Kommentare
  • Profilfoto von Nuoli44
    Nuoli44, 21.02.2020, 00:05 Uhr

    Ich lerne viel Auswendig. Kommt immer auf das Fach an. Gerade besuche ich einen Französisch Kurs und für diesen lerne ich nur auswendig.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Marc Fischer
    Marc Fischer, 25.02.2019, 21:28 Uhr

    Meine Studierenden – ich unterrichte an verschiedenen schweizer Hochschulen – haben sicher nicht auswendig zu lernen, wie das die Herren Grüter & Ebinger wohl aus ihrer Primarschulzeit noch kennen! Vernetztes Denken & Kreativität – beides wird noch längere Zeit den Menschen vorbehalten sein – sind nicht Resultat von „Bulimielernen“, sondern von Verstehen der Grundprinzipien einer Materie! Die wichtigste Fähigkeit, welche Studierende in das Berufsleben mitnehmen müssen ist Neugierde, sich nicht mit einfa7Antworten zufrieden zu stellen und Offenheit für Veränderungen. Statisches (veraltetes) Faktenwissen wird da rasch zum Klotz am Bein.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Roland Grueter
    Roland Grueter, 25.02.2019, 18:00 Uhr

    Guten Tag
    Ich kann Herrn Mebinger nur voll zustimmen. Danke!

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 25.02.2019, 12:22 Uhr

    Völlig Falsch, auswendig lernen hat seinen Sinn, wie es auch Schönschreiben hätte. Es macht uns ruhig geduldig und vor allem unabhängig von Maschinen.

    Zudem: Seit Bologna kann man durch Auswendig lernen jedes Studium schaffen, aber begreifen das wäre was Anderes. Nur, um etwas zu begreifen, muss man sein Hirn trainieren und da spielt das Auswendig lernen und das Schön schreiben wieder eine entscheidende Rolle. Das Ertragen der Langweile gehört auch dazu.

    Im Weiteren: Künstliche Intelligenz gibt es nicht. Sie ist eine moderne Irrlehre. weil man dumme unzuverlässige Algorithmen mit Intelligenz verwechselt

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon