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Trotz Job und Kind noch ein Studium

Als 47-jährige Studentin an die Uni Luzern

Renate Wildi studiert im 5. Semester Soziologie und Religionswissenschaften.

(Bild: (Bild: zvg Renate Wildi))

Nach Kindern und Berufsausbildung noch einmal studieren? Eine Herausforderung, die im persönlichen Umfeld auch auf Unverständnis stossen kann. So zumindest hat es die 47-jährige Renate Wildi erlebt, die an der Universität Luzern Soziologie studiert. Sie erlebt denn auch zahlreiche Unterschiede gegenüber ihren jüngeren Kommilitonen – und viele positive Aspekte für ihr eigenes Leben.

Studieren, wenn man schon mit beiden Beinen im Leben steht, nebenbei einen Beruf verfolgt und Kinder betreut, das ist nicht immer einfach. Mit der Gruppe «zeit•raum30plus» hat sich an der Universität Luzern eine Plattform für alle Studierenden gebildet, die jenseits der 30 nochmals durchstarten möchten.

Renate Wildi ist eine von ihnen. Die 47-Jährige studiert im 5. Semester Soziologie und Religionswissenschaften. Im Gespräch mit dem CampusBlog erzählt sie, wie es dazu kam und wie es sich studiert mit überwiegend jüngeren Kommilitoninnen.

Magdalena Oberli: Weshalb hast du dich entschieden, ein Studium in Angriff zu nehmen?

Renate Wildi: Ich habe es vor allem für mich selbst gemacht, weil ich einen grossen Wissensdurst hatte. Soziologie hat mich schon immer fasziniert. Als meine drei Kinder aus dem Gröbsten raus waren, ging ich zurück auf meinen Beruf als Immobilienbewirtschafterin, merkte jedoch rasch, dass ich hier keine Erfüllung mehr fand. Ich war geistig zu wenig gefordert. Der Zeitpunkt war reif für eine Veränderung. Ich bereue es bis heute keine Minute.

Oberli: Welche Bedingungen musstest du erfüllen, um an der Uni aufgenommen zu werden?

Wildi: Ich habe ursprünglich eine KV-Lehre absolviert, weshalb ich eine Teilmatur absolvieren musste, bevor ich mein Studium beginnen konnte. Die Uni Luzern hat diesbezüglich einen Deal mit der Akad. Andere Unis kennen ein solches Angebot nicht, weshalb ich mich für Luzern entschieden habe. So kam es, dass ich vor drei Jahren als 44-Jährige startklar war für mein Bachelor-Studium.

«Ich liess es über mich ergehen, war beeindruckt und habe nichts verstanden.»
Renate Wildi

Oberli: Wie hat dein Umfeld reagiert?

Wildi: Mein Mann hat meine Entscheidung von Anfang an unterstützt. Die weitere Verwandtschaft fragte sich, was das soll. In meinem Freundeskreis fehlt das Verständnis. Die erste Frage ist meistens: «Wozu machst du das?» oder noch schlimmer: «Weshalb tust du dir das an?». Sie verstehen nicht, wie befriedigend es sein kann, Wissen zu generieren.

Oberli: Welche Erinnerungen hast du an deinen ersten Unitag?

Wildi: Ich hatte keinerlei Erwartungen. Ich liess es über mich ergehen, war beeindruckt und habe so ziemlich nichts verstanden.

Oberli: Mittlerweile bist du bereits im 5. Semester. Wie geht es dir heute?

Wildi: Ich kann nicht genug bekommen vom Studieren. Am liebsten möchte ich jede Veranstaltung besuchen. Von Leuten lernen zu dürfen, die sich intensiv mit einem Thema befassen, empfinde ich als Glücksfall. Wissen aus den Medien ist nie dasselbe.

Oberli: Was sind die Vor- und Nachteile in deinem Alter zu studieren?

Wildi: Ich sehe praktisch nur Vorteile. Der einzige Nachteil besteht darin, dass gewisse Berufe für mich gar nicht mehr realisierbar sind. Ansonsten weiss ich aufgrund meiner Lebenserfahrung genau, was ich will. Ich stelle andere Verbindungen her und will den Stoff wirklich verstehen, nicht nur reinladen für die Prüfung. Mein Sohn erzählte neulich von seinem Freund, welcher Soziologie studiert und es brutal langweilig findet. Mit 19 hätten mich die wissenschaftlichen Texte auch nicht fesseln können. Bei den jüngeren Studierenden stehen die Credit Points im Vordergrund. Sie studieren nach dem Motto: Lernen, Leeren, Repeat.

Oberli: Wie erlebst du den Umgang mit deinen jüngeren Kommilitoninnen?

Wildi: Zu Beginn war ich überall mit Abstand die Älteste. Ich wurde zwar gut aufgenommen, aber ich stehe schlicht an einem anderen Punkt im Leben. Da meine drei Kinder (Zwillinge 19 und Tochter 16) in einem ähnlichen Alter sind wie meine Mitstudierenden, habe ich eher die Mutter-Perspektive. Ich fühle mich zwar akzeptiert, aber es ist nicht so, dass ich mit ihnen nebst den Veranstaltungen viel Zeit verbringe. Das passt einfach nicht.

«Wir haben alle dieselben Probleme. Es tut gut zu wissen, dass andere sich auch schwertun.»
Renate Wildi

Oberli: Mittlerweile gibt es die Gruppe «zeit•raum30plus» für Studierende ab 30. Wie kam es dazu?

Wildi: Nach und nach lernte ich andere Studierende in meiner Situation kennen. Es entwickelte sich ein Netzwerk. Das Ganze ist sehr ungezwungen. Wer Lust und Zeit hat, kommt vorbei.

Oberli: Was schätzt du an diesem Austausch?

Wildi: Wir haben alle dieselben Probleme. Es tut gut zu wissen, dass andere sich auch schwertun. Mit den Jungen geht das nicht. Sie bewegen sich in einer anderen Lebenswelt. Sie müssen nicht Kinder, Beruf und Studium unter einen Hut bringen. Es ist mir wichtig, hier ein neues Netzwerk aufzubauen.

Oberli: Zum Schluss: Was erhoffst du dir von deiner beruflichen Zukunft mit Uniabschluss?

Wildi: Ich wünsche mir eine interessante Position mit der Möglichkeit, unser Land mitzugestalten. Dabei möchte ich gerne verschiedene Bereiche wie Religion, Kultur und Politik miteinander verbinden. Dort gibt es meines Erachtens eine Lücke. Ich will nicht nur ein kleines Rädchen im System sein, sondern mitreden, wie es mit unserer Gesellschaft weitergeht.

«zeit•raum30plus»

Die Studentinnen Andrea Frei (39) und Andrea Duss (52) haben die Initiative «zeit•raum30plus» ins Leben gerufen. Die Gruppe trifft sich circa einmal im Monat zu einem Stammtisch in der Stadt Luzern. Daneben gibt es alle zwei Wochen einen gemeinsamen Campus-Lunch in der Mensa der Uni.

Mehr Infos gibt’s bei [email protected] und [email protected] oder in der Facebook-Gruppe.

Nächster Event: 7. Oktober 2016, ab 21 Uhr, Filmabend im G7 an der Güterstrasse 7 in Luzern. Offen für alle ü30-Studierenden der Uni Luzern.

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Kommilitonen, Nebenjob, Credits, Wohngemeinschaften, Prüfungszeit, Ausgang, Semesterferien, Essays – Begriffe, die den Alltag von Studierenden prägen. Im Campus-Blog schreiben Studierende aus unterschiedlichen Semestern über ihr Leben in Luzern, ihre Freizeit sowie die Hürden und Freuden an der Uni oder Hochschule.
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