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Herr Lömmacher

Herr Lehmann hat mich sehr gut auf mein Studium vorbereitet. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Was hat Bukowski mit einem Fotoshooting und dem Unileben gemein und warum gehen einem gewisse Bücher näher als andere? Sind Herr Lömmacher und Peter Limacher der Selbe, auch wenn sie sich unterschiedlich alt fühlen? Das alles und noch viel mehr aus der Sicht eines studierenden Studierenden.

Vor etwas weniger als einem Jahrzehnt habe ich zum ersten Mal Sven Regeners Herr Lehmann gelesen. Es war damals die Antwort eines Buchhändlers auf die Frage, ob er eine deutschsprachige literarische Stimme kenne, die meinem damals verehrten Bukowski in Art und Weise ähnlich sei. Ein überaus gelungener Tipp. Dieses Buch zu lesen, fühlte sich an, als ob ich innerlich gekitzelt würde. Nicht fest, aber genau da wo es wirkt. Ob im Zug, an der «Ufschütti» oder daheim auf dem Sofa; ich habe schallend gelacht.

Herr Lehmann wurde für mich, wenn man es denn so sagen kann, ein wenig ein Vorbild, von dem aber niemand etwas zu erfahren brauchte. Und sollte ich jemals Gefahr laufen, ein wenig zu verbittern, so hoffte ich, ein wenig wie er zu reagieren, nämlich so, dass zumindest andere sich göttlich über mich amüsieren könnten.

Dann kam das Studium

Mit dem Beginn meines Studiums ging Herr Lehmann oftmals ein wenig vergessen, nicht etwa, weil ich nie ein wenig verbittert war oder weil sich niemand über mich amüsierte – ich bin mir sogar sicher, da gab es sehr wohl einige Vorfälle; von unzähligen Treppenstolperern, immer dann, wenn garantiert alle schauten, bis hin zur nicht ganz freiwilligen Wahl zum Uniballkönig und dem darauf folgenden Fotoshooting auf der Motorhaube eines BMWs vor der Kulisse des Vierwaldstättersees. Aber davon ein andermal mehr, denn darum solls jetzt nicht gehen.

Mit den Jahren findet man an unserer doch sehr überschaubaren Uni Dozierende, bei denen man regelmässig in den Seminaren sitzt und auch dieser Überschaubarkeit und den Jahren geschuldet, beginnen dich die Doziernenden mit Namen anzusprechen. Einer meiner regelmässigen Besuche war bei einem Lehrbeauftragten, der mit seinem Akzent mich ungefähr mit «Herr Lömmacher» ansprach.

Schnell bürgerte sich das ein. Aber ich hab mir nichts dabei gedacht, bis eines Tages zum ersten Mal eine ganz junge Kommilitonin mich mit «du Herr Lömmacher» ansprach und fragte, ob sie ihr Referat mit mir zusammen halten dürfe. Peter sei in Ordnung, erwidere ich: «Ansonsten Limacher, also mehr Betonung auf dem I, fast wie ein Y und ohne das M so stark zu machen.»

Bin ich etwa schon so alt?

Natürlich war das von beiden Seiten eher lustig gemeint, aber trotzdem brachte mich die Situation etwas ins Grübeln. Bin ich nun schon so alt und war es vielleicht nicht nur lustig gemeint? Immerhin komme ich vom zweiten Bildungsweg und bin mit meinen 28 Jahren alterstechnisch gerade denen ein wenig voraus, die direkt vom Gymer kommen. Da kam mir, wie die fallenden Schuppen, wieder Herr Lehmann in den Sinn und wie er sich über das «Herr» im Zusammenhang mit dem «Du» ergärte.

Er hält seinen Freunden Vorträge darüber, wie entsetzlich «du Herr Lehmann» klingt, warum das nicht gehe, dass er noch keine Dreissig sei und dass sie es unterlassen sollen. Natürlich hilft das alles nichts, denn niemand kennt seinen Vornamen und seine Freunde, die ihn kennen, finden es lustig, ihn Herr Lehmann zu nennen. Zum Glück sind meine Freunde nicht ganz so gemein, aber vor und nach den Seminaren kam «Herr Lömmacher» immer öfter vor, wobei das, was daran etwas spöttisch anhaftet, genauso mir wie dem Dialekt meines Dozenten galt.

Was solls, denke ich mir dann, ich bin nicht der erste, der älter wird und auch nicht der erste, dessen Vornamen gewisse Leute nicht kennen. Froh bin ich aber, dass ich Herr Lehmann damals gelesen habe und dass er noch in so guter Präsenz ist und immer, wenn ich «du Herr Lömmacher» höre, denke ich mir, «danke Herr Lehmann, du hast mich sehr gut auf mein Studium vorbereitet.»

 

Tipp: Sven Regener: Herr Lehmann, 2001, Goldmann Verlag, 12.90 Fr.

 

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Kommilitonen, Nebenjob, Credits, Wohngemeinschaften, Prüfungszeit, Ausgang, Semesterferien, Essays – Begriffe, die den Alltag von Studierenden prägen. Im Campus-Blog schreiben Studierende aus unterschiedlichen Semestern über ihr Leben in Luzern, ihre Freizeit sowie die Hürden und Freuden an der Uni oder Hochschule.
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Herr Mehmann
    Herr Mehmann, 21.05.2015, 00:14 Uhr

    Toller blogg, herr L.

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