Architektur
Blog
Gerold Kunz in Chicago

Heimweh nach Luzern

Swiss Jolly Ball, Chicago (Bild: Gerold Kunz)

Gegen Heimweh in Chicago helfen ausgewählte Bauten, die mit Gebäuden in Luzern verwandt sind. Aber nicht nur Häuser, auch Objekte zählen dazu. Aus dem richtigen Augenwinkel betrachtet, fühlt sich der Luzerner wie daheim. Ein lohnender Selbstversuch, auch wenn sich bei mir bisher kein Heimweh einstellte.

Mit Heimweh werde eine Schweizer Krankheit bezeichnet, die erstmals bei Söldern diagnostiziert wurde, als sie in Frankreich in den Dienst des Königs traten. Die Performancekünstler Klara Schilliger und Valerian Maly hatten in ihrer Ausstellung «(s)keri» im Museum im Bellpark Kriens diese Behauptung 1996 zu belegen versucht. Hier in Chicago erinnerte ich mich wieder an ihre Recherchen. Auch ohne Heimweh kommen mir viele Stellen in Chicago vertraut vor.

Die grösste Flippermaschine der Welt

Eine direkte Übernahme aus Luzern ist die seit 1998 im Museum of Science + Industry Chicago installierte «Swiss Jolly Ball» des Engländers Charles Morgan, die 1988 einen Eintrag als grösste Flippermaschine der Welt erhielt und deren Schwestermodell im Verkehrshaus Luzern zu besichtigen ist.

Beide Apparaturen setzen sich aus vielen Abfallteilen zusammen, die der Juwelier und Erfinder aus Müllhalden rettete. In Chicago steht die Anlage im Untergeschoss bei den Restaurants und unterstützt die Familien, während dem Essen ihren Kindern ein attraktives Rahmenprogramm zu bieten.

Ein Torbogen in Chicago

Oder der Bogen des Türsturzes des Chicago Exchance Building, der vor dem Art Institut als Fundstück platziert ist, in Erinnerung an das Gebäude, das trotz grossen Protesten abgebrochen wurde. Dieses Fragment des vom Architekten Louis Sullivan erstellten Gebäudes hat nicht nur Ähnlichkeiten mit dem Torbogen des abgebrannten Luzerner Bahnhofs, der vor dem neuen Luzerner Bahnhof aufgestellt wurde, sondern beide Bauten teilen auch das Schicksalsjahr 1971, das Jahr ihrer Zerstörung.

Bar Deville

Ein anderer Luzern-Anknüpfungspunkt ist die Bar Deville, die sich in Fusswegdistanz meines Ateliers befindet. Hätte das Schweizer Fernsehen Kenntnis dieser Bar, würden die Verantwortlichen der Deville Late Night diese sicher in das Programm einbauen wollen. Schliesslich teilen Komiker Dominic und die Bar den Namen Deville und Chicago und Luzern den Status einer Schwesterstadt.

Bei der Architektur sind die Verwandtschaften weniger deutlich. Die Dimensionen der Bauten in Chicago lassen einen Vergleich kaum zu. Dennoch hält der Lake Point Tower wegen seiner Fassadengestaltung und solitären Stellung einem Vergleich mit den Allmendhochhäusern von Marques/Bühler stand.

Schweizer Fensterfabrik in Chicago

Oder das Foyer im Spertus Institute inspiriert zu einem Vergleich mit der Fassade des Luzerner Universitätsgebäudes von Enzmann Fischer. Die mehrfach gefalteten Flächen entspringen dem gleichen Zeitgeist, dem nun auch die Bauten im Hydepark vom Studio Gang folgen.

Deutlicher als bei allen Bauten sind die verwandtschaftlichen Grade beim Vergleich der Fensterfabrik Hagendorn in Cham von Graber & Steiger mit dem McCormick Palace von Helmut Jahn zu erkennen. Die beiden Gebäude unterscheiden sich einzig in ihrem Massstab.

Tradition und Moderne

Doch möchte ich hier nicht den Eindruck vermitteln, dass in Luzern alles erst Jahre später als in Chicago entstand. Im Cafe Le Colombe, das ich auf dem Weg in die Downtown gerne aufsuche, befindet sich ein Wandgemälde, das Objekte von Technik und Natur vereint.
Hier ist es das Landi-Bild von Hans Erni, das heimlich Pate gestanden sein könnte, denn Erni hatte wie keiner «Die Schweiz, das Reiseland der Völker» für die Landi 1939 in einem imposanten Panorama zusammengefasst, indem er in seinem Bild Elemente von Natur und Technik mit jenen von Tradition und Moderne verband.

Zum Werk des Architekten Frank Lloyd Wright gibt es weitere Anknüpfungspunkte, weil Zentralschweizer Architekten wie Joseph Gasser, Fritz Stucky oder Ernst Anderegg bei ihm als Fellows arbeiteten und nach ihrer Rückkehr in die Schweiz in Buochs, Hasliberg, Luzern, Littau und Zug eigene Bauten im Prairie Style errichteten, die sich in ihrer Qualität kaum von Wrights Werken unterscheiden.

Eine Kirche unter dem Dach

Ich habe versucht, fotografisch den Ursprung der Idee des schwebenden Daches des KKL Luzern bei Wrights Robie House zu belegen, indem ich eine Kirche, analog der Luzerner Hofkirche, unter das Dach stellte. Das 1910 erstellte Gebäude, ein Gästehaus, ist zwar bedeutend kleiner als das KKL Luzern. Doch die Situierung der Terrasse und das ausladende Dach sprechen eine gemeinsame Sprache. Wright gilt zu Recht als Quelle des modernen Bauens. Er und seine Bauten inspirieren offenbar bis heute.

Seerosen wie im Rotsee

Auch die Natur lässt sich mit den Gegebenheiten in der Zentralschweiz vergleichen. Der Lily Pool, eine Gartenarchitektur von 1936, komponiert aus Seerosen und Kalksteinen von Alfred Caldwell, dem bedeutenden Landschaftsarchitekten, der für Mies und Wright gearbeitet hatte, erinnert an einen Spaziergang am Rotsee. Oder der Fern Room im Garfield Park Observatory, vom Landschaftsarchitekten Jens Jensen 1906 eingerichtet, scheint wegen seiner Urtümlichkeit wie aus dem Pilatusmassiv herausgeschnitten.

Diese Aufzählung liesse sich mit weiteren Beispielen ergänzen. Gegen Heimweh hilft mir die aktive Auseinandersetzung mit dem «Daheim» oder zumindest dem, was ich dafür halte. Und in Chicago habe ich viele Anknüpfungspunkte gefunden.

Themen
Architektur
Blog
Von Architektur und Städtebau sind wir alle betroffen. Im Architektur-Blog werden aktuelle Projekte aus Luzern und Zug verhandelt. Er dient Laien und Fachleuten als Diskussionsplattform und macht das regionale Bewusstsein für Baukultur öffentlich.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon