Architektur
Blog
Gerold Kunz in Chicago

Wandelndes Gesicht

(Bild: Gerold Kunz)

Wheeler Kearns Architects haben als Erste ein Haus gebaut, das ohne Parkplätze auskommt. Damit soll in Chicago der Auto-orientierte Berufsverkehr auf den ÖV gelenkt werden, aber auch einem aktuellen Trend entsprochen werden. Urbane Menschen unter 30 Jahren besitzen kein eigenes Fahrzeug.

Wer in Chicago ein Gebäude im Abstand von hundert Metern zur nächsten Bahnstation erstellt, darf nur ganz wenige Parkplätze errichten. Auch die Gebäudehöhe ist vorgegeben. Für Investoren werden diese Vorgaben interessant, wenn die Parzelle in einer hippen Umgebung liegt. Denn die für ein jüngeres Publikum zugeschnittenen Bauten finden eine Nachfrage nur dann, wenn alle Faktoren eines urbanen Lebens erfüllt sind.

Urbane Menschen besitzen in Chicago kein eigenes Fahrzeug. Sie sind es müde, jeden Tag im Stau an die Arbeit und zurück nach Hause zu kriechen. Fahrdienste wie Uber oder Lyft erschliessen ihnen auch abgelegene Stadtquartiere. Auch das Fahrradfahren ist populär und wird mit Bikelines und weiteren Erleichterungen gefördert. So sind an den Bussen Gestelle montiert, die zwei Fahrräder aufnehmen können und erste Bahnstationen wurden mit eigenen Velostationen ausgestattet.

Wohnen am Knotenpunkt

Voraussetzung für diesen Lebensstil sind Appartements in Zentrumsnähe, oder eben an gut erschlossenen Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs. Als Beitrag zur Verdichtung nach innen geben die städtischen Planer alle Masse vor. Unter der Bezeichnung «Transit Orientet Development (TOD)» befinden sich gegenwärtig in Chicago mehrere Projekte in Ausführung, die nicht nur über die angrenzenden Bauten ragen, sondern auch zum urbanen Lebensgefühl beitragen.

Mit dieser Aufgabe wurden als Erste die Chicagoer Architekten Wheeler Kearns konfrontiert. Das markante Eckgebäude steht direkt über einer gut frequentierten Haltestelle an der Flughafenlinie. Das elfgeschossige Miethaus bietet in den Obergeschossen 90 Kleinwohnungen an, das Erdgeschoss ist für Ladennutzungen reserviert. Hier haben die Architekten eine Kaffeebar eingerichtet, die direkt neben dem Hauseingang liegt und den Bewohnern und Bewohnerinnen den frischen Morgenkaffee bereithält!

Masse nehmen

Da die Stadt die Abmessungen für das Gebäudevolumen vorgab, hatten die Architekten nur wenige Spielräume für die Gestaltung. Sie stellten den Treppenturm frei, um ein offenes Erdgeschoss zu erhalten und um ein künftiges Bauvorhaben auf der Westseite auf Distanz zu halten.

Der Baukörper wurde mit einer umlaufenden Fassade gestaltet, was den Charakter des Solitärs verstärkt. Die Hauptfassaden wurden eingeknickt und die Gebäudeecke abgeschrägt. Mit diesen Massnahmen gliedern die Architekten den Baukörper und nehmen ihm seine Masse. Je nach Tageszeit und Lichtstimmung wandelt das Gebäude sein Gesicht.

Ein Orientierungspunkt

Auf den ersten Blick erschien mir das Gebäude etwas sonderbar. Die Fassade mit den vertikal verlaufenden Aluminiumpaneelen wirkte aufgesetzt. Meine Recherchen und das Gespräch mit dem Architekten Dan Wheeler haben mich genauer hinsehen lassen. Zwar betrachte ich die Ausbildung des Sockels und den Gebäudeabschluss weiterhin kritisch (das Muster fängt unten zufällig an und findet oben keinen Abschluss), aber mittlerweile ist das Gebäude für mich zum wichtigen Orientierungspunkt geworden.

Themen
Architektur
Blog
Von Architektur und Städtebau sind wir alle betroffen. Im Architektur-Blog werden aktuelle Projekte aus Luzern und Zug verhandelt. Er dient Laien und Fachleuten als Diskussionsplattform und macht das regionale Bewusstsein für Baukultur öffentlich.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon