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Gerold Kunz in Chicago

Basisstationen

«Tiny Home»

Die Zahlen der Obdachlosen in Chicago sind alarmierend, jene der obdachlosen Jugendlichen umso mehr. Mit «Tiny Homes» soll das Problem nun angegangen werden, so die Hoffnung einer Tagung, an der wichtige Akteure zur Selbsthilfe aufriefen. Ein erster Prototyp wurde in Chicago bereits realisiert.

Als «Tiny Home» werden in den USA Kleinbauten bezeichnet, die als Wohneinheiten günstig erstellt und deshalb auch an sozial benachteiligte Personen abgegeben werden können. Die freistehenden Einzimmerwohnungen bestehen aus einem Ess- und Schlafbereich, verfügen über eine Kochnische, ein Bad und etwas Stauraum. Was in Schweizer Ohren wie nach dem Beschrieb eines Ferienhauses klingt, unterscheidet sich hier in Chicago in den Ansprüchen: Mit einem «Tiny Home» soll für obdachlose Jugendliche im Alter zwischen 18 und 24 Jahren eine geregelte Wohnsituation hergestellt und die Integration in eine Gemeinschaft sichergestellt werden können.

Um eine Verwirklichung dieses Anspruchs bemühen sich zahlreiche wohltätige Organisationen, die sich Mitte April am «Tiny Home Summit» ausgetauscht haben. Dabei wurde klar, dass es in Chicago weniger am guten Willen und an Land mangelt als an einvernehmlichen Lösungen mit Nachbarn und geeigneten gesetzlichen Bestimmungen. Die Chicagoer Baugesetze sehen eine Minimalfläche für eine Kleinwohnung vor, die nahezu der doppelten Grösse eines «Tiny Homes» entspricht, und erlauben pro Parzelle nur ein Gebäude, was für die Bildung von Gemeinschaften nachteilig ist. Diese Hürden müssen von den Initianten genommen werden, wenn in Chicago Angebote mit «Tiny Homes» entstehen sollen.

In anderen amerikanischen Staaten wurden, mehrheitlich in Selbsthilfe, bereits verschiedene «Tiny Home»-Projekte realisiert. In Seattle sind es beispielsweise 60 Einheiten, die bisher zur Verfügung gestellt werden konnten. Und in Dallas stehen Ende Mai 2016 weitere 50 Einheiten zum Bezug bereit. Im Unterschied zu den existierenden Initiativen folgt einzig das Projekt in Dallas einem Architektenplan einer in Texas beheimateten Nonprofit-Planungsunternehmung.

Hier setzt das Vorhaben in Chicago an: Um Vorschläge für konkrete «Tiny Homes» zu bekommen, wurde ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, der im März dieses Jahres entschieden wurde. Drei Büros aus Chicago wurden mit Preisen ausgezeichnet und das Projekt der Architektengemeinschaft von Terry Howell, Marty Sandberg und Lon Stousland zur Weiterbearbeitung empfohlen. Ein Prototyp wurde in diesen Tagen auf dem Campus der University of Illinois Chicago UIC aufgestellt und ist bei den Tagungsteilnehmern auf grosses Interesse gestossen.

Der Prototyp dieses «Tiny Homes» ist von einem Studentenzimmer kaum zu unterscheiden. Auf wenig Fläche wird hier alles geboten, was Wohnen (auch hindernisfrei) möglich macht. Doch im Unterschied zu Studenten, die aus ihrer temporären Wohnsituation fliehen können, wenn es ihnen zu eng wird, erhalten die obdachlosen Jugendlichen, für die der Prototyp entwickelt wurde, ihr erstes ordentliches Zuhause.

Um die Wohneinheiten im Quartier zu integrieren, haben die Architekten eine Architektursprache gewählt, die vorhandene Gestaltungsprinzipien übernimmt, so die handwerklich geformte Backsteinwand und die Dachform. Im Unterschied zu den anderen Wettbewerbsbeiträgen liegen die Qualitäten des siegreichen Projekts weniger bei den formalen als bei den sozialen Aspekten. Den Projektverfassern ist es gelungen, für einen konkreten Ort in Chicago ein Layout mit elf Einheiten und einem Gemeinschaftsbereich vorzulegen, deren Architektur kaum auffällt, was dem Vorhaben dient.

Dennoch liegen im Projekt Verbesserungspotenziale. So steht das Bett dort, wo der Raum am höchsten ist, und der Badeinbau stört die Raumgeometrie. Auch wird die Veranda mit einem massiven Dach gedeckt; eine leichtere Konstruktion würde genügen. Der Stauraum beeinträchtigt die Belichtung der Räume, die zudem dann, wenn das einzelne Haus an die bebaute Nachbarzelle grenzt, ungenügend sein dürfte.

Es mag angesichts der Thematik anmassend erscheinen, dass ich mich bei einem sozialen Projekt um Fragen der Gestaltung kümmere. Doch in der Architekturgeschichte ist die Auseinandersetzung mit Wohnen auf beschränktem Raum eine Konstante. Ein Entwurf für ein «Tiny Home» sollte deshalb auf den Erkenntnissen des  genossenschaftlichen Wohnungsbaus (Wohnen für das Existenzminimum) und den Konzepten für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg (Vorfabrikation) aufbauen. Doch davon war an der Tagung nur wenig zu erfahren.

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