Luzerner Stadtrat ärgert sich über Suva-Spot

«Das zementiert das Klischee der Velorowdys»

Noch lebt er: Dem rücksichtslosen Velofahrer widerfährt im Suva-Spot Böses.

(Bild: zvg)

Ein provokatives Video der Suva legt nahe, dass die Velofahrer in den meisten Fällen selbst schuld an Unfällen sind. Der Luzerner Stadtrat hat keine Freude am Spot – und legt andere Zahlen vor.

«Rote Ampeln missachten, Stoppstrassen überfahren oder bei Stau aufs Trottoir ausweichen: Velofahrer, die sich nicht an Verkehrsregeln halten, gefährden ihre und die Sicherheit der anderen.» Diese Aussage stammt nicht von der Autolobby, sondern von der Schweizer Unfallversicherung (Suva). Und weiter: «Bei knapp der Hälfte der Velounfälle sind die Fahrradfahrer selber verantwortlich.»

Eine Kampagne und vor allem das dazugehörige Video sorgten diesen Frühling für viel Aufsehen und teils auch Kopfschütteln unter Fachleuten. Und es animierte FDP-Stadtparlamentarier Fabian Reinhard zu einer Interpellation. Ob die Aussagen aus dem Suva-Clip auch für die Stadt Luzern gelten würden – und wie die Ursachen-Analyse von Velounfällen aussehe, wollte er wissen.

Hier das umstrittene Video:

 

Im Suva-Video, das auch von den Zentralschweizer Polizeikorps unterstützt wurde, verlässt ein gut gelaunter, moderner Familienvater sein Haus und fährt mit dem Velo zur Arbeit. Er schlängelt sich durch den Autoverkehr, spottet über seinen Nachbarn im Auto, missachtet Verkehrsregeln – und dann knallt es.

Der Velofahrer wird überfahren und ist tot. «Was dich umbringt, ist, wenn du wie ein ‹Tubel› mit dem Velo herumfährst. Bei fast der Hälfte der Velounfälle ist der Velofahrer verantwortlich», sagt die Off-Stimme.

«Destruktiv und tendenziös»

Der Luzerner Stadtrat ist not amused über den Clip, der von vielen Fachleuten als «destruktiv und tendenziös» beurteilt werde. Das Video vermittle die Botschaft: «Wenn du sicher ans Ziel kommen möchtest, nimm das Auto», das stehe quer zu den Veloförderungsmassnahmen der Städte, schreibt er in einer Antwort auf den Vorstoss von Reinhard. «Der Spot zementiert das Klischee der Regeln missachtenden, rücksichtslosen ‹Velorowdys› und stellt die Velofahrenden unter Generalverdacht.»

Den Vorwurf einer destruktiven und tendenziösen Kommunikation will die Suva nicht auf sich sitzen lassen. Man hätte auch von zahlreichen Velofahrenden und Fachleuten positive Reaktionen erhalten. «Klar, der Präventionsspot ist überzeichnet und spiegelt nicht alle Velofahrenden» räumt auch Mediensprecherin Barbara Senn ein. Er spreche aber explizit jene an, die sich nicht korrekt, ja sogar wagemutig im Strassenverkehr verhalten würden. «Der Film polarisiert, er zeigt aber Wirkung», sagt die Suva.

Stadtrat: Velofahrer meist nicht Verursacher

Noch etwas anderes stört die Stadt: So werde im Video beispielsweise nicht erwähnt, dass die meisten Velounfälle mit Personenschaden Selbstunfälle sind – also ohne Beteiligung anderer Verkehrsteilnehmer. Und weil solche Unfälle meist nicht gemeldet würden, sei die tatsächliche Anzahl der Allein- und Selbstunfälle noch weit höher. Die Stadt beruft sich auf Zahlen der Schweizerischen Strassenverkehrsunfall-Statistik des Bundes.

Zudem: «Wenn Velofahrende bei Unfällen mit einer Kollision schwer verunfallen, sind sie in mehr als der Hälfte der Fälle nicht die Unfallversursachenden (55 Prozent)», so der Stadtrat. Nur in 29 Prozent der Unfälle seien Velofahrer die alleinigen Verursachenden, bei 16 Prozent Haupt- oder zumindest Mitverursacher. Das sind Zahlen für die ganze Schweiz, auf die Stadt Luzern bezogen sind sogar in 72 Prozent der Fälle, bei denen es zu Kollisionen zwischen Velos und anderen Verkehrsmitteln kommt, nicht die Velofahrer die Unfallversursacher (siehe Box). Sprecherin Barbara Senn verweist darauf, dass man zwar in Luzern den Hauptsitz habe, jedoch national kommuniziere. Und schweizweit sei knapp die Hälfte aller Velounfälle selbstverschuldet.

Zahlen: Unfälle mit Velos in Luzern

In seiner Antwort auf Fabian Reinhards Interpellation gibt der Stadtrat Zahlen über Velounfälle in Luzern bekannt:

  • Von 3’638 Verkehrsunfällen in der Stadt Luzern (2011–2016) waren in 565 Fällen Velofahrer beteiligt. 3 Personen starben, 92 waren schwer verletzt und 447 leicht.
  • 161 der 565 Velounfälle sind Schleuder- oder Selbstunfälle – also ohne Kollisionen mit anderen
  • Bei den restlichen 404 Velounfällen mit Kollisionen sind in 114 Fällen die Velofahrer schuld (28 Prozent), bei 290 Fällen waren es jedoch andere Verkehrsteilnehmer (72 Prozent).
  • Unfälle zwischen Velofahrern und Fussgängerinnen sind selten: Nur gerade 33 Fälle (6 Prozent) wurden in dieser Zeitspanne registriert, die Dunkelziffer ist jedoch hoch.
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Walter Albrecht
    Walter Albrecht, 20.10.2017, 08:36 Uhr

    Leider stelle ich als langjähriger Velofahrer und Fussgänger immer häufiger fest, dass Velofahrende aller Altersgruppen und Geschlechter sich nicht an die banalsten Regeln halten: Missachten der Rot-
    lichter und der Fahrverbote, die auch fürs Velofahren gelten, Ausweichen aufs Trottoir bald überall.
    Bei Elektro-Velofahrenden fehlt oft die Routine, mit der erhöhten Geschwindigkeit umzugehen. Die
    Kombination von vermehrter Alltagshektik und mangelnder Rücksichtnahme sind ein gefährliches
    Gemisch für alle Verkehrsteilnehmenden. Viele Probleme lassen sich nur mit teuren baulichen Massnahmen lösen. Alle könnten aber mit bewussterem Verhalten zur Entschärfung der Situation
    beitragen.

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  • Profilfoto von Roland Grueter
    Roland Grueter, 18.10.2017, 11:31 Uhr

    Die Botschaft der SUVA ist schlichtweg «Velofahrer haltet euch an die Verkehrsregeln».
    Die Velolobby-Reaktion mit der dummen Interpretation «Wenn Du sicher ans Ziel kommen möchtest , nimm das Auto» ist nun wirklich lächerlich.
    Zudem ist das Schönreden des Problems «Velorowdys» eine Farce und gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern, inklusive der Fussgänger, rücksichtslos!

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