Impressionen von der Sika-GV in Baar

«Das wird sicher noch ein Nachspiel geben»

Klatschen bei der Wiederwahl der rebellischen Verwaltungsräte: Die Kleinaktionäre. (Bild: Claude Hagen)

Es ist ein Sieg für die mit den Hosenträgern. Die mit den schlecht sitzenden Sakkos und den Glatzen. Bei der Generalversammlung der Sika in Baar kämpfte das Gute gegen das Böse, und die Kleinaktionäre wussten ganz genau, wer wer ist.

«Wissen Sie, wann ich meine erste Sika-Aktie gekauft habe», fragt ein älterer Herr im Gang der Waldmanhalle, während drin die Post abgeht. «Das war vor siebzig Jahren. Damals war ich neunzehn. Da können Sie sich ja jetzt vorstellen, wie alt ich heute bin.»

Er ist einer von denen an dieser Generalversammlung, einer von denen mit Hosenträgern, mit schlecht sitzenden Sakkos, mit Hornbrillen und Glatzen. Oder den übertrieben rot gefärbten Haaren, den grossen Ohrringen und dem prüfenden Blick. Einer von denen, die der Firma seit ihren ersten Aktienkäufen treu geblieben sind. Bei ihnen ist die Grossfinanz und das Managertum noch nicht angekommen. Die Autos auf dem Parkplatz entsprechen bei Weitem nicht der durchschnittlichen Zuger Porsche-Dichte.

Die Zukunft steht auf dem Spiel

Kein Wunder spricht Verwaltungsratspräsident Paul Hälg mit gut kalkuliertem Dialekteinschlag Hochdeutsch. Sagt Woterpruufing statt Waterproofing. Und lässt damit jedes Misstrauen im Keim ersticken. Der da ist kein Abzocker. Der schaut für die Mitarbeiter. 17’000 Mitarbeiter hat die Sika weltweit, und dieser Abend hier, der soll für sie wegweisend sein. Hälg meint es ernst, wenn er sagt: «Heute Abend ist die wichtigste Generalversammlung seit der Gründung. Die Zukunft der Sika steht auf dem Spiel.»

Es ist ein Kampf Gut gegen Böse, der hier in der Waldmannhalle in Baar gleich ausbrechen soll; und wenn man nach dem Gejohle gehen will, das die Kleinaktionäre an den wichtigen Stellen produzieren, dann ist hier ganz klar, wer der Böse und wer der Gute ist.

Alles besser als vorher

Aber von vorne. Denn Hälg und sein Team müssen nach der medialen und juristischen Schlacht der letzten Monate erst Mal den Boden bereiten. Und das macht CEO Jan Jenisch mit breitem Grinsen: «Seien Sie nicht böse wegen dem schönen Wetter», muntert er die versammelten Aktionäre auf, die hier die nächsten sieben Stunden im Dunklen sitzen werden, während draussen der Frühling unter den Heuschnupfen-Geplagten wütet. «Ich habe ebenso schöne Zahlen für Sie.» Sagt er und breitet die guten Nachrichten aus, die alle hier dringend nötig haben: Alles ist besser als zuvor.

Die schon vorher hohe Marge ist gestiegen, diverse neue Fabriken auf der ganzen Welt eröffnet, mehr Umsatz, mehr Gewinn. Die Firma im Allzeithoch. Die neue Wachstumsstrategie, die zusammen mit den Ländergesellschaften entwickelt wurde, sei dafür verantwortlich, sagt Jenisch. Währenddessen knabbern die Aktionäre an den Sandwiches und Kuchen, die im Conference-Bag auf jedem Platz bereitstehen. Und freuen sich auf den Showdown.

Kleine Revolution

Denn was Hälg gleich ankündigen wird, ist eine kleine Revolution. Er will die Stimmrechte der Burkard-Erben bei all den Traktanden einschränken, die zum Ausschluss der kritischen Verwaltungsräte führen könnten. Und erntet dafür Applaus. Zum ersten Mal dürfen die Anleger hier auch mal selber bestimmen, ohne die Übermacht der Burkard-Familie. Das macht etwas nervös, kein Wunder stimmen die Leute beim ersten Versuch etwas seltsam, als es bei der Testfrage darum geht, ob Kirschtorte lecker ist oder nicht.

Und dann geht’s ans Eingemachte: Hälg spricht lange und ausführlich darüber, weshalb eine Übernahme durch Saint Gobain für das Unternehmen und die Publikumsaktionäre katastrophal wäre – weil die Rechnung für die Saint Gobain nur dann aufgehen könne, wenn sie die Sika aushöhlen würde. «Ich möchte mich bei Ihnen für Ihren Rückhalt in dieser turbulenten Zeit bedanken», sagt Hälg und erntet dafür spontanen Applaus.

Erbe wird ausgelacht

Richtig laut wird’s aber erst jetzt: Nach den ersten zwei Stunden Generalversammlung tritt endlich der Mann auf, dessen Traum von den schnellen Milliarden das Ganze erst ausgelöst hat. Urs Burkard sieht etwas abgemagert aus, vielleicht liegt das an der Perspektive auf der Leinwand. Und sagt mit Patronstimme: «Zuerst einmal diese Botschaft: Die Saint Gobain hat immer gesagt, es werden keine Stellen abgebaut, Ihre Arbeitsplätze sind sicher.» Er wird dafür nicht nur ausgebuht sondern regelrecht ausgelacht.

Der Volks- respektive Aktionärszorn macht nicht Halt beim Erben der Firmengründer, trotz allem Respekt vor seinen Eltern. Spätestens wenn der Ex-Verwaltungsratspräsident später sagen wird, Burkards Eltern hätten sich geschämt für das Verhalten ihres Sohnes, dann wird glasklar, Burkards haben hier keinen Rückhalt mehr.

«Ja sicher»

«Das Vertrauen ist jäh zerbrochen», sagte Hälg vorher, offenbar auch das Vertrauen der Mitarbeiter: Besonders aus der Ecke, in der die Sika-Mitarbeiter sitzen wird laut gejohlt, als Burkard noch einmal versucht, die Stimmung zu wenden. Einen starken Partner habe man für die Sika gesucht, nichts anderes, «und die Saint Gobain ist der ideale Partner für die Sika, kein Raider, keine Heuschrecke. Die Sika wird eine Schweizer Firma bleiben.» «Ja sicher», ruft einer von hinten nach vorne. Das sieht die Versammlung offenbar anders.

Die Wortmeldungen sind zahlreich und lang, und die Vertreter der grösseren Aktionäre und Investoren geniessen ihre neue Rolle sichtlich: Endlich mal für die gute Sache einstehen, zwischen all den harten Business-Entscheiden. Kein Gefühl für ihre soziale Verantwortung hätten die Burkards, wirft ihnen ein Englischer Fondsmanager vor, nur das schnelle Geld im Sinn.

«Hälg total irrelevant»

Aber die Burkards geben so schnell nicht auf: Auch für sie gibt es Redner, eine Enteignung sei das, der Verwaltungsrat breche mit der Rechtsstaatlichkeit. Ein Kleinaktionär redet sich in Rage und wirft dem Verwaltungsrat und allen Rednern pauschal Enteignung und Propaganda vor. Er findet, Hälg persönlich sei für die Firma total irrelevant, woraufhin ihn die Menge so laut ausbuht, dass er gar nicht mehr zu Wort kommen kann. Und dann, nach vier Stunden Debatte, geht es endlich an die Wahlen. Der Rest ist Geschichte (zentral+ berichtete).

Oder zumindest ein Geschichtchen. Denn zurück im Bus sind die Aktionäre gut gelaunt und kauen die Debatte noch ein Mal durch. «Klar, die ziehen das weiter. Ich würde mich auch so wehren», sagt einer, «Hast du gehört? Sie haben der Vergütung für den Verwaltungsrat nicht zugestimmt», sagt ein anderer und freut sich heimlich über diese kleine Frechheit. Ob sie mit der Generalversammlung ihrer Firma zufrieden seien? Jaja, «das wird sicher noch ein Nachspiel geben», sagt ein Teilnehmer glücklich. «Aber die Juristen müssen ja auch was zu tun haben.»

 Sehen Sie sich im Folgenden unsere Bildergalerie von der Generalversammlung an:

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Ani_A
    Ani_A, 15.04.2015, 02:26 Uhr

    Als Aussenstehende und wirtschaftlich eher liberal eingestellte Person fällt es mir schwer, hier ein Urteil über Gut und Böse zu fällen. Auf der einen Seite sieht man, dass es von der rechtlichen Seite her wohl korrekt vor sich geht und die Familie Burkard mit ihren Anteilen machen kann, was sie will. Andererseits sagt einem der gesunde Menschenverstand, dass es das falsche Vorgehen ist. Denn dass sich die Eltern im Grab umdrehen würden, ist einem klar, sobald man den SRF Dok gesehen hat. Dass keine Arbeitsplätze gestrichen werden, davon lässt sich niemand mehr überzeugen. Und dass so eine prestigeträchtige Schweizer Firma in französische Hände gerät, versetzt einem ein Stich ins heimatliche Herz.

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