Rückblick auf die Legislatur

Das sind die Gewinner und Verlierer der letzten Jahre

In den nächsten Jahren wird sich der Streit verschärfen: Mehr Geld oder weniger Geld in der Staatskasse?

(Bild: Robert Müller)

Die Finanz- und Sparpolitik war in der auslaufenden Legislatur das beherrschende Thema im Kanton Luzern. Die Diskussionen waren erbittert, und die politischen Lager schenkten sich nichts. Fest steht: Die Wirtschaft gehört zu den politischen Gewinnern. Und Verlierer gibt es einige.

«Sie haben also kein Erbarmen, eiskalt wird gespart bei den Schwächsten – unter anderem bei den Behinderten und bei denjenigen, die sich tagein, tagaus um sie kümmern, und bei den untersten Einkommensschichten.» Das schrieb Urs Reutimann aus Luzern nach den kantonsrätlichen Spar- und Budgetdebatten Ende Jahr in einem Leserbrief in der «Neuen Luzerner Zeitung».

Fakten auf den Tisch

Wenn’s um die Steuer- und Sparpolitik geht, fliegen im Kanton Luzern die Fetzen. Die Positionen sind unverrückbar bezogen. FDP, SVP und CVP setzen auf Durchhalteparolen: Es brauche einen langen Atem, die Strategie der tiefen Steuern werde schon aufgehen. Die Linken und die Grünen halten dagegen, die Steuerstrategie sei gescheitert, jetzt müssten die rekordtiefen Unternehmenssteuern wieder nach oben korrigiert werden.

Doch auch im vierten Jahr nach der Einführung weiss niemand genau, ob die Tiefsteuerstrategie aufgeht und so viel Steuersubstrat in den Kanton lockt, damit der Staat ohne permanente Sparprogramme über die Runden kommt. Es gibt allenfalls Tendenzen, aber keine eindeutigen Zahlen. 

«Es ist klar, dass jede Massnahme Zeit braucht», sagt Olivier Dolder, Politikwissenschaftler beim Forschungs- und Beratungsunternehmen Interface Politikstudien in Luzern. «Aber in den nächsten vier Jahren muss der Finanzdirektor aufgrund von wissenschaftlich nachprüfbaren Fakten den Beweis antreten, dass die Steuerstrategie wirksam ist. Sonst bleibt sie reine Ideologie.»

Wirtschaftsvertreter als Sieger

Auch wenn offen ist, ob die Strategie aufgeht oder nicht, Gewinner und Verlierer gibt es schon heute, und sie sind im 120-köpfigen Kantonsrat leicht auszumachen. Zu den Gewinnern gehört der Gewerbeverband des Kantons Luzern.

«Wir sind zufrieden mit der Finanzpolitik der letzten Legislatur», sagt Gaudenz Zemp, Direktor des Gewerbeverbandes. «Es ist uns gelungen, in der Steuerststrategie auf Kurs zu bleiben, und wir werden auch in Zukunft gemeinsam mit Finanzdirektor Marcel Schwerzmann diesen Weg konsequent weiter verfolgen.» Das heisst: Neue Steuern kommen nicht in Frage, nur noch mit Sparen soll der Staatshaushalt ins Lot kommen.

«Wir sind zufrieden mit der Finanzpolitik der letzten Legislatur.» 

Gaudenz Zemp, Direktor Gewerbeverband 

Um dieses Ziel zu sichern, geht der Gewerbeverband, der mit einer 40-köpfigen Gewerbegruppe über die stärkste Lobby im Kantonsrat verfügt, auch unkonventionelle Wege. Bekannt ist, dass der Verband im Jahr 2013 CVP-Vertreter innerhalb der Gewerbegruppe ins Visier nahm, weil sie einer befristeten Steuererhöhung zugestimmt hatten. Der Verband verkündete, man werde bei den anstehenden Wahlen den Abweichlern die Unterstützung entziehen.

Gewerbeverband legt nach

Wie scharf um die Steuerststrategie gekämpft wird, zeigt die Fortsetzung dieser Geschichte. Gaudenz Zemp – er ist auch FDP-Kantonsratskandidat – will nun «seine» Kantonsräte von der Gewerbgruppe noch früher und noch stärker in die Pflicht nehmen, wie Ende Dezember die «Surseer Woche» berichtete.

Gaudenz Zemp bestätigt das gegenüber zentral+: «Seit Januar überprüfen wir bei jeder Session, ob die Kantonsräte der Gewerbegruppe bei den gewerberelevanten Geschäften gemäss unseren Empfehlungen abstimmen. Mitte Jahr ziehen wir Bilanz. Sollte jemand nicht grossmehrheitlich gemäss den Empfehlungen abgestimmt haben, so suchen wir das Gespräch mit ihm.»

Unterschiedliche Einschätzungen

Dieses Vorgehen ist umstritten. Politikwissenschaftler Olivier Dolder meint, es sei nicht sittenwidrig. «Lobbyismus gehört zu unserem politischen System», meint er, «und der Gewerbeverband handelt immerhin nicht klandestin, er macht sein Vorgehen transparent. Ob die Strategie erfolgsversprechend ist, ist eine andere Frage. Letztlich hängt es von den Parlamentariern ab, wie stark sie sich vom Gewerbeverband lenken lassen.»

Dem widerspricht der grüne Kantonsrat Hans Stutz, der wegen den Sanktionsandrohungen des Gewerbeverbandes 2014 einen Vorstoss lanciert hatte. «Der Gewerbeverband lobbyiert nicht durch Argumente, sondern er will Kantonsräte durch Druck auf seine Linie zwingen. Das gehört nicht zum politischen System.»

Arbeitnehmer haben «kein Brot»

Sicher ist: Alle Interessengruppen lobbyieren. Dazu gehört auch die Arbeitnehmerseite. Sie verfügt aber über ungleich kürzere Spiesse. Innerhalb der 25-köpfigen Gruppe von grünen und sozialdemokratischen Kantonsräten gibt es nur neun Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Sie können wenig ausrichten für Arbeitnehmer. «Von der bürgerlichen Politik am meisten betroffen sind mittlere und tiefe Einkommen, die ohnehin kaum von den Steuersenkungen profitieren konnten», sagt Marcel Budmiger, Geschäftsführer des Luzerner Gewerkschaftsbundes (LGB) und SP-Kantonsrat.

Als Beispiel nennt der Arbeitnehmervertreter die Verbilligung der Krankenkassenprämien. Hier wurden die Hürden erhöht, sodass viele Mittelstandsfamilien keine Zuschüsse mehr erhalten. Gesundheitsdirektor Guido Graf betont zwar, das sei keine Sparmassnahme, sondern eine Umschichtung zu Gunsten von einkommensschwachen Familien.

Schleichender Abbau

Das sei nur die halbe Wahrheit, sagt dagegen Marcel Budmiger vom LGB. «Die Prämienbelastung steigt Jahr für Jahr, aber das Budget für die Prämienverbilligung wächst nicht mit. Mit andern Worten: Wir haben hier einen schleichenden Abbau von Prämienzuschüssen.»

Budmiger sagt, auch bei der Neuregelung der Spitalfinanzierung reize der Kanton den Spielraum, den er noch bis 2017 habe, voll aus und überwälze Kosten auf die Krankenkassen. «Das ist eine unsoziale Umverteilung zu Lasten der Prämienzahler, die in die Millionen geht.»

Einzig bei der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten konnten die Arbeitnehmer, gemeinsam mit dem Detaillistenverband, einen Sieg erringen. Und in der Stadt Luzern wurden zwei linke Wohninitiativen angenommen. Insgesamt sieht die Bilanz aus Arbeitnehmersicht jedoch ernüchternd aus, und Budmiger erhofft sich nun mehr Volksvertreter, «die sich nicht nur für Unternehmen und Vermögende einsetzen».

Verlierer in der Schule

Realitätsverlust

Zwei bürgerliche Komitees setzen sich für eine rein bürgerliche Regierung ohne Vertretung der SP ein. Eines der Komitees formiert sich aus Wirtschaftskreisen, nämlich dem Gewerbeverband und der Industrie- und Handelskammer. Der «Willisauer Bote» schreibt dazu: «Der Totalanspruch der Wirtschaftsverbände grenzt an Arroganz angesichts der Tatsache, dass Regierung und Parlament in diesem Kanton seit Jahren einen stramm bürgerlichen Kurs fahren und alles andere als wirtschaftsfeindlich politisieren. Aber offenbar scheinen zumindest die Spitzen dieser Verbände den Bezug zur Realität verloren zu haben.»

Zu den Verlierern der auslaufenden Legislatur zählt der öffentliche Verkehr, wo Sparmassnahmen zu einer Ausdünnung von Angeboten führen, und auch die Lehrerinnen und Lehrer sind nicht zufrieden. Annamarie Bürkli, Präsidentin des Lehrerinnen- und Lehrerverbandes des Kantons Luzern (LLV) sagt, beim Lehrpersonal seien Altersentlastungen gekürzt und längst fällige Lohnverbesserungen eingefroren worden. «Die Bedingungen fürs Unterrichten sind, bei ständig steigenden Anforderungen, schlechter geworden.» 

Einen Sparbeitrag leisten müssen auch die Schülerinnen und Schüler. Annamarie Bürkli sagt: «In den Kindergärten, in den Mittelschulen und in den Berufsschulen wird die Schülerzahl pro Klasse angehoben. Ausserdem werden in der Integrativen Förderung und in der Integrierten Sonderschulung Lektionen gestrichen.» Konkret bedeute dies weniger Zuwendung für Schülerinnen und Schüler, und zwar starke wie schwache. Hinzu kämen höhere Gebühren etwa in den Kantonsschulen und in der Musikschule.

Der Lehrerverband zieht nun die Konsequenzen und wird, wie der Gewerbeverband, zur Lobby: Er empfiehlt den Mitgliedern, am Wahltag den verantwortlichen Sparpolitikern keine Listenstimmen zu geben. Wenn der LLV damit Erfolg hat, gehen der FDP, der SVP und wohl auch teils der CVP etliche Parteistimmen der Lehrerschaft verloren.

Behinderte haben kaum Lobby

Gut möglich, dass die bürgerlichen Parteien auch Stimmen aus den Behindertenverbänden verlieren. «Menschen mit Behinderung gehören sicher zu den Verlierern der laufenden Legislatur», sagt Luitgardis Sonderegger, Direktorin der Stiftung Rodtegg in Luzern. Im laufenden Jahr müssen die Behinderteninstitutionen mit 2,5 und nächstes Jahr mit 5 Prozent weniger Kantonsbeiträgen auskommen. «Zudem warten im Kanton jetzt schon 50 erwachsene Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen dringend auf einen Wohnplatz. Trotzdem beschloss der Kantonsrat die Sistierung des Platzausbaues bis 2017.»

«Die Behinderten», sagt der Politikwissenschaftler Olivier Dolder vom Forschungs- und Beratungsunternehmen Interface Politikstudien, «haben ganz offensichtlich kaum eine Lobby. Sie konnten ihre Anliegen nicht durchbringen.»

Dolder wirft eine grundsätzliche Frage auf. «In den Debatten um die Spar- und Steuerpolitik geht es ums Umverteilen», sagt er, «es geht um die Frage, wie viel Vermögende zahlen sollen, damit Schwächere mithalten können. Das ist eine politische Frage, die in den nächsten vier Jahren von der Politik und von der Bevölkerung beantwortet werden muss.» 

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