Luzern: Absturz ohne Netz im Circus Knie

Das Risiko schwingt unter dem Zirkuszelt immer mit

Valeriy Sychev und Malvina Abakarova mit dem Programm Desire of Flight während der Big Apple Zirkusproduktion im Jahr 2012.

(Bild: Mo Sherif / circopedia.org)

Am Montagabend stürzte eine russische Luftakrobatin des Circus Knie schwer und brach sich beide Handgelenke. Ihre Hochseilaktübung musste die Artistin ohne Sicherheitsnetz ausführen. Wie ist die Stimmung vor Ort und wie geht es nach dem schweren Unfall weiter?

Kurz vor Schluss der Luftakrobatiknummer «Desire of Flight» geschah es: Ein Griff missglückte während der Vorstellung, danach fiel die russische Artistin Malvina Abakarova (siehe Box) rund vier Meter in die Tiefe (zentralplus berichtete). Abakarova hat sich beim Sturz beide Handgelenke gebrochen und einen Ellbogen ausgerenkt – es geschah nur drei Minuten vor dem Show-Ende.

Der Zirkusalltag geht diesen Dienstag weiter, als zentralplus vorbeischaute. Nur der regenschwere, dunkle Wolkenhimmel über der Allmend könnte als Symbol für den tragischen Unfall von Montagabend hinhalten.

Dunkle Wolken über den Zirkuszelt auf der Allmend.

Dunkle Wolken über dem Zirkuszelt auf der Allmend.

(Bild: giw)

Mitarbeiter äussern sich zurückhaltend

Ansonsten wird fleissig gearbeitet, Handwerker und Techniker bringen das Inventar auf Vordermann, einzelne Mitarbeiter schreiten gemächlich durch die Wohnwagenstadt. Ein Knie-Handwerker winkt ab, als er auf den Sturz der Artistin angesprochen wird: «Hier sind Sie wohl falsch. Sprechen Sie mit der Medienverantwortlichen.» Ein paar Schritte weiter wird ein Fotoshooting durchgeführt mit einem Lastwagenfahrer.

Zur Person Malvina Abakarova

Die 48-jährige Malvina Abakarova ist eine Artistin aus Russland. Sie bildet laut der Zirkus-Enzyklopädie Circopedia die dritte Generation einer Zirkusfamilie, welche bekannt ist für ihre gewagten Hochseilaktdarbietungen. Die Abakarov-Truppe trat überall in Europa, in China, aber auch in den Vereinigten Staaten auf. Unter anderem mit dem Zirkus Moskau. 2014 wurden sie und ihr Partner Valeriy Sychev am internationalen Zirkusfestival von Monte Carlo mit dem begehrten Goldenen Clown ausgezeichnet.

Hin und wieder sind ein paar bedrückte Gesichter auszumachen, es ist auch Gelächter zu vernehmen. Zwei Mitarbeiter des technischen Dienstes diskutieren auf dem Weg zu ihrem Arbeitswagen, auch sie wollen sich nicht zum Vorfall äussern, weisen freundlich aber bestimmt den Weg zur Administration.

Zahlreiche Mitarbeiter kommen aus dem Ausland und sprechen weder Deutsch noch Englisch. Das ist keine Überraschung, bereits die 56 diesjährigen Artisten verteilen sich auf elf Nationen, ganz zu schweigen von den vielen anderen Mitarbeitern des Familienunternehmens, welche die Show im Hintergrund ermöglichen.

Ersatz wird geprüft

Notgedrungen klopft man an die Tür zur Pressestelle und wird sogleich ermahnt, nicht einfach durch das Gelände zu stöbern. Die Familie Knie steht derzeit aufgrund von dringlichen Sitzungen für ein Interview nicht zur Verfügung. Zirkussprecherin Sara Hildebrand ist gerade am Telefon und beantwortet Fragen zum Unfall. Nach ein paar Minuten hat sie Zeit für zentralplus: «Das Risiko gehört leider zum beruflichen Alltag der Artisten. Sie sind sich dessen bewusst.»

Zur Stimmung unter den Zirkusartisten äussert sich Sprecherin Hildebrand zurückhaltend: «Der Unfall ist tragisch, jeder hier ist betroffen», so Sprecherin Hildebrand. «Derzeit ist noch unklar, ob wir einen Ersatz für das Duo engagieren.» Es sei jedoch noch zu früh, über mögliche Artisten zu sprechen.

Während Hildebrand unsere Fragen beantwortet, wird sie unterbrochen von ein paar Arbeitskollegen, die vor dem Medienwagen warten. In Englisch unterhält sie sich über organisatorische Probleme. «Der Zirkusalltag geht halt trotz Unfall weiter», so die 30-Jährige.

Szenen aus der Nummer «Desire of Flight» aus dem Jahr 2011.
 

«Absolute Profis»

Beim russischen Duo handle es sich um absolute Profis, bereits 20 Jahre würden sie zusammen arbeiten, elf davon mit dem derzeitigen Programm: «Doch Fehler passieren auch bei den Besten.» Hätte man mit Sicherheitsvorkehrungen nicht vorbeugen können? «Bei der Nummer ist eine Sicherung technisch nicht möglich. Ein Sicherheitsnetz komme nicht infrage, weil die Künstler während der Nummer immer wieder den Boden berührten: «Niemand, der derartige Kunststücke vorführt, ist gesichert.»

Zu einem ähnlich schweren Vorfall sei es seit Jahren nicht mehr gekommen im Circus Knie. Nur eine kleine Verstauchung habe sich eine Artistin während der Proben zugezogen, bestätigt Hildebrand, ansonsten verlief die Tour bisher erfolgreich. Am Dienstagabend geht es weiter, die Vorführung findet leicht gekürzt wie geplant um 20 Uhr statt. Der Circus Knie wird noch bis am 6. August auf der Luzerner Allmend auftreten.

Auf dem Weg zum Gelände treffen wir dann doch noch auf jemanden, der sich zum Unfall äussert. Eine junge Frau mit Kinderwagen berichtet in gebrochenem Englisch mit osteuropäischem Akzent über den Sturz: «Ich habe gesehen, wie Malvina Abakarova gefallen ist. Es war furchtbar.» Sie ist seit zwölf Jahren mit dem Circus Knie unterwegs, ihr Vater arbeite als Elektroniker für den Zirkus. Auf die Frage, wie denn die Stimmung unter den Zirkusleuten ist, sagt sie schulterzuckend: «Es ist ein gefährlicher Beruf.» Nachdenklich läuft sie weiter, während ein beständiger Nieselregen die Frau auf ihrem Spaziergang auf der Allmend begleitet.

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