Keine Sozialhilfe mehr für Weggewiesene

«Das macht die Integration sicher nicht einfacher»

Mit der Kürzung der Sozialhilfe müssen die vorläufig Aufgenommenen monatlich mit massiv weniger Geld rechnen. (Bild: cha)

Seit 2008 erhalten vorläufig aufgenommene Ausländer im Kanton Luzern einen Sozialhilfebeitrag. Im kantonalen Sparpaket ist vorgesehen, diese Leistungen zu streichen. Es ist ein «existenzbedrohender Entscheid», der die Integration der Betroffenen erschwert.

Während vieler Jahren wurden Personen mit dem Ausweis F nach den Asylansätzen unterstützt. Diese sind nur knapp über der Nothilfe angesetzt. Ihre beruflichen Ressourcen wurden nicht genutzt und es wurde von ihnen politisch auch keine Integrationsleistungen erwartet. Wenn vorläufig Aufgenommene (VAP) einer Arbeit nachgingen, dann oft in lohnniedrigen, selten ihren Fähigkeiten entsprechenden Berufssparten.

95 Prozent bleiben hier

Eine sowohl für die Gesellschaft und Wirtschaft schwierige, als auch für die vorläufig Aufgenommenen unbefriedigende Situation. Auch aufgrund der Tatsache, dass die meisten VAP in der Schweiz verbleiben – es sind rund 95 Prozent – verschärfte der Bund 2006 das Asylgesetz mit der Revision. Somit wurde den Kantonen der Auftrag erteilt, nebst den anerkannten Flüchtlingen neu auch die VAP gezielt und aktiv zu integrieren.

Im Kanton Luzern wird dieser Auftrag seit 2008 umgesetzt. Seit der damaligen Asylgesetzrevision werden VAP zudem nach den SKOS-Richtlinien (reguläre Sozialhilfe für die ansässige Bevölkerung und anerkannte Flüchtlinge) unterstützt. Ein freiwilliger Schritt, den nebst Luzern einzig auch die Kantone Basel und Zürich gemacht haben. Diese Bestimmungen zielen auf ein soziales und nicht absolutes Existenzminimum ab. Mit der Sozialhilfe soll auch sichergestellt werden, dass eine Integration in die Gesellschaft erhalten bleibt oder wieder ermöglicht wird.

«Einer vierköpfigen Familie fehlen so 800 Franken Ende Monat.»

Mitglied Asylnetz

Noch rund halb so viel Geld

Damit ist bald wieder Schluss. Denn in der Revision des Sozialhilfegesetzes (SHG) ist vorgesehen, dass VAP ab dem 1. März 2015 wieder in der Höhe des Asylansatzes unterstützt werden. Damit will der Kanton den Finanzhaushalt um rund 800’000 Franken pro Jahr aufbessern, wie dieser im Projekt «Leistungen und Strukturen II» festhält. Für die betroffenen Personen ist es ein existenzbedrohender Entscheid, wie ein Mitglied des kantonalen Asylnetzes, das namentlich nicht genannt werden möchte, zu bedenken gibt. «Bei einer vierköpfigen Familie kann dies eine Kürzung von rund 800 Franken im Monat ausmachen.» Es sei ein sehr stossender Entscheid – «hauptsächlich aufgrund der Tatsache, weil beinahe alle VAP in der Schweiz bleiben». Wie viel Geld durch diesen Entscheid den Betroffenen schliesslich fehlt, zeigt folgende Tabelle auf:

Personen/HaushaltSKOSASYLDifferenz
1 (jünger als 25 Jahre)986.-427.-559.-
1 (älter als 25 Jahre)754.-427.-327.-
21509.-854.-655.-
31834.-1098.-736.-
42110.-1292.-818.-
52386.-1495.-891.-
62662.-1704.-958.-
72938.-1925.-1013.-

(Quelle: Caritas)

Je nach Situation der Betroffenen bedeutet dies, dass die finanzielle Unterstützung um knapp 60 Prozent reduziert wird. «Durch diese Kürzung wird den Betroffenen die soziale Teilhabe erschwert», betont das Asylnetz-Mitglied. Derselben Meinung ist die FDP-Kantonsrätin Romy Odoni, Präsidentin der Kommission Gesundheit, Arbeit und soziale Sicherheit (GASK). «Integration bedeutet auch, dass die – in diesem Fall die vorläufig – Aufgenommenen am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen können.» Wenn diesen nun die Sozialhilfe gekürzt wird, könnten sie sich die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einfach nicht mehr leisten.

«Diese Rückstufung hat in erster Linie mit dem Finanzhaushalt des Kantons zu tun», begründet die GASK-Präsidentin diesen Schritt. «Wir wollen nur noch das zahlen, was wir auch wirklich müssen», so Odoni, «und weil die Finanzierung der Sozialhilfe durch den Kanton ein freiwilliger Schritt gewesen ist», könne diese gestrichen werden.

Ausländerstatus F

Vorläufig Aufgenommene (Ausweis F) sind Personen, die aus der Schweiz weggewiesen wurden, sich der Vollzug der Wegweisung jedoch als unzulässig, unzumutbar oder unmöglich erwiesen hat. Beispielsweise aufgrund eines Verstosses gegen das Völkerrecht, der konkreten Gefährdung eines Ausländers oder sei es aus vollzugstechnischen Gründen. Die vorläufige Aufnahme ist demnach eine Ersatzmassnahme. Diese kann für zwölf Monate verfügt werden und vom Aufenthaltskanton um ein weiteres Jahr verlängert werden. VAP dürfen ausserdem in der Schweiz erwerbstätig sein.

Integrationsmassnahmen nicht betroffen

Die wichtigste Luzerner Organisation bezüglich Asylsuchenden und Integration möchte sich zurzeit nicht spezifisch zu der SHG-Revision äussern. «Zu diesem Punkt ist im Kantonsrat noch eine Anfrage hängig», erklärt Caritas-Sprecher Urs Odermatt auf Anfrage. Odermatt betont jedoch, dass mit der SHG-Revision zwar die Sozialhilfe für VAP gestrichen, jedoch nicht die Integrationsmassnahmen aufgegeben würden.

Gemeinden müssten in die Tasche greifen

Die Kürzung der Sozialhilfe hat kantonsweite Konsequenzen. Die Luzerner Gemeinden würden so stärker in die Pflicht genommen. Denn heute ersetzt der Kanton der zuständigen Gemeinde die Kosten der wirtschaftlichen Sozialhilfe für die Betroffenen, die sich noch nicht zehn Jahre in der Schweiz aufhalten. Wechselt ab dem 1. März die Zuständigkeit vom Kanton auf die Gemeinden, müssen diese neuerdings die Kosten tragen.

Ein Mehraufwand, der nicht im Interesse der Luzerner Gemeinden liegt. «Wir möchten das momentane System nicht nur beibehalten, sondern gemäss AKV-Prinzip (Aufgabe, Kompetenz, Verantwortung) vollständig dem Kanton zuteilen», erklärt Oskar Mathis, der im Vorstand des Verbands Luzerner Gemeinden sitzt.

«Hier hat uns Regierungsrat Guido Graf eine bessere Lösung versprochen»

Oskar Mathis, Verband Luzerner Gemeinden

Der Status «vorläufig Aufgenommene» sorgte bereits in der Vergangenheit bei den Gemeinden für Unmut und Verunsicherung. Diverse Asylsuchende bekamen Ende letzten Jahres kurzerhand den Ausweis F zugeteilt, just, als die Gemeinden mit Hilfe des Verteilschlüssels (zentral+ berichtete) vom Kanton in die Pflicht genommen wurden. «Hier hat uns der Regierungsrat Guido Graf eine bessere Lösung versprochen», betont Mathis. Diese würde zurzeit auf Kantonsebene ausgearbeitet. «Unsere Vorstellung ist, dass man mindestens ein Jahr vom einer Person zugeteilten Status ausgehen kann.»

Für den Kanton Luzern bedeutet die Kürzung eine finanzielle Entlastung von 800’000 Franken im Jahr – für die Betroffenen ein Entscheid, der deren Existenz bedroht.

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Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) definiert Richtlinien, die als Empfehlungen zuhanden der Sozialhilfeorgane des Bundes, der Kantone, der Gemeinden sowie der Organisationen der privaten Sozialhilfe dienen. Die Richtlinien der SKOS haben im Laufe der Jahre in Praxis und Rechtsprechung ständig an Bedeutung gewonnen. Die kompletten Richtlinien finden Sie hier.
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