Wie eine Malerin einem Entlebucher Bergbauer hilft

«Das ist viel sinnvoller, als irgendeine Wand zu streichen»

Landwirt Martin Reber und Sabrina Ogi sind bereits nach wenigen Tagen ein eingespieltes Team im Stall.

(Bild: Fabian Duss)

Im Berggebiet Landwirtschaft zu betreiben, ist intensiv und wenig lukrativ. Wo Bergbauern an ihre Grenzen stossen, vermittelt die Caritas helfende Hände. Freiwillige packen zu, so gut es geht – und sind selbst froh, dem eigenen Arbeitsalltag zu entfliehen. Zum Beispiel die Malerin Sabrina Ogi beim Entlebucher Bauern Martin Reber.

Schaufel für Schaufel kippt Sabrina Ogi Heu in die Gehege. Die Mutterkühe und deren Kälber zu füttern, sei ihre liebste Arbeit, sagt sie, doch auch misten tue sie nicht ungern. Wenn die 28-Jährige im Stall zu Werke geht, merkt man ihr kaum an, dass sie keinerlei landwirtschaftliche Erfahrung hat. Das liegt nicht nur an ihrer Arbeitskluft, sondern vor allem an ihrer zupackenden Art. Körperliche Arbeit ist sich Ogi nämlich gewohnt, denn ihre Brötchen verdient sie als Malerin auf Berner Baustellen.

Die Thunerin arbeitet für eine Woche im Entlebuch. In der Hinterärbsegg, auf 950 m ü. M. unterhalb des Brambodens gelegen, hilft sie Landwirt Martin Reber aus. Dieser produziert im hügeligen Gebiet zwischen Napf, Schüpfheim und Romoos sogenanntes Natura-Beef: Fleisch von zehn Monate alten Kälbern seiner 13 Mutterkühe. Sabrina Ogi arbeitet freiwillig bei Reber. Sie leistet einen Bergeinsatz im Rahmen des gleichnamigen Caritas-Programms (siehe Box am Textende).

Lösung für ein Dilemma

Vergangenen Sommer nahm Reber zum ersten Mal die Hilfe von Freiwilligen in Anspruch. Der fröhliche, doch etwas wortkarge Landwirt hat nämlich einen Spagat zu meistern: Zusätzlich zu Muttertierhaltung und Kälbermast in der Hinterärbsegg betreibt er im 25 Fahrminuten entfernten Escholzmatt auf einem gepachteten Hof Milchwirtschaft.

950 Meter hoch gelegen: Der Bergbauernhof Hinterärbsegg von Martin Reber liegt an einem steilen Hang unterhalb des Brambodens im Entlebuch.

950 Meter hoch gelegen: Der Bergbauernhof Hinterärbsegg von Martin Reber liegt an einem steilen Hang unterhalb des Brambodens im Entlebuch.

(Bild: Fabian Duss)

Damit die Rechnung aufgeht, arbeitet seine Frau auswärts. Einen der beiden Betriebe aufzugeben, würde bedeuten, dass sich auch Martin Reber andernorts verdingen müsste, denn für sich alleine sind die Betriebe zu klein. Der 32-Jährige hofft, in Zukunft näher gelegenes Pachtland zu finden.

Vieles muss man manuell verrichten

Im Kanton Luzern liegen rund 34 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe in der Bergzone, schweizweit sind es 41 Prozent. Die Bergbauern haben es nicht leicht, sie haben im Vergleich zu Landwirten der Tal- oder Hügelzone das niedrigste Einkommen. Die Hinterärbsegg ist einer von 178 Luzerner Betrieben in der Bergzone III. Vor 20 Jahren wurden in dieser Zone noch 221 Betriebe bewirtschaftet.

«Sie haben einen guten Willen und machen mit.»

Martin Reber, Bergbauer

Mithilfe seines Vaters gelang Martin Reber der Spagat lange Zeit gut. Doch der 74-Jährige kann ihm inzwischen nur noch teilweise unter die Arme greifen. Wenn eine Kuh kalbere, Heuwetter sei oder sonst «öppis Ungrads» geschehe, sei seine Hilfe aber schon noch «gäbig», sagt Reber. Nur eben: Im Berggebiet kann vieles nur manuell verrichtet werden – und da fehlen dem jungen Bauern halt oft zwei Hände.

Hochmotivierte Laien

Zunächst sei er schon etwas skeptisch und nervös gewesen, was für Leute ihm die Caritas schicken würde, lacht Martin Reber. Nach über einem Dutzend Freiwilliger findet er jedoch nur Worte des Lobes: «Sie haben einen guten Willen und machen mit», sagt der gebürtige Emmentaler. «Verleidet» sei es jedenfalls noch keinem. Den ganzen Sommer über ist Reber ausgebucht.

Die Freiwilligen kommen meist für eine bis drei Wochen. Sie säubern die steilen Weiden, fräsen und stapeln Holz, stellen Zäune auf, misten und heuen. Einmal habe er einen 18-jährigen Maurerlehrling für zwei Wochen bei sich gehabt, der ihn vor lauter Motivation jeweils fast vom Frühstück weg in den Stall gezerrt habe, erzählt Reber lachend. Letzthin sei er sogar spontan vorbeigekommen, um beim Heuen zu helfen.

Sabrina Ogi hilft für eine Woche auf dem Bergbauernhof, doch sie überlegt sich, beruflich in die Landwirtschaft einzusteigen.

Sabrina Ogi hilft für eine Woche auf dem Bergbauernhof, doch sie überlegt sich, beruflich in die Landwirtschaft einzusteigen.

(Bild: Fabian Duss)

Die Mehrheit von Rebers Freiwilligen waren Deutsche. Da müsse er sich halt etwas Mühe geben beim Reden, so der Bergbauer. Sonst heisse es von Montag bis Mittwoch dauernd: «Wie bitte?» Überhaupt seien Toleranz und Offenheit wichtig, betont er. Wäre er pingelig, würde es schwierig. «Vielleicht verrichten nicht alle eine Arbeit ganz gleich, aber letztlich wird sie immer erledigt», sagt Martin Reber.

Auszeit vom stressigen Berufsalltag

Doch was reizt eigentlich die Freiwilligen, während ihren Ferien eine oder mehrere Wochen lang unentgeltlich im Stall, auf den Weiden und im Wald zu schuften? Sabrina Ogi nennt mehrere Gründe für ihr Engagement: Zum einen arbeitet sie gerne mit Tieren. Als Städterin sei sie es sich zudem gewohnt, dass im Supermarkt um die Ecke stets alles verfügbar sei. Nun wolle sie erfahren, wie viel Arbeit hinter der Lebensmittelproduktion stecke. Dann wird sie deutlich: Sie habe «langsam die Schnauze voll vom Bau». Malen gefalle ihr zwar nach wie vor, aber es werde heute nur noch «gejuflet». «Gäng hesch dä huere Druck», sagt die junge Thunerin.

«Ich möchte einfach gäbig über die Runden kommen, jeden Tag gerne aufstehen.»

Sabrina Ogi, freiwillige Helferin

Ogi holt aus: Sie habe einst gelernt, sehr sauber zu arbeiten, doch die Qualität falle dem ständigen Gehetze heutzutage zusehends zum Opfer. Ihrem Kleinbetrieb macht sie keine Vorwürfe, doch der Wirtschaft an sich: Jeder drücke die Offerten, um an Aufträge zu kommen. Für sie heisse es dann folglich: «Wenn du bis dann nicht fertig bist, bezahlen wir drauf.»

Mittlerweile habe sie einen Mittelweg gefunden, um gleichzeitig sauber und schnell zu arbeiten, erzählt Sabrina Ogi, fügt aber an, dass es ihr einfach keinen Spass mache. «Ich kann oft nicht hinter dem stehen, was ich tue. Das macht für mich keinen Sinn mehr.»

Sabrina Ogi ist Malerin. Ihr Metier mag sie nach wie vor, doch «gäng hesch dä huere Druck», kritisiert sie.

Sabrina Ogi ist Malerin. Ihr Metier mag sie nach wie vor, doch «gäng hesch dä huere Druck», kritisiert sie.

(Bild: Fabian Duss)

Die Suche nach sinnvoller Tätigkeit

Die tierliebende Thunerin, die sich in der Freizeit gerne in der Natur aufhält und massiert, weiss mittlerweile, was ihr wichtig ist: «Ich möchte einfach gäbig über die Runden kommen, jeden Tag gerne aufstehen, abends glücklich nach Hause kommen und dabei stolz darauf sein, etwas Gutes geleistet zu haben.» Schon nach fünf Tagen auf dem Bergbauernhof habe sie gemerkt, dass diese Arbeit für sie einfach mehr Sinn mache. Wenn sie am Abend müde ins Bett fällt, blickt sie zufrieden auf einen guten Tag zurück. Was sie auf dem Hof tue, sei viel sinnvoller, als irgendeine Wand zu streichen. Nun überlegt sie sich einen beruflichen Umstieg noch intensiver.

Während Martin Reber sich nach dem Kaffee zurück in den Stall verabschiedet, zieht Sabrina Ogi ein letztes Mal an ihrer Zigarette. Bald ist ihr Einsatz vorüber und die Zeit drängt: Bei einem Bierchen mit dem Landwirt hatte sie befunden, dass die Jalousien einen neuen Anstrich benötigen. «Ich habe mich etwas verschätzt, wie viele es sind», lacht sie und streift sich die Atemschutzmaske über.

Begehrte Bergeinsätze

Die Caritas unterstützt seit rund 40 Jahren Bergbauern, im Raum Zentralschweiz/Tessin sind jährlich 50 bis 60 Freiwillige im Einsatz. Im Kanton Luzern nehmen diesen Sommer neben Martin Gerber je ein Landwirt in Flühli und Romoos Unterstützung in Anspruch. Sie können dies während maximal 16 Wochen im Jahr tun. Die Freiwilligen arbeiten unentgeltlich, für Kost und Logis sorgen die Bergbauernfamilien.

Gemäss Franziska Bundi von Caritas-Bergeinsatz fragen schweizweit jährlich rund 120 Betriebe um Freiwillige an. Die Bergeinsätze sind bei Arbeitswilligen beliebt. Das zeigen die vielen Anmeldungen wie auch die Zahl der Wiederholungstäter: Rund ein Drittel der Freiwilligen leistet mehr als einen Bergeinsatz. Dass Einsätze nicht angetreten oder abgebrochen werden, komme vor, sagt Bundi, sei aber nicht häufig.

Knapp 40 Prozent der Freiwilligen kommen aus Deutschland. Das Altersspektrum reicht von Studenten bis zu Rentnern, wobei bei Ersteren der Frauen- und bei Letzteren der Männeranteil überwiegt. Auch der berufliche Hintergrund der Helfer ist querbeet. «Oft haben wir Leute, die aus ihrem Büroalltag ausbrechen und mal etwas anderes erleben möchten», sagt Franziska Bundi. Selbst ein Bankdirektor habe schon mal einen Einsatz geleistet.

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