Aeschi findet: Eritrea ist nicht die Hölle

«Das ist Augenwischerei»

Schönes Wetter, gute Miene, hier ist doch alles okay: Thomas Aeschi in Eritrea. Die Schlagzeile in 20 Minuten. (Bild: zvg)

Der Zuger Nationalrat Thomas Aeschi ist von seiner Eritrea-Reise zurück und hat seine Erkenntnisse schon weit verbreitet: In Medien schreibt Aeschi seinen Reisebericht oder wird ohne Gegenargumente interviewt. Sein Fazit: Alles Wirtschaftsflüchtlinge. Was noch fehlt? Widerspruch!

Die Eritrea-Reise ist zu Ende, und für den Zuger Nationalrat Thomas Aeschi ist klar: So schlimm ist es da gar nicht. Das berichtet Aeschi in seinem «Reisetagebuch» im «Blick»  unwidersprochen, und auch im grossen Interview mit der «Neue Luzerner Zeitung» (NLZ) gibt’s wenig Widerrede. Deshalb haken wir bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International nach: Ist wirklich alles so harmlos in Eritrea?

Thomas Aeschi ist gleichzeitig mit einer Gruppe von Politikern für einige Tage durch Eritrea gereist. Sein Fazit: Alles halb so wild. «Zu jeder Tages- und Nachtzeit konnten wir uns frei bewegen, Fotos schiessen und Gespräche mit Eritreerinnen und Eritreern über politische und andere Fragen führen», schreibt der Nationalrat im Blick. Von Überwachungsstaat keine Spur, schreibt Aeschi. «Nur ein einziges Mal in der gesamten Woche wurden wir kontrolliert.»

Einheimische: Durchs Band positiv

Auch die Gespräche mit Einheimischen hätten die Regierung eher in ein positives Licht gerückt: «Unsere Gesprächspartner attestieren der Regierung unisono einen starken Wandel während der letzten zwei Jahre. Die Löhne seien gestiegen, sie investiere mehr in Bildung, den hohen Mieten versuche sie entgegenzuwirken. Schritt für Schritt öffne sich das Land auch mehr nach aussen und trete in den Dialog mit anderen Ländern und Organisationen», schreibt Aeschi weiter.

«Es ist Augenwischerei, das zu behaupten.»

Alexandra Karle, Amnesty International Schweiz

Im Interview mit der NLZ analysiert Aeschi knallhart: Es handle sich nur um Wirtschaftsflüchtlinge. «Klar. Die jungen Menschen streben nach einer Wohlstandsmaximierung und haben daheim keine Perspektiven.» Menschenrechtsverletzungen gebe es zwar: «Das steht ausser Frage. Von einem Nordkorea kann aber keine Rede sein», sagt Aeschi gegenüber der NLZ. «Wir konnten offen mit den Menschen reden. Einzig bei Fragen zum Wehrdienst respektive dem National Service weichen sie aus, das ist tabu. Für systematische Menschenrechtsverletzungen haben wir zumindest keine Anzeichen erhalten.»

Alles in Butter also? Keinesfalls, sagt Alexandra Karle von Amnesty International Schweiz. «Es ist Augenwischerei, das zu behaupten.» Es spreche zwar nichts gegen so eine Reise, wie der Zuger Parlamentarier sie unternommen hat. «Kontakt ist immer gut, gegen Austausch ist nichts einzuwenden. Nur muss man nicht glauben, man würde wirklich etwas sehen, was man nicht sehen soll.» Und auch nichts hören, was man nicht hören soll: «Herr Aeschi hat es ja selber gesagt: Die Leute werden bei kritischen Fragen ganz schnell stumm. Denn sonst landen sie im Gefängnis. Meistens ohne Anklage, viele werden gefoltert.»

Folterungen, Gefängnisse, Menschenrechtsverletzungen

Das klingt weniger versichernd als Aeschis Reisebericht. Was stimmt nun? «Wir sind natürlich auch etwas neidisch geworden, als wir von Aeschis Reise gehört haben. Denn wir würden, zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen wie etwa der UNO oder dem Internationalen Roten Kreuz, auch gerne ins Land. Das lässt die eritreische Regierung allerdings nicht zu», sagt Karle. «Und das spricht ja auch dafür, dass ein Land etwas zu verbergen hat.»

Deshalb stammten alle Informationen, die Amnesty International vorliegen, aus Berichten von Geflüchteten und Aktivisten im In- und näheren Ausland von Eritrea. «Sie alle berichten von Folterungen, von Gefängnissen und Menschenrechtsverletzungen. Wir haben auch Mitarbeiter, die die Gefängniscontainer in der Wüste selber gesehen haben, vor Jahren, als das noch möglich war.»

«SVP und eritreische Regierung haben gemeinsame Interessen.»

Alexandra Karle, Amnesty International

Thomas Aeschi sagt im Interview mit der NLZ, man habe ihn die Gefängnis-Anstalten nicht betreten lassen mit dem Hinweis, in der Schweiz wäre das auch nicht möglich. Karle: «Aeschi sagt, dass das quasi ad hoc nicht möglich war, aber die Reise war ja nicht so spontan. Die Parlamentarier hätten darauf bestehen müssen, diese Anstalten besichtigen zu dürfen. Etwa das Gefängnis, in dem die kritischen Journalisten eingesperrt sind, direkt gegenüber dem Präsidentenpalast.»

Dass Aeschi nun nach seiner Reise dafür werbe, Gespräche mit Eritrea aufzunehmen, sei politisches Kalkül. «Die SVP und die eritreische Regierung haben gemeinsame Interessen: Die SVP will ein Rückschaffungsabkommen mit Eritrea, und Eritrea will Entwicklungshilfe.»

Dabei auf der Strecke bleibt die Problematik der Menschenrechtsverletzungen. «Dass Aeschi und andere Parlamentarier sie so ausblenden, ist eine Augenwischerei, das Bild das sie nun nach ihrem Besuch verbreiten, ist eine Halbwahrheit. Dabei tragen diese Parlamentarier grosse Verantwortung für den gesellschaftlichen Diskurs.»

Wer hat Recht – gibt es die Menschenrechtsverletzungen oder gibt es sie nicht? Karle hat eine klare Haltung: «Wenn all diese Informationen, die wir und alle grossen Menschenrechtsorganisationen inklusive der UNO gesammelt haben, gelogen sein sollen, dann will ich wirklich gute Beweise dafür sehen.» Die kurze Reise Aeschis zählt sie offensichtlich nicht dazu.

 

Wir haben Thomas Aeschi um eine Stellungnahme zu diesen Vorwürfen gebeten – er wollte dazu keinen Kommentar abgeben.

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