Rothenburg: Pistor feiert – und geht neue Wege

Das «Bäcker-Imperium» muss umsatteln

Im traditionellen Geschäft des Bäckerei-Zulieferers Pistors ist die Wachstumsgrenze erreicht. Künftig werden vermehrt andere Produkte die Lagerhallen in Rothenburg verlassen.

(Bild: Knud Dobberke)

Der riesige Rothenburger Bäckereien-Zulieferer Pistor feiert seine 100-jährige Firmengeschichte. Das traditionelle Geschäft verliert allerdings zusehends an Bedeutung. Deshalb sind jetzt neue Ideen gefragt.

Während eine Bäckerei noch vor wenigen Jahren auch gleich der Dorfladen war, sind etwa Tierfutter oder Schuhwichse mittlerweile fast gänzlich aus dem Sortiment verschwunden. Alle Veränderungen in der Branche mitgemacht hat das Unternehmen Pistor mit Sitz in Rothenburg. Seit 100 Jahren beliefert dieses Bäckereien in der ganzen Schweiz mit verschiedenen Rohstoffen und Produkten.

Geboren wurde die Genossenschaft als Reaktion auf Hefe- und Mehlkartelle, die den Bäckereien das Leben schwer machten, und als Versuch, etwas gegen die hohen Rohstoffpreise im Ersten Weltkrieg zu unternehmen. Sie wurde 1916 von Bäckern als Selbsthilfeorganisation in Zug gegründet und ist noch immer eine Genossenschaft. Was aus Not entstand, ist über die Jahre zu einem grossen Unternehmen gewachsen: «95 Prozent der Schweizer Bäckereien sind bei uns Genossenschafter», so Andrea Fischer von der Unternehmenskommunikation.

Der Hauptsitz in Rothenburg.

Der Hauptsitz in Rothenburg.

(Bild: zvg)

Wachstumsgrenze erreicht

Nur: Wenn alle Bäckereien den gleichen Lieferanten haben, besteht dann nicht die Gefahr, dass bei allen dieselben Waren im Regal stehen? «Das glaube ich nicht», sagt Fischer. «Denn wir haben rund 14’000 Produkte im Sortiment. Da sollte Individualität schon möglich sein. Ausserdem ist das ja auch im Interesse der Bäckereien, denn der Kunde erwartet von ihnen hohe Qualität. Viele unserer Produkte sind ja Rohstoffe, aus denen in den Bäckereien die eigenen Produkte hergestellt werden», betont die Kommunikationsfachfrau.

«Kleine Bäckereien haben oft ein Nachfolgeproblem und werden geschlossen, wenn der Inhaber aufhört.»

Andrea Fischer, Unternehmenskommunikation Pistor AG

Daneben gibt es allerdings ein anderes Problem. Da Pistor bereits 95 Prozent der Bäckereien vereint, ist ein Wachstum in diesem Sektor praktisch unmöglich. Gar das Gegenteil ist der Fall: Jedes Jahr verschwinden Bäckereien: «Das liegt unter anderem auch daran, dass kleine Bäckereien oft ein Nachfolgeproblem haben und geschlossen werden, wenn der Inhaber aufhört», bedauert Fischer.

Andrea Fischer, Kommunikationsverantwortliche der Pistor AG.

Andrea Fischer, Kommunikationsverantwortliche der Pistor AG.

(Bild: Natalie Ehrenzweig)

Einfluss jenseits von Mehl und Hefe

Deshalb mussten neue Märkte her. Seit den 1980er-Jahren beliefert der Grosshändler, der seinen Standort 1983 nach Rothenburg verlegte, auch die Gastronomie. «Dem standen die Bäckereien anfänglich kritisch gegenüber, weil sie Angst hatten, an Aufmerksamkeit einzubüssen. Unsere Genossenschafter haben aber erkannt, dass die Sortimentsverbreiterung auch ihnen zugute kommt», erläutert Andrea Fischer. Bei der Gastronomie sehe das Unternehmen denn auch noch gute Wachstumschancen, da viele Gastrobetriebe bisher nur Teile ihres Sortiments bei Pistor beziehen würden.

Pistor in Kürze

Heute umfasst die Pistor Holding Genossenschaft die Unternehmen Pistor AG, die Proback AG und die Fairtrade SA. Während Proback Beratungen für Bäckereien anbietet und Fairtrade mit Rohstoffen handelt, ist Pistor AG inzwischen einer der grössten Grossisten für Bäckereien und Gastronomiebetriebe in der Schweiz.

Rund 1600 Bäckereien sind Genossenschafter bei Pistor. Das Unternehmen machte 2015 mit 478 Angestellten einen Umsatz von 622 Millionen Franken. Das sind 1,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Total wurden 104’279 Tonnen Waren mittels 85 LKWs in 349’487 Kundenlieferungen ausgestossen.

Um sich von den anderen Grossisten abzuheben, bietet die Firma möglichst viele Dienstleistungen um die Produkte herum an. «Wir liefern unseren Kunden zum Beispiel Konzepte zu aktuellen Ernährungstrends, zum Beispiel ein ganzes vegetarisches Konzept», sagt Fischer. Es gehe dabei darum, die Bäckereien in der Administration zu entlasten, sodass diese sich auf ihr Kerngeschäft, das Backen, konzentrieren könnten.

Als Grossist hat Pistor gegenüber den Kunden eine Machtposition, gerade in der Bäckereibranche, wo sie praktisch alle Bäckereien beliefern. Somit kann Pistor Einfluss auf die Entwicklung der Branche nehmen. «Das ist natürlich so», sagt Kommunikationsfrau Fischer. «Pistor hat beispielsweise den Freitag als Wähentag oder das sogenannte Café Complet miteingeführt.» Dadurch, dass die Genossenschaft von den Bäckereien selber geleitet wird, schaue man gut zur eigenen Branche und könne Trends frühzeitig erkennen.

Das Warenumschlagszentrum in Rothenburg.

Das Warenumschlagszentrum in Rothenburg.

(Bild: Natalie Ehrenzweig)

Digitalisierung und Emissionen als Herausforderungen

Nun feiert Pistor sein 100-Jahr-Jubiläum. Mit der «Freundlichkeitskampagne» wurden die Bäckerlehrlinge motiviert, ihren Betrieb zu zeigen, woraus eine Werbekampagne resultierte. «Ausserdem haben wir mit viel Aufwand eine Fachmesse organisiert. Das Feedback der 5000 Besucher war gut, aber es wurden noch nicht alle Schlüsse aus dem Event gezogen. Die Frage nach einer Wiederveranstaltung einer eigenen Messe steht noch im Raum», betont Andrea Fischer. Die Firmenchronik «Vom Lieferanten zum Logistikdienstleister» des Wirtschaftshistorikers Bernhard Ruetz fasst zudem die Firmengeschichte mit unterhaltsamen Bildern zusammen.

Als Grossist sieht sich Pistor in Zukunft einigen Herausforderungen gegenüber. Transportfahrten verursachen etwa Emissionen. «Wir verladen deshalb 16’000 Tonnen Ware per Bahn nach Chavornay, von wo sie über eine Verteilzentrale in der Westschweiz ausgeliefert werden», konstatiert Fischer. «Die steigenden Bedürfnisse der Kunden bezüglich Deklaration der Zutaten und Digitalisierung der Kommunikation gehören ebenfalls zu den Aufgaben der nächsten Jahre.»

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