«Le nozze di Figaro» im Luzerner Theater

Das alte Recht der ersten Nacht wirft aktuelle Fragen auf

Graf Almaviva und der Chor feierten am Samstag Premiere. (Bild: Ingo Höhn)

Am Samstagabend feierte in Luzern eine der überragendsten Opern von Wolfgang Amadeus Mozart Premiere. Regie führt der Gewinner des europäischen Opernregiepreises: Gerard Jones interessiert an der Oper vor allem die Abhängigkeit der Bevölkerung vom Adel. Die überzeitlich relevante Frage danach, für wen oder was man eigentlich arbeitet, ist dadurch in der Luzerner Inszenierung allgegenwärtig.

«Le nozze di Figaro» gilt als eine «opera buffa», sprich, als eine komische Oper, deren Inhalt man nicht so ernst nehmen muss. Auf der Bühne des Luzerner Theaters ist diese lockere und humorvolle Atmosphäre von Anfang an spürbar; zum Beispiel, wenn Figaro (Sebastià Peris) in der ersten Szene kniend den Boden ausmisst und dabei singt: «Cinque ... dieci ... venti...». Wann fängt eine Oper von einem so bedeutenden Komponisten wie Mozart schon mit einem so absurden Selbstgespräch des Hauptdarstellers an?

Jedoch wird im Handlungsverlauf von «Le nozze di Figaro» schnell klar, dass es sich hier um alles andere als eine gewöhnliche komische Oper handelt. Sie steht vielmehr im Spannungsfeld zwischen «opera buffa» und «opera seria», was ihren ganz speziellen Reiz ausmacht.

Es geht um die Macht von Männern über Frauen

Früh wird im Stück bereits das feudale Herrschaftssystem hinterfragt, wenn der etwas vertrottelt auftretende Graf Almaviva (Vladyslav Tlushch) von sich reden macht. Dieser Graf möchte das «Recht der ersten Nacht» wieder einführen, welches er erst kurz zuvor abgeschafft hatte. Er verfolgt dabei die Absicht, bei Susanna (Tania Lorenzo), die Figaro heiraten soll, von diesem uralten Recht Gebrauch zu machen.

Es ist damit von Vornherein abzusehen: «Le nozze di Figaro» verhandelt nicht nur ein zuweilen verwirrendes Geflecht an Liebesbeziehungen. Vielmehr geht es um das völlig verkommene und nicht mehr zeitgemässe Machtgefüge des ancien régimes: die Unterdrückung des Volks durch den Adel. Vor allem aber geht es aber unübersehbar um die Macht von Männern über Frauen in diesem System.

Die Inszenierung stellt hochaktuelle Stoffe in den Fokus, wie die Macht der Männer über die Frauen. (Bild: Ingo Höhn)

Dieser hochaktuelle Stoff, der durchdrungen ist vom vorrevolutionären Zeitgeist Frankreichs, fasziniert das Publikum auch heute noch. Kein Wunder also, dass der Autor des Theaterstücks, auf dem Mozarts Oper basiert, den Namen Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais trägt. Beaumarchais, seines Zeichens aufklärerischer Vordenker der Französischen Revolution, Geheimagent und Waffenschmuggler, hatte es in seinem Theaterstück «Le folle joue ou le mariage de Figaro» so weit getrieben, dass es gleich in Frankreich und im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation verboten wurde. Mozarts Librettist, Lorenzo da Ponte, musste deswegen um eine private Audienz bei Joseph II. bitten, um ihn davon zu überzeugen, dass Mozart doch eine den Adel günstiger darstellende Fassung in Musik setzen werde, was ihm letztendlich auch gelang.

Der Hit unter den Arien

Die Überzeichnung der sexistisch agierenden Männerrollen ist in der Luzerner Inszenierung deutlich spürbar, vor allem wenn Figaro im Scheinwerferlicht an die vordere Bühnenkante tritt. Dabei spricht er das männliche Publikum direkt an und beschwert sich über das Verhalten der Frauen nach dem Motto: «Ihr wisst schon, was ich meine ...»

Cherubino, der sich mit einer nicht ganz definierbaren Zahl von Hofdamen einlässt, wirkt zuweilen wie ein Sexbesessener. Solenn’ Lavanant Linke überzeugt in dieser Rolle ausserordentlich, was ihr die durch Applaus gekennzeichnete deutliche Zustimmung des Luzerner Publikums beschert. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Cherubino in dieser Oper einen der Hits unter den Arien singt: «Non so più cosa son, cosa faccio» läuft einem auch noch lange nach Verlassen des Luzerner Theaters als Ohrwurm nach. Einen weiteren Höhepunkt dieser Art bildet die Arie «Porgi, amor, qualche ristoro», die Eyrún Unnarsdfóttir in der Rolle der Gräfin mit bravouröser Leichtigkeit und Virtuosität in der Stimmbehandlung vorträgt.

Meist ist die Balance gut austariert

Die Inszenierung und das Kostüm, das analog zum untergehenden alten Staat Frankreichs dessen Vertreter in die Mode der 50er-Jahre kleidet und die revolutionär Denkenden in Post-68er-Style hüllt, bleiben über die ersten drei Akte recht ähnlich. Das Licht ist in wärmere Töne getaucht und bietet kaum kontrastierende Abwechslungen. Im letzten Akt des Stücks wird dann plötzlich doch sehr viel mit grelleren Lichteffekten gearbeitet, was sich inhaltlich nicht ganz erschliesst.

Noch bis im Februar ist «Le nozze di Figaro» am Luzerner Theater zu sehen. (Bild: Ingo Höhn)

Die Sängerinnen müssen an diesem Abend manchmal vom hinteren Teil der Bühne aus singen, was dazu führt, dass das Luzerner Sinfonieorchester im Graben sie zuweilen übertönt. Meistens ist die Balance aber gut austariert und die Musikerinnen spielen auch die anspruchsvolle Ouvertüre (die Probespielstellen enthält) überzeugend.

Das Publikum wirkt an diesem Abend insgesamt sehr zufrieden. Das Recht auf eine Premierenfeier in der ersten Nacht haben sich alle Mitwirkenden redlich verdient. Auch auf dieser Feier tummeln sich noch viele Konzertbesucherinnen, ehe sie von der Hochzeit Figaros wieder in die herbstliche Luzerner Nachtluft entlassen werden.

Hinweis: «Le nozze di Figaro» läuft im Luzerner Theater noch bis zum 19. Februar 2022.

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