Mobilitäts-Ethiker über die Zukunft des Verkehrs

Darf der Kebabstand mein selbstfahrendes Auto beeinflussen?

In Zug fanden erste Versuche mit einem selbstfahrenden Shuttle-Bus statt. (Bild: zvg)

Die Zukunft ist ungewisser denn je. Der Luzerner Ethiker Peter G. Kirchschläger soll sie sich trotzdem vorstellen – im Auftrag des Bundes. Kirchschläger gehört zu einer ausgewählten Gruppe, die Fragen zur Mobilität der Zukunft beantworten soll.

Seien wir ehrlich: Die Zukunft hat nicht all ihre Versprechen unserer Kindheit eingelöst. Die schwebenden Skateboards wurden nie Wirklichkeit, stattdessen stehen wir vor einem Haufen verkeilter E-Scooter. Das ist schon ein gewisse Enttäuschung.

Vielleicht sind wir aber auch einfach zu ungeduldig. Auch wenn im Moment Stillstand angesagt ist – es geht weiter. Auch in der Mobilität. Der Strassenverkehr von morgen wird nicht derselbe sein wie heute. Wie in vielen anderen Lebensbereichen schreitet die Automatisierung stetig voran. Von der Self-Checkout-Kasse bis zur Verkehrssteuerung: Immer öfter wird auf den Einsatz künstlicher Intelligenz gesetzt.

15-köpfiges Gremium soll zum Verkehr forschen

Das Bundesamt für Strassen (Astra) will wissen, welche Verkehrsthemen in Zukunft beschäftigen könnten und wo Forschungsbedarf besteht. Zu diesem Zweck hat es die Arbeitsgruppe «Mobilität 4.0» geschaffen. 

In das 15-köpfige Gremium, bestehend aus Vertretern des Bundes, der Wirtschaft und der Hochschulen, wurde auch Peter G. Kirchschläger berufen. «Die Automatisierung der Mobilität ist ein Bereich, in dem sich viele ethische Chancen und auch ein paar Risiken ergeben», sagt der Ethiker. Er leitet an der Universität Luzern das Institut für Sozialethik (ISE). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören hier die digitale Transformation und der Einsatz von künstlicher Intelligenz aus ethischer Perspektive.

«Heute reden wir von Fahrzeugen, die selber das Tempo oder die Spur halten können. Morgen von Fahrzeugen, die kein Lenkrad mehr haben.»

Peter G. Kirchschläger, Ethiker

Was also soll man unter dem Begriff «Mobilität 4.0» verstehen? «Zum einen geht es klar um einen künftig sehr hohen Grad der Automatisierung. Heute reden wir von Fahrzeugen, die selber das Tempo oder die Spur halten können. Morgen von Fahrzeugen, die kein Lenkrad mehr haben.»

Kirchschläger ist Teil der Arbeitsgruppe, die damit verbundene ethische Fragen identifiziert. «Darunter fallen etwa die ganzen Datenschutzfragen, die sich in diesem Zusammenhang eröffnen», erklärt Kirchschläger. «Damit Fahrzeuge selbstfahrend von A nach B gelangen können, benötigen sie Daten – gleichzeitig generieren sie Daten, noch viel mehr, als sie heute schon liefern.» Dies wiederum birgt die Gefahr von Eingriffen in die Privatsphäre.

Wie funktoniert Werbung künftig?

Die Datengenerierung durch die Fahrten könnte in der Folge die Fahrtrouten beeinflussen. Kirchschläger macht ein Beispiel: «Werbung könnte eine ganz andere Dimension annehmen. Stellen Sie sich vor, man erkennt, dass Sie mehrmals bei einem Kebab-Imbiss etwas holten. Wäre es dem Imbissbetreiber etwa möglich, gegen Bezahlung die Route Ihres Autos so anzupassen, dass Sie künftig möglichst oft am Imbiss vorbeikämen? Vielleicht würde gleich noch Werbung auf dem Bildschirm im Fahrzeug aufgeschaltet, um den Appetit anzuregen.»

Der Luzerner Ethiker Peter G. Kirchschläger beschäftigt sich mit künstlicher Intelligenz. (Bild: zvg)

Solche Szenarien müssen heute schon diskutiert werden, ist Kirchschläger überzeugt. Es gebe aber auch Themen, die aktuell hinterfragt werden müssten. «Da ist etwa der ganze Rohstoff-Komplex. Wie und zu welchen Bedingungen werden die Rohstoffe für heutige und künftige Fortbewegungsmittel gewonnen? Heute geschieht dies noch meistens unter ethisch nicht akzeptablen Bedingungen, etwa durch Kinderarbeit.»

Unfallzahlen könnten gesenkt werden

Kirchschläger sieht neben den Risiken aber eben auch ganz neue Chancen durch die Automatisierung des Verkehrs: «Die Unfallzahlen könnten nochmals massiv gesenkt werden. Faktoren wie Müdigkeit oder Alkoholkonsum könnte man durch selbstfahrende Autos eliminieren.»

Auch der ökologische Fussabdruck könnte stark reduziert werden, ist Kirchschläger überzeugt. «Heute stehen Autos 95 Prozent ihrer Zeit auf einem Parkplatz. Das ist eigentlich ein Wahnsinn.» Eine mögliche Lösung sieht der Ethiker in «dezentralen Fahrzeugen», die bei Bedarf gerufen werden können.

Das würde aber auch das Ende des Autos als persönlicher Besitz und Hobby bedeuten. Heute für viele Menschen doch kaum vorstellbar, oder? «Es muss nicht unbedingt heissen, dass man nicht mehr selber Auto fahren darf», kontert Kirchschläger. «Es wäre durchaus vorstellbar, dass in designierten Gebieten das eigenhändige Fahren als Hobby möglich bliebe.»

Niemand vertraut einem Objekt

Tatsache ist, dass die Idee selbstfahrender Autos heute noch mit relativ hoher Skepsis betrachtet wird. Die Akzeptanz werde von den Produzenten aufgebaut werden müssen, sagt Kirchschläger: «Menschen vertrauen Menschen, nicht Objekten. Vertrauen schöpft man in den Dienstleister. Etwa den Hersteller solcher Fahrzeuge. Und dieses Vertrauen muss verdient werden.»

In den nächsten Wochen wird Kirchschlägers Arbeitsgruppe die Themen festlegen, welchen als Erstes in Form von Forschungsprojekten nachgegangen werden soll. Verkehrsplaner, Datenschutzbeauftragte und eben auch der Luzerner Ethiker werden dann damit beginnen, den Verkehr auf den Schweizer Strassen mitzugestalten.

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