Luzerner Zukunftsforscher über Corona

«Danach wird alles besser? Schön wärs!»

Keine Panik, bitte! Der Luzerner Zukunftsforscher Georges T. Roos in der Migros. (Bild: hae)

Ein Leben im Ausnahmezustand: Corona bremst die Welt, die Menschen gehen in sich, neue Werte sind gefragt. Wo genau gehts hin? Das sagt der Luzerner Georges T. Roos, einer der führenden Zukunftsforscher der Schweiz, im Interview.

zentralplus: Georges T. Roos, wie erlebten Sie persönlich die letzten Wochen mit Corona?

Georges T. Roos: Das Unheil schickte Vorboten: Veranstaltungen, an denen ich einen Vortrag halten sollte, wurden teilweise bereits vor dem offiziellen Verbot vorsorglich abgesagt. Die Veranstalter fürchteten um die Gesundheit der Teilnehmenden. Als dann der weitgehende Shutdown verordnet wurde, musste ich mich auch erst fassen. 

zentralplus: Was hat sich in Ihrem Leben als Zukunftsforscher seit Corona verändert?

Roos: Im Home-Office bin ich ein alter Fuchs: Ich arbeite seit vielen Jahren von zu Hause aus. Ich habe mir über all die Jahre die Regeln angeeignet, die es für Home-Office braucht: So gehe ich beispielsweise niemals im Pyjama ins Büro, ich halte einigermassen die üblichen Arbeitszeiten ein und ich versuche, Familienarbeit und berufliche Arbeit nicht durcheinanderzubringen. Meine Kinder sind heute erwachsen, aber als sie noch klein waren, stellte ich sehr schnell fest, dass man – wenn man alles miteinander macht – weder der Arbeit noch den Kindern gerecht werden kann. 

zentralplus: Und jetzt, mit dem Virus?

Roos: Seit Corona sind meine Vortragsaufträge total zusammengebrochen. Ich habe also wie viele mehr Zeit, aber weniger Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Ich habe mich entschlossen, dass ich mich weiterbilde. Es gibt so viele Themen, die ich noch besser verstehen will, zum Beispiel Blockchain oder auch die neuen Möglichkeiten des genetischen Editierens. Ich denke aber, dass auch noch Zeit fürs Fensterputzen bleiben wird. 

«Es kommt Zorn auf: auf die Chinesen, allenfalls auf die Behörden, die uns einschränken.»

zentralplus: Angst, Verunsicherung, Isolation: Viele Menschen sind überfordert. Was raten Sie?

Roos: Einen bewussten Prozess zu durchlaufen. Mir kommen die Sterbephasen der US-Schweizerischen Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross in den Sinn: Viele wollen ein anstehendes Ableben erst nicht wahrhaben – analog dazu war es für viele in Bezug auf die Corona-Massnahmen. Dann kommt Zorn auf: auf die Chinesen, allenfalls auf die Behörden, die uns einschränken. Als Nächstes versuchen wir zu verhandeln: Ja, aber ich kann dieses oder jenes trotzdem machen. Dann folgt die Phase der Niedergeschlagenheit. Wohin wir alle gelangen müssen, ist laut Kübler-Ross die fünfte Phase: Akzeptieren, dass es im Moment so ist. Nun ist Corona nicht Sterben, aber unbestreitbar bedeutet es für uns alle einen sozialen und ökonomischen Verlust. 

zentralplus: Viele sagen doch immer, die Krise sei eine Chance.

Roos: Das kann durchaus sein: Als Zukunftsforscher ist mein Ratschlag, dass man die neuen Verhältnisse daraufhin abklopft, welche Möglichkeiten nun noch bestehen. Ich kenne Ladenbesitzer, die in kurzer Zeit einen Online-Shop aufgebaut haben. Restaurants stellen auf Heimlieferungen um, Yoga-Lehrerinnen produzieren Youtube-Videos mit Übungsanleitungen. Es ist gut möglich, dass langfristig die aus der Not geborenen neuen Optionen zu einem Vorteil werden.  

zentralplus: Sie sind einer, der ans Gute glaubt: Wie können und weshalb sollen wir in diesem Notstand langfristig optimistisch bleiben?

Roos: Ich bin ein Mann, der an die Möglichkeiten glaubt: an die Kreativität, Intelligenz und Anpassungsfähigkeit des Menschen. Diese drei Eigenschaften sind unser evolutionärer Vorteil. Und diese Eigenschaften werden massgeblich zur Überwindung der Krise führen: Irgendwann wird es wahrscheinlich einen Impfstoff gegen das Virus geben. Wir werden lernen, vorsichtig zu sein, ohne das soziale Leben abzuwürgen. Wir werden Wege finden, wirtschaftlich und gesellschaftlich wieder aktiv zu sein. 

«Wer jetzt verzagt, den dürfen wir darauf hinweisen, dass wir Glück im Unglück haben.»

zentralplus: Sie haben gut reden: Manch einer verzweifelt schon jetzt!

Roos: Wer jetzt verzagt, den dürfen wir darauf hinweisen, dass wir Glück im Unglück haben. Die Schweiz hat eines der besten Gesundheitssysteme, der Staat hat die Mittel, gegen den enormen wirtschaftlichen Schaden zumindest nothilfemässig etwas zu unternehmen. Die meisten dürfen sich sagen: Wir sind gesund, meine Nächsten sind gesund. Wir haben zu essen, sitzen in warmen Stuben. Glück und Unglück sind immer auch eine Frage der Vergleichsgrössen: Wer sich immer mit den Bessergestellten vergleicht beziehungsweise das Leben vor Corona als Vergleich heranzieht, fühlt sich miserabel. Wer aber einfühlsam zur Kenntnis nimmt, dass es anderen viel schlechter geht, entwickelt eine gewisse Dankbarkeit und will sich engagieren, jenen zu helfen, denen es schlechter geht. 

zentralplus: Inwiefern wird sich unsere bekannte Welt verändern?

Roos: Ich gehe davon aus, dass wir noch lange mit Corona beschäftigt sein werden. Die Strategie der Behörden, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, halte ich für gut. Die Kehrseite ist allerdings, dass es länger geht, bis eine Mehrheit der Bevölkerung immun ist – falls eine durchgemachte Erkrankung zur künftigen Immunität führt, was noch nicht klar ist – und dass daher ältere, schwache und vorerkrankte Personen noch für eine gute Weile besonders geschützt werden müssen. Es nützt nichts, sich falsche Vorstellungen zu machen. Sie werden enttäuscht und das macht es nur schlimmer. Erst eine Impfung wird uns nachhaltig entlasten.

Mann der Stunde

Georges T. Roos, 57, in Basel geboren und in der Zentralschweiz aufgewachsen, studierte in Zürich Pädagogik, Publizistik und Psychologie. Roos lebt seit 32 Jahren in Luzern, war Journalist und ist Gründer eines privat finanzierten Zukunftsforschungsinstituts und der European Futurists Conference Lucerne. Heute ist er einer der führenden Zukunftsforscher der Schweiz. Seit 1997 analysiert er die treibenden Kräfte des gesellschaftlichen Wandels. Roos ist Vater von zwei Kindern.

zentralplus: Und wie geht es auf Dauer weiter?

Roos: Was langfristig anders sein wird, ist schwer zu sagen. Das hängt davon ab, wie lange die akute Krise dauert und wie gut die Erholung danach sein wird. Darüber kann man nur szenarisch nachdenken: Es ist denkbar, dass die Gesellschaft viel dazulernt, zum Beispiel den Wert von sozialen Beziehungen und auch der persönlichen Freiheiten bewusster schätzt. Es ist aber auch denkbar, dass die Angst bleibt und wir auf längere Zeit mehr Kontrollen und Einschränkungen von der Politik erwarten.

zentralplus: Die Zukunft kommt offensichtlich auf einmal viel schneller: Online-Shopping und Home-Office haben Konjunktur, weniger Verkehr bedeutet bessere Luft. Eine gute Entwicklung?

Roos: Auf jeden Fall. Wenn die Krise bewältigt ist, kommen unsere anderen dringenden Probleme wieder auf den Bildschirm: der Klimawandel, unsere überlasteten Verkehrssysteme, aber auch die globale menschliche Entwicklung. 

zentralplus: Wird das anhalten?

Roos: Ich glaube schon. Seit Jahren plädiere ich dafür, dass mehr Menschen partiell im Home-Office oder in Co-Working-Spaces arbeiten. Welchen Sinn macht es, dass zwischen 7 Uhr und 9 Uhr alle zusammen auf Strasse und Schiene ins Büro hetzen, um dort erstmal eine Stunde E-Mails zu beantworten? Würden wir die Arbeit zeitlich entflechten, könnten wir die Belastungsspitzen brechen. Einen Tag in der Woche von zu Hause aus zu arbeiten leistet auch einen merklichen Beitrag zum Umweltschutz. Nun sehen viele Unternehmen, dass das ja geht. 

«Ich fand es schon immer naiv zu denken, von der Natur kommt alles Gute und vom Menschen alles Schlechte – sprich die Technik.»

zentralplus: Viele sehen im momentanen Chaos aber eher die Apokalypse. Sind wir wirklich bald im Krieg, was der französische Präsident Emmanuel Macron unlängst bei einer Rede zum Volk gleich mehrfach heraufbeschwor?

Roos: Politiker haben unterschiedliche Charaktere: Wenn Monsieur Macron glaubt, die Dringlichkeit mit dieser Metapher hervorstreichen zu müssen, so ist das seine Sache. Das klingt nach mehr als sanitarischen Massnahmen zur Eindämmung einer Krankheit. Wir haben einen Notstand und dieser Notstand beeinträchtigt unsere Freiheit, die Wirtschaft, die Kultur und das soziale Leben. Punkt. Ich fand es schon immer naiv zu denken, von der Natur komme alles Gute und vom Menschen alles Schlechte – sprich die Technik. 

zentralplus: Können Sie das bitte ausführen?

Roos: Unsere Vorfahren haben sich das Überleben gegen die unheilvollen Kräfte der Natur abgetrotzt. Dank unserer technisierten Zivilisation sind wir von diesem stetigen Kampf gegen Stürme, Hitzewellen, Murgängen und Infektionskrankheiten weitgehend entfremdet. Nun kommt ein Virus, das uns unsere Verletzlichkeit schockartig ins Bewusstsein zurückholt. Viele Errungenschaften, die unser Leben sicher und angenehm machen, sind nicht selbstverständlich. Das betrifft die Gesundheit, es betrifft die Freiheit und es betrifft die Demokratie. 

zentralplus: Viele Länder setzen auf extreme Einschränkung der Freiheit; bei uns herrscht (noch) Eigenverantwortung statt Ausgangssperre. Wird sich das rächen?

Roos: Das stimmt so nicht: Die Bewegungsfreiheit ist extrem eingeschränkt, auch wenn das noch keine Ausgangssperre ist. Alle Massnahmen haben einen Nutzen, aber verursachen auch Schäden. Daher ist es angebracht, das Notwendige zu tun – aber mit Augenmass. Ich bin kein Pandemie-Experte und kann daher letztlich nicht beurteilen, ob mehr nötig wäre, als im Augenblick getan wird. Das wird erst der Rückblick zeigen, immerhin scheinen sich erste Erfolge einzustellen. 

zentralplus: Isolation hat auch Familienkrisen und einen enormen Anstieg der Scheidungsraten zur Folge, wie man aus China weiss. Was tun dagegen?

Roos: Ein staatliches Eherettungsprogramm vielleicht? Im Ernst, das ist nun wirklich ein privates Problem. Wenn in Beziehungen Sand im Getriebe ist und die Krise ans Tageslicht bringt, was vielleicht schon lange schwelt, dann geschieht das halt. Ich glaube aber auch an den umgekehrten Effekt: Viele Paare und Familien entdecken, wie wichtig sie füreinander sind. Ein besonderes Augenmerk allerdings gilt allfälliger häuslicher Gewalt. Hier gibt es kein «Schauen-wir-mal». Opfer müssen unbedingt geschützt werden. 

zentralplus: Bankexperten warnen, dass bald die Weltwirtschaft zusammenbrechen wird. Was bedeutet das?

Roos: Die wirtschaftlichen Einbussen werden enorm sein, das ist schon heute klar. Wie tief der Einschnitt sein wird, ist noch offen. Die Gefahr erachte ich als real, aber es kommt sehr darauf an, wie lange der Shutdown anhält und ob die Massnahmen zur Stützung der Wirtschaft wirken.  

«Ein- bis zweimal am Tag vertrauenswürdige Medien konsultieren, reicht aus.»

zentralplus: Welches werden die neuen Werte sein?

Roos: Ich bin da noch sehr zurückhaltend. Ich habe bereits verschiedene Prognosen gelesen, die alle wie Sozialutopien klingen: Alles wird danach besser, wir werden uns mehr lieben, dem Überfluss und der Zerstreuung abschwören, Fake-News kaum mehr beachten, ökologischer leben; Jugendliche werden wieder Bücher lesen und auch gerne mal im Wald spazieren. Schön wäre es. 

zentralplus: Aber?

Roos: Es kann auch anders kommen: gegenseitige Überwachung und Denunziation, nachhaltige Einschränkungen beim Datenschutz und den Persönlichkeitsrechten, Einschränkungen der demokratischen Mitbestimmung. Ich bin überzeugt, dass Corona im kollektiven Gedächtnis haften bleibt und damit auch Spuren hinterlässt. Alle Zeitzeugen werden Corona nicht vergessen. Bis eine andere, gleiche oder noch grössere, Krise kommt und diese Erinnerung überschreibt oder doch in der Bedeutung relativiert.  

zentralplus: Ein Tipp für bessere Laune in diesen schweren Tagen?

Roos: Das ist nicht meine Disziplin. Es gibt dafür Lach-Coaches (schmunzelt). Aber ein Tipp, um sich nicht verrückt zu machen: Informieren Sie sich dosiert: Es ändert nichts an Ihrer Informiertheit, wenn Sie es übertreiben und jede Minute jede noch so nebensächliche Story zu Corona lesen. Ein- bis zweimal am Tag vertrauenswürdige Medien konsultieren, das reicht aus.  

Das Leben ist kein Ponyhof, sagt der Luzerner Georges T. Roos. (Bild: hae)
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5 Kommentare
  • Profilfoto von CScherrer
    CScherrer, 11.04.2020, 09:45 Uhr

    Georges T. Roos macht das unaufgeregt, sachlich und sehr ruhig. Im Gegensatz zu anderen selbsternannten Experten legt er sich auch nicht auf ein bestimmtes Szenario fest. Er spricht von möglichen Szenarien, welche alle in sich logisch sind und eintreten könnten. Auch wenn es sich beim Titel «Zukunftsforscher» nicht um einen offiziellen Titel handelt, zeugen die Aussagen von grosser Intelligenz. Im Gegensatz zu anderen Meinungen würde empfinde ich diese Aussagen als erfrischend und betrachte diese auch als Denkanstösse. Sie nur als Geschwätz abzutun, zeugt von fehlender Intelligenz. Aber wir stehen in außerordentlichen Zeiten und da dürfen wohl alle mit ihrem Nichtwissen, absurdes Wissen verbreiten.

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  • Profilfoto von bjornsen
    bjornsen, 10.04.2020, 09:16 Uhr

    Achtung: Zukunftsforscher ist eine Selbstzuschreibung und in keiner Weise ein geschützter Titel oder Leistungsausweis (ebenso wie Journalisten, die sowas nicht mal erwähnen).

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    • Profilfoto von M.Bilic
      M.Bilic, 11.04.2020, 14:39 Uhr

      Der kitschige Ring am kleinen Finger hat die Leser scheinbar dermassen hypnotisiert, dass 91% den Artikel trotz nonsens-Inhalt als lesenswert deklariert haben.

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  • Profilfoto von M.Bilic
    M.Bilic, 10.04.2020, 08:21 Uhr

    Luzerner Zukunftsforscher klingt wir ein Oxymoron.

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    • Profilfoto von M.Bilic
      M.Bilic, 10.04.2020, 08:23 Uhr

      Auf Zentralplus muss man immer verdammt aufpassen, wenn man mit dem Smartphone kommentiert. Korrektur oder Löschung unmöglich.

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