Christian Ineichen will aufhören, brav zu sein

CVP-Präsident: «Ich werde alles tun, damit Schwerzmann nicht mehr gewählt wird»

CVP-Präsident Christian Ineichen nimmt nur selten ein Blatt vor den Mund.

(Bild: jal)

Christian Ineichen ist seit April Präsident der CVP Luzern. Der Entlebucher sagt, seine Partei müsse aufhören, immer Streberschüler sein zu wollen. Mit pointierten Aussagen will er der CVP mehr Aufmerksamkeit bescheren. Das bekommt vor allem der Finanzdirektor zu spüren. Aber auch die eigenen Regierungsräte nimmt er in die Mangel.

«Manchmal muss man schnell die ersten Pflöcke einschlagen», sagt Christian Ineichen. Der Marbacher steht seit letztem Frühling an der Spitze der kantonalen CVP. Während sein Vorgänger Pirmin Jung dezent im Hintergrund die Fäden zog, haut Ineichen gerne auf die Pauke – und erwischt nicht immer den gleichen Ton wie die Partei.

Aktuelles Beispiel: die Kohäsionsmilliarde an die EU, die Ineichen auf Facebook ausführlich kritisiert. «Die CVP Schweiz tendiert zu einem Ja, aber die Basis ist nie dazu befragt worden. Wenn es dann heisst, die CVP freue sich über das Ja, muss ich sagen: Das stimmt überhaupt nicht», begründet er.

David Roth und die brave CVP

Es sind typische Aussagen für Christian Ineichen. Lange um den heissen Brei rumreden ist nicht sein Ding. Und das durchaus mit Kalkül. Denn mit seinem pointierten Auftritt erhofft sich der 40-Jährige mehr Aufmerksamkeit. «Wenn ein David Roth seine Hosen wechselt, steht es am nächsten Tag in der Zeitung.» Die CVP habe hingegen Mühe, sich Gehör zu verschaffen. «Wir müssen aufhören, immer zu brav zu sein. Wir wollen immer Streberschüler und Musterknaben sein und gleich die Lösung zum Problem mitliefern.» Die CVP müsse – wie die SP und die SVP das mit Bravour mache – ebenfalls vermehrt das Problem thematisieren.

«Es ist offensichtlich, dass Finanzdirektor Marcel Schwerzmann der Aufgabe nicht mehr gewachsen ist.»

Christian Ineichen, CVP-Präsident

Eine populistische CVP also? Keineswegs, sagt Ineichen. «Wir sind eine straatstragende Partei, auch wenn Vernunftpolitik selten klöpft und häscheret.» Er sei überzeugt, dass die vermittelnde Sachpolitik der richtige Weg für seine Partei sei.

Auf kantonaler Ebene hat er schon nach wenigen Wochen einen Pflock eingeschlagen, als er eine Rochade im Regierungsrat forderte – vergeblich (zentralplus berichtete). Er sei nach wie vor überzeugt, dass es die richtige Lösung wäre, wenn SVP-Regierungsrat Paul Winiker die Finanzen übernehmen würde. «Es ist offensichtlich, dass Finanzdirektor Marcel Schwerzmann der Aufgabe nicht mehr gewachsen ist», doppelt Ineichen in gewohnt deutlichen Worten nach. «Er klaubt zusammen, was nicht niet- und nagelfest ist, um in die Nähe einer schwarzen Null zu kommen – das ist einfach nicht seriös.»

Doch auch der finanzpolitische Kurs der CVP ist nicht niet- und nagelfest. Soll der Kanton bei den Einnahmen ansetzen oder sparen – und falls ja, wo? Da gleicht die Parteilinie eher einer Slalomfahrt – wobei nicht alle Mitglieder die Stangen von derselben Seite anfahren. Die Fraktion stimmte für Sparen bei den Musikschulen, die Delegierten fassten die Nein-Parole. Bei der Dividendenbesteuerung stimmte ein Teil der Fraktion dafür, ein Teil dagegen. Und in der Ratsdebatte brachten kürzlich mehrere CVP-Wortführer höhere Steuern wieder ins Spiel.

Klare Ansage für 2019

Auch Christian Ineichen ist überzeugt, dass es irgendwann wieder eine Abstimmung über höhere Steuern geben wird – es gehe nicht anders. Die Wahrnehmung der CVP durch die Öffentlichkeit empfindet er aber als ungerecht. Seine Partei sei es gewesen, die für höhere Steuern kämpfte. «Und nun bekommen wir den schwarzen Peter, weil es heisst, wir würden auf dem Buckel der Schwachen sparen.» Für Ineichen ist das schlichtweg die Konsequenz der abgelehnten Steuererhöhung; einer Situation, die seine Partei nicht wollte, nun aber ausbaden muss.

«Es tut uns gut, wenn einer an der Spitze steht, der nicht zuerst drei Nebensätze bildet.»

Ludwig Peyer, CVP-Fraktionschef

Dabei nimmt er auch die eigenen zwei Regierungsräte nicht von der Kritik aus und tadelt ihre Kommunikation. «Als Gesamtregierung darf man bei derart wichtigen Abstimmungsgeschäften nicht einfach edel zurückstehen. Der Bürger will wissen, was die Regierung will.» Er kündigt bereits an, Guido Graf und Reto Wyss vor den Wahlen 2019 in die Mangel zu nehmen. «Einfach sagen: Judihui, die treten nochmals an, reicht nicht.» Er erwarte eine Vision und eine klare, ehrliche Selbsteinschätzung. Das gehöre halt auch zu den Aufgaben eines seriösen Parteipräsidenten.

Zur Person

Christian Ineichen ist seit letztem April Präsident der CVP Luzern, zuvor amtete der Entlebucher bereits als Vizepräsident der Partei. Ein politisches Amt, sei es auf kommunaler oder kantonaler Ebene, hatte er bislang keines inne.

Beruflich ist der 40-Jährige als Vizedirektor und Regionalmanager der Unesco Biosphäre Entlebuch tätig, seit seiner Wahl zum CVP-Präsidenten in einem 80-Prozent-Pensum. Christian Ineichen hat Geschichte und Politologie studiert. Er ist Hauptmann und Mitglied diverser Vereinsvorstände, beispielsweise des Entlebucher Schwingerverbandes. Zudem ist er Mitgründer des inzwischen etablierten Anlasses «Politischer Aschermittwoch im Entlebuch».

In seiner Freizeit spielt er Klarinette, absolviert Marathon- und Bergläufe. Er ist ledig und lebt in Marbach.

Natürlich, schiebt er nach, spreche nichts gegen eine erneute Wahl der beiden CVP-Magistraten. Im Unterschied zum Finanzdirektor. «Ich werde alles tun, damit Marcel Schwerzmann nicht mehr gewählt wird», sagt der Entlebucher. Parteilose hätten in einem politischen System nichts verloren, meint Ineichen. Für den CVP-Präsidenten ist bereits jetzt klar, dass die SP bei den Wahlen 2019 wieder in die Regierung eingebunden werden muss. Dabei war er es, der vor zwei Jahren gegen Felicitas Zopfi als SP-Regierungsrätin wetterte. Doch Ineichen hält dagegen: «Ich fand es damals falsch, jemanden zu unterstützen, der kategorisch eine andere Politik betreibt als die CVP.» Doch grundsätzlich habe die SP Anspruch auf einen Sitz in der Regierung. Unter der für alle Parteien geltenden Voraussetzung, dass sie eine mehrheitsfähige Person vorschlage.

Spannungsfelder überall

Das mag erstaunen, denn Ineichen gilt nicht als Freund der Linken. Als «kleiner Pfister» wurde Ineichen in Anspielung auf Gerhard Pfister, Präsident der CVP Schweiz, schon betitelt (zentralplus berichtete). Nicht nur, weil beide bewusst provokativ auftreten, sondern auch, weil beide aus der konservativen Ecke kommen.

Vor Ineichens Wahl führte gerade auch dieser Punkt zu Kritik. Kommt es gut, wenn ein Junggeselle vom rechten Parteiflügel den Ton bei der Familienpartei angibt? Manch einer mochte sich in dieser Sorge bestätigt sehen, als Christian Ineichen vor einiger Zeit auf Twitter den Vaterschaftsurlaub kritisierte – obwohl die CVP Schweiz dafür ist. Später krebste Ineichen zurück, weil er «von falschen Annahmen ausging».

Der Tweet von Christian Ineichen:


 

Er kann sich also auch überzeugen lassen. Inzwischen sagt er, es sei wohl besser, wenn sich andere CVP-Vertreter dieses Themas annehmen, zumal er als Alleinstehender ohne Kinder bei diesem Thema ohnehin über weniger Glaubwürdigkeit verfüge. Es gebe eben Züge, die könne man nicht mehr aufhalten, sagt er. Ein solcher sei auch die Homo-Ehe – bei der Ineichen ebenfalls keinen Hehl um seine persönliche Meinung macht. «Das widerstrebt mir im Innersten absolut, aber diese gesellschaftliche Entwicklung lässt sich nicht mehr umkehren.»

Zu viel des Guten?

Als einer, der schon zahlreiche Berge bestiegen hat, weiss Christian Ineichen, was eine Gratwanderung ist. Als Präsident einer Partei, die von potenziellen SP- bis hin zu potenziellen SVP-Wählern reicht, muss er das. «Den Spagat zu finden, ist nicht immer ganz einfach», sagt Ineichen.

Deshalb könne man nicht immer alles ausdiskutieren. «Manchmal muss man entscheiden: Wir fahren nun so! – und das ist gut so.» Gerade auf den sozialen Medien, wo der Takt schneller schlägt, bleibt nicht immer Zeit, um «immer auf alle Rücksicht zu nehmen». Dass das nicht überall gut ankommt, dessen ist sich Ineichen bewusst. Bei manchen Themen brauche es aber rasch eine öffentliche Haltung. «Da kann man nicht alles in der Kommission und der Fraktion et cetera bis ins letzte Detail vorbesprechen.»

Strafe absitzen: Christian Ineichen (links) und Theo Schnider von der Biosphäre Entlebuch auf ihrer beschlagnahmten Bank im Luzerner Stadthaus.

Weiss, wie man provoziert: Christian Ineichen (links), Vize-Direktor der Biosphäre Entlebuch, mit Theo Schnider auf ihrer Bank im Luzerner Stadthaus.

(Bild: jwy)

Ineichen lacht viel, wenn er spricht. Und er ist der Typ Stammtisch, der gerne auch mal ein Bier trinkt und eine direkte Sprache pflegt. Seinen Sinn für Humor stellte er jüngst auch in der Stadt Luzern unter Beweis, wo die Biosphäre Entlebuch ohne bürokratisches Tamtam eine Bank hinstellte und im Sträflingskostüm abholte – ein Seitenhieb auf den städtischen Sitzmöbeltest. Auf den sozialen Medien erhielten die Entlebucher dafür viel Zuspruch.

Ob ein solcher Auftritt für einen Parteipräsidenten nicht auch zu viel des Guten sein könnte, bleibt unbeantwortet. Ineichen will darüber nicht sprechen, er will sein Amt als CVP-Präsident strikt von seiner Tätigkeit als Biosphäre-Vizedirektor trennen.

Die frische Art wird gelobt

Die direkte Art und der Aktivismus auf den sozialen Medien – bei Fraktionspräsident Ludwig Peyer kommt das gut an. «Unsere anständige Volkspartei mag eine gewisse Frische vertragen. Es tut uns gut, wenn einer an der Spitze steht, der nicht zuerst drei Nebensätze bildet.» Gerade in den sozialen Medien ist es laut Peyer nötig, etwas zugespitzt zu formulieren – und das entspreche Ineichens Naturell. Sein Ruf sei Christian Ineichen vorausgeeilt, er wurde schnell als Vertreter des rechten Flügels schubladisiert. Von dem erwarteten Rechtsdrall spüre er nichts, sagt Peyer, der zugleich den Einfluss des Parteipräsidenten relativiert.

Bislang sei Ineichen auch nicht ausgeschert oder habe den Bogen überspannt, im Gegenteil. «Christian Ineichen lanciert Steilpässe, die medial aufgenommen werden und so auch einen Rückhall in der Fraktion haben. Sollte er mal zu fest auf den Putz hauen, ist immer noch die Parteileitung da, um seine Aussagen auf den Boden der Realpolitik zurückzuholen.»

«Was Ineichen auslöst, findet kein wahrnehmbares Echo in der Partei.»

Silvio Bonzanigo, CVP-Delegierter

Etwas anders beurteilt das Silvio Bonzanigo. Der alt Grossstadtrat und CVP-Delegierte war es, der die Wahl von Ineichen im Frühling vor versammelter CVP-Familie infrage stellte. Wie beurteilt er heute Ineichens Arbeit? «Sein Start ist relativ unspektakulär verlaufen.» Ineichen habe bisher kaum etwas bewegt. Auch die provokative Forderung nach einer Rochade im Regierungsrat erachtet er als missglückt, weil niemand darauf reagiert oder Ineichen unterstützt hat. «Was Ineichen auslöst, findet kein wahrnehmbares Echo in der Partei.» Bonzanigo bleibt damit bei seinem Urteil, dass es Christian Ineichen an Kommunikationsstrategien und an politischer Erfahrung fehle, weil er nie in einem Parlament sass.

Doch damit ist Bonzanigo ein einsamer Rufer, räumt er doch selbst ein, dass es innerhalb der CVP kaum kritische Stimmen gebe, was er aber auch mit der fehlenden Debattier- und Streitkultur innerhalb der CVP begründet. Zugute hält er Ineichen, dass dieser nach seinem kritischen Votum vor der Wahl im Frühling das Gespräch mit ihm gesucht habe.

Inzwischen mehr in der Stadt und weniger im Entlebuch: Christian Ineichen im Hotel Schweizerhof.

Inzwischen mehr in der Stadt und weniger im Entlebuch: Christian Ineichen im Hotel Schweizerhof.

(Bild: jal)

«Christian sagt: Wer nicht zufrieden ist, kennt meinen Kontakt. Er ist bereit, andere Meinungen anzuhören, und lässt mit sich reden.» Das sagt auch Letizia Ineichen, Vizepräsidentin der städtischen CVP. Die Schwester von Christian Ineichen spürt ebenfalls weder einen Rechtsrutsch noch schlechte Stimmung. Auch wenn die städtische CVP in gewissen Themen anders tickt, «etwa in der Kulturpolitik oder in der Bildungspolitik», sagt Letizia Ineichen. Auch die Aussagen ihres Bruders zu manchen gesellschaftspolitischen Fragen teilt sie keineswegs. «Für mich ist es klar, dass es einen Vaterschaftsurlaub braucht und die Homo-Ehe zur Gesellschaft gehört.»

Dennoch hat sie keine Angst, dass Christian Ineichen mit Aussagen dazu die Wähler der Familienpartei vergrault. «Die Wähler bekennen sich zum Grundprogramm der Partei – und in jeder Partei gibt es Themen, bei denen die Meinungen auseinandergehen.»

Eine Eiche verbiegt sich nicht

Christian Ineichen lässt sich von kritischen Stimmen sowieso nicht aus dem Konzept bringen. Als Präsident könne er es nie allen recht machen. «Die Partei kannte meine Ecken und Kanten – sie hätte mich auch nicht wählen können.» Bisher sei aber noch niemand gekommen und habe sich über ihn beschwert.

Trotzdem weiss er, dass er sich nicht alles erlauben kann. Er trete so bedacht wie möglich auf, obwohl selbst das nicht immer allen recht sei. «Aber ich verbiege mich sicher nicht.» Das würde auch überraschen, schliesslich nennt er sich selber die Eiche aus dem Entlebuch – und die knicken nur in Zeiten schwerer Stürme.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von David L
    David L, 29.12.2017, 22:57 Uhr

    Man sollte einfach nicht vergessen, dass Schwerzmann seine desaströse Politik seit eh und je (= ca. 10 Jahre) mit freundlicher Unterstützung der CVP durchs Parlament und die Volksabstimmungen gebracht hat.
    Wenn die CVP jetzt, viele Jahre nachdem das Debakel für alle offenkundig wurde, plötzlich öffentlich feststellt, dass Schwerzmann «seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen» ist, dann muss man sich schon fragen, wo eben jene CVP die letzten paar Jahre ihren Winterschlaf verbracht hat.
    Selbst wenn ich als Wähler daran glauben würde dass die späte Erkenntnis der Ineichen-CVP eine echte Erkenntnis und nicht nur leeres Gewäsch fürs Volk ist, dann würde ich doch trotzdem auf keinen Fall für die Verbesserung der Finanzpolitik auf Kräfte setzten, die derarlt lang gebraucht haben um zu sehen, was für ein Debakel sie angerichtet bzw. mitgetragen haben.

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